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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Untrennbarkeitsprinzip, Humanae vitae, Unterschied: Funktion - Sinngehalt; von Gott gewollt

Kurzinhalt: Die Pointe des Untrennbarkeitsprinzips scheint damit darin zu liegen, daß dieses Prinzip gar keine Norm ausspricht ("man darf nicht ..."), sondern bereits zur Begründung der Norm gehört ...

Textausschnitt: 60a Es wird nützlich sein, das soeben Ausgeführte durch einige zusätzliche Erläuterungen zu ergänzen. "Humanae vitae" spricht in Nr 12 über die untrennbare Verknüpfung zweier Sinngehalte ("significatio"), und nicht zweier "Funktionen" des ehelichen Aktes. Nur einem fruchtbaren Sexualakt kann ja auch eine prokreative Funktion zukommen. Dennoch aber kann auch ein unfruchtbarer Sexualakt - sofern wir ihn als menschliche Handlung betrachten - durchaus einen prokreativen Sinngehalt besitzen, nämlich dann, wenn diese Handlung intentional auf die Zeugung neuen Lebens hin offen ist, auch wenn diese Handlung gleichzeitig gar keine prokreative "Funktion" haben kann. "Prokreative Funktion" eines Aktes hängt ab von aktuell gegebener (biologischer) Fruchtbarkeit, was zu einem gegebenen Zeitpunkt aus physiologischen Gründen jeweils der Fall sein kann oder auch nicht1. (Fs)

61a Deshalb wäre es auch wenig sinnvoll, von einer "Untrennbarkeit" einer prokreativen und einer unitiven Funktion zu sprechen, denn nur eine Minderzahl sexueller Akte ist fruchtbar und besitzt deshalb auch - physiologisch gesehen - eine prokreative "Funktion"51. Zudem kann ja offensichtlich diese prokreative Funktion des Sexualaktes vollständig ausgeschaltet werden und sie kann deshalb auch von der unitiven "Funktion" abgetrennt werden. "Untrennbarkeit" meint nun aber doch gerade, daß man das nicht "könne", aber damit kann ja nur gemeint sein, daß man dies nicht dürfe. Wäre das alles, was "Humanae vitae" feststellt, dann wäre freilich der Verweis auf eine "Doppelfunktion" des ehelichen Aktes völlig irrelevant, weil man durch diesen Verweis nichts für einen Nachweis dafür gewinnen würde, weshalb man denn nun das, was man ja offensichtlich tun kann, nicht auch tun darf.2 (Fs)

61b Nun meint aber das von "Humanae vitae" angeführte Untrennbarkeitsprinzip eben nicht einfach, daß man eine solche Trennung nicht vornehmen dürfe, sondern vielmehr, daß man eine solche Trennung tatsächlich nicht vornehmen könne. Die Aussage bezieht sich eben gar nicht auf "Funktionen", sondern auf Sinngehalte des ehelichen Aktes, und sie meint demnach, man könne diese beiden Sinngehalte nicht voneinander abkoppeln, ohne beide Sinngehalte des ehelichen Aktes und damit auch den Sinngehalt des Ganzen als Akt ehelicher Liebe zu zerstören. So heißt es in Nr. 12:

Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der Verkehr in der Ehe voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer Liebe, und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft. (Fs)


62a Die Pointe des Untrennbarkeitsprinzips scheint damit darin zu liegen, daß dieses Prinzip gar keine Norm ausspricht ("man darf nicht ..."), sondern bereits zur Begründung der Norm gehört (wie es dem Einleitungssatz des Abschnittes entspricht: "Diese ... Lehre gründet in ..."). Diese Begründung lautet: Die Bewahrung jeweils beider Sinngehalte ist gerade an ihre Verknüpfung gebunden (wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde). HV spricht also über eine anthropologische Untrennbarkeit der beiden Sinngehalte, die eben nicht zwei - durch Eingriffe vordergründig durchaus abtrennbare - "Funktionen" sind, sondern vielmehr zwei Aspekte des einen und unteilbaren Wesens des ehelichen Aktes darstellen. Deshalb nennt "Humanae vitae" auch diese beiden Sinngehalte folgerichtig "wesentliche Gesichtspunkte" oder "Wesenseigenschaften" des ehelichen Aktes ("utraque eius essentialis ratio"). (Fs) (notabene)

