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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Untrennbarkeitsprinzips; Wesenseinheit: Fortpflanzung und Liebe; Fortpflanzungstechnologie

Kurzinhalt: In jedem Zeugungsakt finden sich deshalb Geist und Leib aufeinander bezogen und zusammenwirkend: Sie sind - in strikter Analogie zur Materie-Form-Zusammensetzung auf der ontologischen Ebene ...

Textausschnitt: 54c Nachdem gezeigt wurde, daß menschliche Leiblichkeit Bestandteil der Subjektivität der handelnden Person ist, so ist nun ein auf dieser Leiblichkeit des Menschen gründendes simples Faktum, eine Basistatsache hervorzuheben: Die Propagierung der menschlichen Spezies geschieht nicht durch geistige Akte, sondern durch leibliche Akte der Fortpflanzung. Menschliche Fortpflanzung ist deshalb ein fundamentales menschliches Gut (und nicht nur ein "Gut" auf der physiologischen Ebene im Sinne des rein "natürlichen" Ergebnisses eines normal ablaufenden biologischen Prozesses). Fortpflanzung ist ein fundamentales menschliches Gut in demselben Ausmaß, in dem "Leben" für den Menschen überhaupt ein Gut ist, denn das Ergebnis eines Zeugungsvorganges ist ja nicht einfach ein "lebender Körper", sondern eine lebende menschliche Person1. (Fs)

55a Zweitens kann aufgrund der leib-geistigen Wesenseinheit des Menschen dieser Zeugungsakt nicht abgekoppelt von der geistigen Dimension der Seele verstanden werden: Der leibliche Akt der Zeugung eines Menschen erhält notwendigerweise auch eine geistige Dimension. D.h. der menschliche Zeugungsakt ist wesentlich auch ein geistiger Akt. Denn er ist ja nicht einfach ein Akt der Zeugungspotenz oder des Leibes, sondern Akt einer Person und damit eine willentlich vollzogene menschliche Handlung. Dieser Akt ist demnach auch keine simple "Sachleistung", zu der nicht schon, als menschlicher Handlungsvollzug, die Struktur geistiger Liebe innerlich dazu gehörte2. Vielmehr ist ein menschlicher Zeugungsakt aufgrund der wesenhaften Integration aller leiblichen Akte in die Natur der menschlichen Person selbst bereits ebenso wesenhaft ein Akt geistiger Liebe (freilich kann er auch anders vollzogen werden; aber er ist seiner Natur nach dazu bestimmt, als Akt personaler, und damit auch geistiger Liebe vollzogen zu werden: denn er ist ja Akt einer menschlichen Person). (Fs)

55b Wäre dem nicht so, so fände sich innerhalb der Struktur der Person eine tiefe Widersprüchlichkeit und ein Prinzip der Desintegrierung ihrer leib-geistigen Einheit. Wir müßten dann eine Art dualistische Anthropologie unterschreiben; nicht im Sinne eines leibfeindlichen Dualismus, aber eines solchen, der Leiblichkeit nun eben als das "Unterpersonale" versteht, das erst noch zu etwas Menschlichem gemacht und dazu emporgehoben werden müßte3. Deshalb scheint auch "Humanae vitae" in Nr. 10 korrekt daraufhinzuweisen, daß die der menschlichen Zeugungspotenz eingeschriebenen biologischen Gesetze nicht nur ein "biologisches" Faktum sind, die der Mensch in der Erfahrung seiner leiblichen Triebe antrifft, sondern daß sie menschliche Güter sind, die zur menschlichen Person gehören, d.h. Bestandteil menschlich-personaler Subjektivität sind (was auch den oft mißverstandenen Hinweis von HVNr. 10 auf Summa Theologiae, I-II, 94,2 erklärt)4. (Fs)
56a Aus dem gleichen Grund nun ist der geistige Akt (Liebe zwischen Mann und Frau und ihr Ausdruck in der "Sprache des Leibes") an die Bedingungen des Leibes selbst gebunden, weil ja, wie wir sahen, der Leib Subjekt, "Träger" geistiger Akte ist. In jedem Zeugungsakt finden sich deshalb Geist und Leib aufeinander bezogen und zusammenwirkend: Sie sind - in strikter Analogie zur Materie-Form-Zusammensetzung auf der ontologischen Ebene - kooperierende Prinzipien des Zeugungsaktes selbst. Sie sind zwei zusammenwirkende Handlungsprinzipien, aus denen jedoch in jedem Fall jeweils eine einzige menschliche Handlung entspringt. Und damit können wir sagen: Durch den Geist erhält der Leib eine neue Dimension; aber ebenso erhält der Geist durch den Leib ein neue Dimension. (Fs)

