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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Untrennbarkeitsprinzips, "Objekt" des ehelichen Aktes; leib-geistige Einheit, animal rationale, Seele, Wesensform - Leib; suppositum, Person; dilectio; anima mea non est ego

Kurzinhalt: Menschliche Handlungen sind immer, wenn auch in jeweils verschiedener Weise, Akte, in denen Leib und Geist zusammenwirken ... Dem Leib findet sich das Ich (als geistige Seele) nicht "gegenüber", sondern ...

Textausschnitt: 1. Die Bedeutung des Untrennbarkeitsprinzips und das "Objekt" des ehelichen Aktes

a) Die Anthropologie der leib-geistigen Einheit und die menschliche Person

51a Wie alle grundlegenden Prinzipien, so kann auch das Untrennbarkeitsprinzip nicht eigentlich bewiesen, sondern vielmehr nur aufgewiesen, umschrieben, erläutert werden. Es ist ein anthropologisches Grundprinzip, das die fundamentale innere Einheit menschlicher Personen als leib-geistige Wesen zum Ausdruck bringt. Die handelnde Person ist sich auf spontane Weise zumindest implizit dieser komplexen Einheit bewußt. Eine menschliche Person erfährt ihren Körper und Akte dieses Körpers als jeweils "meinen" Leib und "meine" Akte, die Bestandteil des personalen Selbsts sind. Eine metaphysische Anthropologie wird diese Selbsterfahrung in systematischer Weise durchleuchten, und daraus ergeben sich folgende Resultate:

51b Der Mensch ist aufgrund seiner seinsmäßigen Konstitution ein leibliches Wesen, und als ein solches gehört er zur Gattung der sinnesbegabten Lebewesen, der animalia (und darin noch genauer: zur Gattung der Säugetiere). Gleichzeitig jedoch ist der Mensch auch Geist. Gemäß aristotelischer Begrifflichkeit ist er ein durch Organe strukturierter Körper, der durch eine intellektiver Erkenntnis fähige Seele belebt ist; gemäß scholastischer, ebenfalls auf Aristoteles zurückgehender Terminologie ist der Mensch animal rationale: vernunftbegabtes Lebewesen. Die geistige Seele ist die Wesensform eines Leibes, und beide zusammen bilden deshalb eine in sich selbst subsistierende konkrete Wesenseinheit (= Substanz). Folglich ist die menschliche Leiblichkeit voll - wesenhaft - in die Struktur des geistgeformten Lebens integriert. Sie ist von diesem Leben des Geistes "informiert" (wesenhaft aktuiert und bestimmt) und wird so als menschliche Leiblichkeit gerade selbst Subjekt oder "Träger" geistiger Akte. (Fs)

51c Deshalb ist die menschliche Person auch als handelndes Subjekt stets eine leib-geistige Einheit. Menschliche Handlungen sind nicht entweder geistige oder leibliche Akte, noch sind sie Akte einer geistigen Substanz, die den Leib als ihr Werkzeug benutzt. Menschliche Handlungen sind immer, wenn auch in jeweils verschiedener Weise, Akte, in denen Leib und Geist zusammenwirken. Deshalb sind menschliche Handlungen - sogar im Falle eigentlicher innerer Akte des Verstandes und des Willens - immer Akte eines Leibes, als solche jedoch Akte eines geistig informierten Leibes. Ebenso sind menschliche Handlungen -auch im Falle spezifisch leiblicher Akte - immer auch Akte des Geistes, als solche jedoch Akte eines leiblich gebundenen Geistes, d.h. eines Geistes, der aufgrund seiner Natur die Wesensform eines Leibes ist. Deshalb gibt es auch nur ein einziges "suppositum" (real existierendes individuelles Seiendes), dessen Natur (oder "Wesen") Leib und Geist einschließt. Dieses Suppositum nennen wir menschliche Person. Deshalb sagt Thomas von Aquin, daß die anima separata, die nach dem Tod vom Leib getrennte Seele, nicht mehr "Person" genannt werden könne; sie ist nur noch die Seele dessen, der einmal war, was wir "menschliche Person" nennen: ein konkretes, leib-geistiges Individuum "Mensch"1. (Fs)

