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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Irreführende Rede: "künstliche" Empfängnisverhütung; Humanae vitae Nr. 14

Kurzinhalt: Die - meiner Ansicht nach unbedingt aufzugebende - Rede von der "künstlichen Empfängnisverhütung" bzw. einer angeblichen kirchlichen Verurteilung von künstlicher Empfängnisverhütung pflegt in verhängnisvoller Weise vom Problem abzulenken ...

Textausschnitt: 17a Treu dieser Sicht der Dinge dachten deshalb die Kritiker der Enzyklika - und sie denken es immer noch -, periodische Enthaltsamkeit sei nur eine andere Methode won Empfängnisverhütung: die eine sei eine künstliche Methode, die andere eine natürliche. Wenn man auf den "willentlichen Vorbehalt" gegenüber einer Empfängnis achte, so seien doch "ein gezieltes Ausweichen und ein gezieltes Unterdrücken der Ovulation kaum zu unterscheiden"1. Das Denken in dieser Alternative "natürlich" oder "künstlich" führte nun jedoch zu einem fatalen Mißverständnis. Viele wurden so dazu verleitet, am wahren Problem vorbeizusehen und den eigenüich springenden Punkt der Frage zu verfehlen. Das Mißverständnis lief schließlich darauf hinaus zu meinen, "Humanae vitae" verurteile Empfängnisverhütung wegen ihres künstlichen Charakters, wegen mangelnder Respektierung natürlich-vorgegebener Strukturen. Leider ist dies auch oft die Meinung derer, welche die Lehre von "Humanae vitae" zu verteidigen suchen22. Andererseits erkannte ein Autor wie J.T. Noonan, der eine faire, wenn auch unkorrekte, Interpretation von "Humanae vitae" vorgelegt hat, daß ihre Verurteilung von Empfängnisverhütung nichts mit deren Künstlichkeit zu tun hat3 (Fs)

18a Die - meiner Ansicht nach unbedingt aufzugebende - Rede von der "künstlichen Empfängnisverhütung" bzw. einer angeblichen kirchlichen Verurteilung von künstlicher Empfängnisverhütung pflegt in verhängnisvoller Weise vom Problem abzulenken, denn dieses Problem ist nicht die Künstlichkeit von Empfängnisverhütung, sondern vielmehr gerade die Verhütung von Empfängnis. Zudem suggeriert diese Sprechweise, daß auch die Alternative "periodische Enthaltsamkeit" eine Art Empfängnisverhütung sei - nämlich eine "natürliche Methode" dafür -, wobei doch periodische Enthaltung in Wirklichkeit überhaupt keine Form von Empfängnisverhütung ist. Die wahre Alternative und ihre tiefgreifende sittliche Bedeutsamkeit wird uns später beschäftigen; es ist jene zwischen "Verhüten der prokreativen Folgen vollzogener sexueller Akte" und "Vermeiden prokreativer Folgen sexueller Akte durch die Enthaltung vom Vollzug dieser Akte". Jedenfalls ist daraufhinzuweisen, daß die Enzyklika bei der Formulierung der eigentlichen Norm über die Empfängnisverhütung das Wort "künstlich" überhaupt nicht verwendet (Nr. 14):

Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluß an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel (Fs)

18b Das trifft ja beispielweise auch auf einen sogenannten "coitus interruptus" zu. Und wie wir unten (I,4) sehen werden gibt es künstliche Eingriffe kontrazeptiver Art, die nichts mit der oben beschriebenen Handlungsweise zu tun haben und deshalb auch nicht unter die Norm von "Humanae vitae" fallen können. Die Norm hat als solche eben gar nichts mit der Künstlichkeit eines Eingriffs zu tun. Man darf sich dabei nicht durch den Ausdruck "beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen" ablenken lassen; denn die entscheidenden Worte sind hier "jede Handlung, die darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern"1. Es wird darauf zurückzukommen sein (I,4) (Fs)

[...]

19b Zunächst ist zu fragen: Finden sich in der Enzyklika "Humanae vitae" selbst irgendwelche Argumente zur Widerlegung der genannten Fehlinterpretation, ihr gehe es um die Respektierung der "Natur" vor künstlichen, naturwidrigen Eingriffen? (Fs)

20a Wie ich es sehe, lag es nicht in der Absicht der Enzyklika zu zeigen, weshalb Kontrazeption das Untrennbarkeitsprinzip verletzt; sie spricht nur aus, daß dies der Fall ist. Ebenso lag es nicht in der Absicht von "Humanae vitae", philosophische (ethische) Argumente dafür vorzubringen, weshalb Kontrazeption gegen das Naturgesetz verstößt; auch in dieser Beziehung wollte sie nur festhalten, daß dies der Fall ist. Ebensowenig bezieht sich HV explizit auf einen bestimmten Begriff von Naturgesetz. Das kirchliche Lehramt appliziert ganz einfach - im Licht der Offenbarung (Heilige Schrift und Tradition) - seine beständige Lehre über dieses Thema auf neue Entwicklungen im Gebiet kontrazeptiver Methoden, ohne dabei eine eigentlich philosophische Begründung und Argumentation vorzulegen1 (Fs)

20b Dennoch liegt der Lehre von HV eine maßgebende, philosophisch relevante Perspektive zugrunde, eine Perspektive, die eine wichtige lehrmäßige Entwicklung reflektiert: Diese Perspektive besteht nun gerade nicht darin zu verlangen, man müsse natürliche Strukturen, die der biologischen oder physiologischen Konstitution des Menschen und seiner Zeugungsakte innewohnen, respektieren; vielmehr besteht diese Perspektive darin, hinsichtlich des Aktes der Empfängnisverhütung den "intentionalen Gehalt dessen, was man tut" hervorzuheben2, eine Intentionalität, die sich auf die Natur der Tugend der Keuschheit bezieht und auf deren besondere Erfordernisse im Kontext prokreativer Verantwortung (Prokreative Verantwortung = Verantwortung bezüglich der Zeugungsfolgen sexueller Akte, d.h. elterliche Verantwortung). Dies ist, wie mir scheint, der Schlüssel zu einem adäquaten Verständnis der Enzyklika und führt auch zu dem wahrscheinlich einzigen Weg einer Erklärung dafür, weshalb Kontrazeption gegen das Naturgesetz verstößt. Denn dieses istja nichts anderes als das Strukturgesetz der sitüichen Tugenden (Fs)

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