62b Das Untrennbarkeitsprinzip meint also: Beide Sinngehalte bilden zusammen eine einzige mehrschichtige Sinneinheit, die wiederum wahrer Ausdruck der menschlichen Wesenseinheit von Leib und Geist ist1. Erst auf dieser Grundlage, so scheint mir, wird es möglich, der Aussage von HV Nr. 11 völlig gerecht zu werden, daß nämlich in jedem ehelichen Akt die Eigenschaft seines wesenhaften ("per se") Hingeordnetseins auf die Aufgabe der "Erzeugung menschlichen Lebens" gewahrt werden muß. Das gilt nun eben gerade auch für solche Akte, die natürlicherweise biologisch unfruchtbar sind und offensichtlich gar keine prokreative "Funktion" haben können; ihnen kann jedoch ein prokreativer Sinngehalt zukommen, d.h. sie können menschliche Handlungen sein, die als Handlungen vollzogen werden, die in und an sich, von ihrem Wesen her ("per se") auf "Erzeugung menschlichen Lebens" hingeordnet sind und deshalb durchaus einen prokreativen Sinngehalt in sich schließen. Entscheidend wird dabei nun eben gerade der intentionale Aspekt, d.h. der Wille der Eheleute, und deshalb spricht man dann auch von einer notwendigen "Offenheit" ehelicher Akte hinsichtlich der "Erzeugung menschlichen Lebens". Diese Offenheit ist, wie bereits gesagt, eine Offenheit des Willens dessen, der diesen Akt vollzieht und nur durch einen Mangel solcher Offenheit hinsichtlich der Weitergabe menschlichen Lebens würde sowohl der prokreative wie auch der unitive Sinngehalt des ehelichen Aktes, sein Liebesgehalt zerstört werden. Beide sind deshalb untrennbar miteinander verknüpft2. (Fs)

63a Damit erst erhält die Lehre von "Humanae vitae" ihr eigentliches Profil: Sie ist die Formulierung der Bedingungen dafür, daß eheliche Sexualität Ausdruck wahrer Liebe sein kann. Tatsächlich geht es bei der Frage um Empfängnisverhütung - über die wir bis jetzt allerdings noch kein Urteil fällen können - gar nicht so sehr um die "Fortpflanzung" selbst, als vielmehr um eine Verteidigung ehelicher Sexualität als wirklicher Ausdruck ehelicher, personaler Liebe. Damit steht "Humanae vitae" voll und ganz auf dem Boden der Lehre von "Gaudium et spes", und es gibt keinen Grund für die Behauptung, die Enzyklika "entspreche nicht der Forderung", daß "eine sittliche Norm nicht von Naturzwecken, sondern vom bonum humanum her zu beurteilen" ist1. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Auch wer die Lehre von "Humanae vitae" ablehnt, sollte zumindest ihre eigentliche Intention und ihr Thema zur Kenntnis nehmen. (Fs)

64a Aus den genannten Gründen - um es zu wiederholen - ist das Untrennbarkeitsprinzip nicht einfach eine andere Formulierung einer prohibitiven Norm ("man darf die Liebesfunktion nicht von der prokreativen Funktion trennen"), sondern es ist bereits ein erster und entscheidender Schritt in der Begründung einer Norm. Als solche formuliert dieses Prinzip gerade den (anthropologischen) Grund dafür, wieso man einen Sinngehalt vom anderen nicht abkoppeln kann, ohne dabei das Ganze zu zerstören. Und da man ja offensichtlich dieses Ganze, d.h. eheliche Liebe, nicht zerstören soll (darin sind sich wohl alle einig), so ist damit auch begründet, daß man eine solche Trennung nicht vornehmen darf. Philosophisch-ethisch gesprochen können wir freilich erst jetzt erschließen, was die Enzyklika einfach feststellt: Diese untrennbare Verknüpfung ist von Gott gewollt. Wir sind jedoch, das ist zu betonen, hiermit noch weit entfernt vom Nachweis, daß durch Empfängnisverhütung eine Trennung der beiden Sinngehalte tatsächlich eintritt, durch periodische Enthaltungjedoch nicht. Es ist wichtig, Schritt für Schritt vorzugehen. (Fs)

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