52a Dies ist völlig verschieden von der christologischen, hypostatischen Einheit zweier Naturen in einer Person. Der Mensch ist deshalb nicht "inkarnierter Geist". Er ist auch nicht "Geist in Welt" (K Rahner) oder "Vernunft in Natur" (W. Korff); denn der Mensch gehört ja nicht zur Gattung der Geister, sondern zur Gattung der animalia. Es scheint deshalb verfehlt zu sein, im Menschen das "Personale" mit dem Geistigen einfach gleichzusetzen, um dieses dann der "Natur" bzw. dem Leiblichen als "unterpersonale", bloß "dingliche" und "unter dem Menschen stehende Strukturen" entgegenzustellen1. Der Mensch ist zwar Person kraft seiner Geistigkeit (ohne Geist gibt es keine Person); aber die menschliche Person ist der ganze Mensch, weil er eine subsistierende leibgeistige Wesenseinheit, eine Substanz ist. Der pneumatische Begriff menschlicher Personalität jedoch verfälscht die innere Einheit des Menschen und tendiert dazu, den Leib als Werkzeug und "Material" des Geistes, der Freiheit oder eines pneumatischen Subjekts zu begreifen. Es muß deshalb mehr als fragwürdig erscheinen, wenn "Normen des geschlechtlichen Verhaltens" als auf reine "Sachleistungen" bezogen verstanden werden, die noch gar nicht als "Ausdruck der Struktur der Person (...) wirklich sittliche Normen" sind, sondern sich auf "Strukturen der Dinge" beziehen, von denen gesagt wird, "sie stehen unter dem Menschen" und: "Er mag sie verändern, umbiegen, soweit er nur kann, er ist ihr Herr, nicht ihr Diener. Die einzige letzte Struktur der Person, die sie adäquat ausspricht, ist das Grundvermögen der Liebe"2. Dem letzten Satz ist freilich zuzustimmen, dem zweitletzten jedoch nicht: Der Mensch ist weder Herr noch Diener seiner "Natur" und Leiblichkeit, sondern er ist gerade diese Natur und er ist Leib. Und als solche sind Natur und Leiblichkeit auch immer schon Bestandteil der Sprache menschlicher Liebe und finden deshalb, wie richtig gesagt ist, erst durch das Grundvermögen geistiger Liebe als Strukturen der Person die ihnen adäquate Erfüllung. (Fs)

54b Aufgrund dieser wesenhaften Einheit von Leib und Geist ist menschliche Liebe nicht nur ein geistiges Phänomen, sondern auch ein leibliches (das gilt sogar für die Liebe zu Gott1. Der Geist spricht deshalb auch die "Sprache des Leibes", und sie ist, im Falle des Menschen, eine dem Geist eigentümliche Sprache, da ja der menschliche Geist seiner Natur gemäß zur Wesensform (Seele) des Leibes gehört ("Geist" und "Seele" sind jedoch nicht einfach gleichzusetzen; die menschliche Seele ist auch Formprinzip aller anderen Lebensfunktionen des Menschen; aber sie ist wesentlich eine geistige Seele). Der Leib muß demnach als Subjekt und nicht als Objekt oder "Mittel" geistiger Liebe betrachtet werden. Der menschliche Leib gehört voll und ganz zur Subjektivität der handelnden Person. Er ist Teil des menschlichen "Ich": Dieses "Ich" ist nicht nur der Geist; auch der Leib konstituiert das menschliche "Ich". Dem Leib findet sich das Ich (als geistige Seele) nicht "gegenüber", sondern es ist dieser Leib. Deshalb findet sich bei Thomas von Aquin der bedeutungsschwere Satz: Anima mea non est ego: "Meine Seele ist nicht mit meinem Ich identisch"2. (Fs) (notabene)

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