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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Sexualiät und Verantwortung

Titel: Sexualität und Verantwortung

Stichwort: Humane vitae; Kritik (B. Häring): biologistisches Verständnis

Kurzinhalt: ... nämlich um eine grundlegende begriffliche Unterscheidung einzuführen: die Unterscheidung zwischen willentlich verursachter und natürlich gegebener Unfruchtbarkeit

Textausschnitt: 11a Aufgrund einer solchen Interpretation von "Humanae vitae" war es für die Kritiker selbstverständlich ein leichtes, ihre Lehre in Zweifel zu ziehen. Wenn wir jedoch den Text der Enzyklika ein wenig genauer betrachten, so wird deutlich, daß sie an keiner Stelle "natürliche biologische Gesetze" mit "Naturgesetz" im moralischen Sinne identifiziert und damit das menschliche Wohl und sittliches Handeln einfach solchen "Naturgesetzen" unterordnet1. Mit dem Hinweis (Nr. 10) auf die biologischen Vorgänge, die der menschlichen Zeugungspotenz eingeschrieben sind, nennt HV lediglich das erste und grundlegendste Erfordernis verantwortlicher Elternschaft: das Erfordernis über die Vorgänge im eigenen Körper Bescheid zu wissen und sich bewußt zu sein, daß diese leiblichen Gesetze und der Sexualtrieb zum Selbst der menschlichen Person gehören. Aber im Anschluß daran werden sogleich weitere Erfordernisse verantwortlicher Elternschaft genannt: die Beherrschung von Trieb und Leidenschaft durch Vernunft und Wille; das Erfordernis, "nach klug abwägender Überlegung sich hochherzig zu einem größeren Kinderreichtum" zu entschließen, "oder bei ernsten Gründen und unter Beobachtung des Sittengesetzes zur Entscheidung" zu kommen, "zeitweise oder dauernd auf weitere Kinder zu verzichten"; schließlich das Erfordernis, solche Entscheidungen mit Bezugnahme auf die "sogenannte objektive sittliche Ordnung, die auf Gott zurückzuführen ist" zu fällen, eine Ordnung, "deren Deuterin das rechte Gewissen ist". Bis hier wurde offensichtlich noch nichts darüber gesagt, welche die Erfordernisse dieser "objektiven sittlichen Ordnung" sind (Fs)

12a In Nr. 11 erwähnt die Enzyklika dann die "natürlichen Gesetze und Zeiten der Fruchtbarkeit", die, als Zeichen von Gottes Weisheit, Abstände in der Aufeinanderfolge der Geburten garantierten. Nun aber sagt HV mit keinem Wort, daß diese "Gesetze" bereits eine sittliche Ordnung begründeten; d.h., daß man sie "Naturgesetz" in einem maralischen Sinne nennen könne ("natürliches Sittengesetz"). Eher ist anzunehmen, daß die Kritiker bis damals das (sittliche) Naturgesetz in dieser Weise verstanden hatten und deshalb die Enzyklika auch diesem Vorverständnis gemäß interpretieren2. (Fs)

12b In Wirklichkeit jedoch - wie aus dem Zusammenhang deutlich wird - erwähnt HV die Existenz biologischer Rhythmen an dieser Stelle aus einem ganz anderen Grund, nämlich um eine grundlegende begriffliche Unterscheidung einzuführen: die Unterscheidung zwischen willentlich verursachter und natürlich gegebener Unfruchtbarkeit. Während die erste ein moralisches Problem aufwirft (das Problem eben, mit dem sich die Enzyklika beschäftigt), ist das zweite in moralischer Hinsicht unproblematisch. Es wird deutlich, daß HV an dieser Stelle folgendes festhalten möchte: Der bei naturgegebener (nicht-willentlicher) Unfruchtbarkeit vollzogene eheliche Akt ist sittlich völlig einwandfrei: "Jene Akte, die eine intime und keusche Vereinigung der Gatten darstellen und die das menschliche Leben weitertragen (...) bleiben auch sittlich erlaubt bei vorauszusehender Unfruchtbarkeit, wenn deren Ursache keineswegs im Willen der Gatten liegt" (Hervorhebung von mir). Auch wenn es dann schließlich heißt, durch die "natürlichen Gesetze und Zeiten der Fruchtbarkeit" entstünden ja "schon von selbst Abstände in der Aufeinanderfolge der Geburten" und dies könne als Ausdruck der Weisheit des Schöpfers angesehen werden, so gibt es dennoch überhaupt keinen Grund anzunehmen, HV intendiere damit bereits eine Beantwortung der Frage, weshalb willentlich verursachte Unfruchtbarkeit unerlaubt sei. Was die Enzyklika hier darzulegen und zu präzisieren beabsichtigt, ist nichts anderes, als ihre grundlegende Lehre, "daß jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben muß" ("ut quilibet matrimonii usus ad vitam humanam procreandam per se destinatus permaneat"). Und das heißt in diesem Zusammenhang: Er darf nicht willentlich daran gehindert werden, jene prokreativen Folgen zu zeitigen, die sich aus seinen natürlicherweise gegebenen (physiologischen) Bedingungen ergeben würden (Bedingungen, denen gemäß Zeugung nicht immer möglich ist). So will die Enzyklika zeigen, daß "Hinordnung" oder "Offenheit" des ehelichen Aktes auf die Erzeugung menschlichen Lebens gerade kein physisch-biologischer, sondern eine intentionaler Begriff ist3. Noch ist aber nicht gesagt, weshalb diese "Offenheit" überhaupt sittliches Erfordernis genannt werden muß. (Fs)

13a Deshalb ist es wichtig, daraufhinzuweisen, daß die Enzyklika mit ihrer Forderung einer "per se Hinordnung auf Zeugung" ganz deutlich eine Aussage über den "ehelichen Akt" macht - das heißt über eine dem Willen entspringende frei gewählte menschliche Handlung - und nicht eine Aussage über den biologischen Akt der Zeugungspotenz1. Es muß demnach als unglücklich bezeichnet werden, wenn ein Kritiker hier vermerkt, die Lehre über die "per se Hinordnung" auf Zeugung widerspreche der Tatsache, daß "in seinen biologischen Gesetzen gesehen" ja "der Akt in concreto sowohl auf 'Zeugung' wie auf'Nicht-Zeugung' ausgerichtet" sei2. Daraus abzuleiten, man könne deshalb vom ehelichen Akt eine beständige oder wesenhafte ("per se") Offenheit auf Zeugung hin gar nicht verlangen, ist nun wirklich biologistisch argumentiert, weil man ja dabei das Wort "Akt" im Ausdruck "ehelicher Akt" mit "Akt der physischen Kopulation" (als naturalem Geschehen) gleichsetzen würde. HV macht hier aber gar keine Aussage über das physiologische Aktgeschehen, sondern eine solche über die menschliche Handlung "ehelicher Akt" und spricht dabei von einer erforderten Offenheit auf Fortpflanzung des Willens dessen, der diesen Akt vollzieht. Die Perspektive von HV scheint hier offensichüich eine andere zu sein als diejenige ihres Interpreten und Kritikers3 (Fs)

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