57a Daraus ergeben sich nun mehrere Folgerungen. Im Falle des Menschen sind sexuelle Akte mehr als nur Akte sexueller Kopulation, die zur Zeugung führen. Sexuelle Akte eines Menschen sind vielmehr wesentlich Akte gegenseitiger Selbsthingabe aus Freiheit zweier sich liebender Personen. Andererseits sind Akte ehelicher Liebe, die ja gerade in dieser gegenseitigen Selbsthingabe besteht, in ihrer leiblichen Dimension immer Akte "dieses" Leibes. Und das heißt: Sie besitzen einen prokreativen Sinngehalt (niemand kann dies leugnen, es sei denn er wolle eine konsumtive Eigenschaft des Leibes leugnen. Wenn dies betont wird, so heißt das allerdings nicht, daß jeder Akt sexueller Kopulation auch prokreativ wirksam ist oder sein sollte). (Fs)

57b Auf der Grundlage dieser Analyse besitzen wir nun die erforderten Elemente, um erstens genau die beiden Sinngehalte des ehelichen Aktes und zweitens das Prinzip ihrer intrinsischen und untrennbaren Verknüpfung zu verstehen. (Fs)

(A) Um im Vollsinne menschlich zu sein, setzt menschliche Fortpflanzung geistige Liebe voraus bzw. impliziert sie diese Liebe; d.h. sie setzt den Akt gegenseitiger Selbsthingabe aus Freiheit voraus. Menschliche Fortpflanzung hat ihren Ort im Kontext geistiger Liebe, welcher der Kontext einer Gemeinschaft von Personen ist, und nicht im Kontext instinktiver Triebsteuerung; und dies obwohl der Mensch Triebe und - allerdings schwach ausgeprägte und zur Triebsteuerung völlig ungenügende - Instinkte besitzt. Jene "Funktion", die bei Tieren dem Instinkt zukommt, fällt beim Menschen gerade der geistigen, vernunftgeprägten, ihre Akte aus Freiheit vollziehenden Liebe zu. Menschliche Fortpflanzungsakte sind deshalb darauf angelegt, durch diese Liebe geformt zu werden, und zwar genau in dem Maße, wie der Leib überhaupt durch das Leben des Geistes geprägt wird. Aus diesem Kontext geistiger Liebe herausgelöste Fortpflanzung wäre nicht mehr im Vollsinne menschliche Fortpflanzung. Sie wäre allerdings auch nicht einfach animalisch, weil ihr dazu eine tierischen Fortpflanzungsakten eignende spezifische Vollkommenheit fehlte: die ausreichende Triebsteuerung durch den Instinkt. Verstünde man menschlich-personale Subjektivität rein geistig, so wären die der menschlichen Person eingeschriebenen biologischen Strukturen der Fortpflanzung als bloßes Instrument, das das "geistige Subjekt" für erwünschte Zwecke "benutzt", interpretierbar. Die Grenze zur Fortpflanzungstechnologie würde dabei fliessend werden5. (Fs) (notabene)

(B) Ebenso können wir umgekehrt feststellen: Liebe zwischen Mann und Frau - insofern sie darauf tendiert, sich in Akten leiblicher Vereinigung zu vollenden, d.h. insofern sie der "naturalis inclinatio ad coniunctionem maris et feminae", der sexuellen Neigung, entspringt- besitzt aufgrund ihrer Natur eine prokreative Dimension, weil sie Liebe zwischen zwei leiblich konstituierten geistigen Wesen ist. In anderen Worten: Die leibliche Liebesvereinigung von Mann und Frau ist aufgrund ihrer spezifischen Natur Dienst an der Weitergabe menschlichen Lebens. Freilich gibt es auch andere Formen der Liebe zwischen Personen, sowie auch andere mögliche Formen der Liebe zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts (z.B. Kameradschaft, Freundschaft, Geschwisterliebe, Liebe zwischen Eltern und Kindern). Jene Liebes-Anziehung zwischen "Männlich und Weiblich", die dem Sexualtrieb entspringt und die deshalb auf leibliche Vereinigung in Sexualakten hintendiert, ist hingegen - sofern wir die leib-geistige Einheit des Menschen berücksichtigen - eine Art Liebe, die durch diese sexuelle Tendenz zur leiblichen Vereinigung als eine ganz bestimmte Art von Liebe spezifiziert ist. Das impliziert, daß diese Art Liebe durch die natürlicherweise gegebene Konstitution des Leibes selbst schon in spezifischer Weise charakterisiert ist, und zwar als "prokreative Liebe", - als Liebe, die eine "Funktion", oder besser: eine Aufgabe oder eine Sendung besitzt.

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