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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Thomistische Seinslehre - Suarez: ontologisches - ontisches Denken; esse, essentia - existentia, quidditas

Kurzinhalt: Das entscheidende Element der suarezianischen gegenüber der thomistischen Seinslehre liegt darin, daß ...

Textausschnitt: 56/3 Das entscheidende Element der suarezianischen gegenüber der thomistischen Seinslehre liegt darin, daß sie ein dem Seienden als inneres Prinzip vorgeordnetes Sein nicht anerkennt. Sie übersteigt das Seiende nicht auf seine vorgängigen Gründe und befragt es nicht nach seiner ontologischen Konstitution; insofern ist es ein wesentlich ontisches, nicht ontologisches Denken. (192; Fs)

57/3 Wenn das Seiende danach befragt werden kann, ob es ist (an sit) und was es ist (quid sit), so ist das für den Suarezianer nicht die Frage nach Sein und Wesen (esse und essentia) als inneren Prinzipien des Seienden, sondern es ist nur die Frage nach logisch scheinbaren Aspekten, unter denen das konkrete Seiende betrachtet werden kann; Antwort darauf geben Dasein und Sosein (existentia und quidditas) als begrifflich, nicht aber real verschiedene Bestimmungen des Seienden. (192f; Fs)

58/3
c) Schon daraus ergibt sich das Verhältnis beider Seinslehren zueinander. Denn fürs erste werden die beiden Elemente, die am endlichen Seienden unterscheidbar sind, hier und dort vollkommen verschieden verstanden. (193; Fs)

59/3 Für den Suarezianer ist das Dasein (existentia) nichts anderes als der faktische Zustand des wirklichen Vorhandenseins, des realen Gesetztseins, der Wirklichkeit gegenüber der bloßen Möglichkeit. Das Dasein in diesem Sinn bedeutet noch keinerlei inhaltliche Bestimmung, keinen Seinsgehalt und keine Seinsvollkommenheit. Das inhaltliche Moment liegt allein im Sosein oder der Washeit (quidditas), demjenigen nämlich, was durch das Dasein gesetzt wird. Demnach ist das Seiende schon vor seiner Existenz - in der Möglichkeit vor der Wirklichkeit - ein inhaltlich voll konstituiertes Etwas, welches als solches allererst die Möglichkeit dafür bietet, ins Dasein gesetz, verwirklicht zu werden. Somit ist das Sosein nicht nur - im thomistischen Sinn - das Wesen als leeres Strukturprinzip dessen, was dieses Seiende ist, sondern es ist die konkrete Inhaltlichkeit des Seienden in allem, was es ist. (193; Fs) (notabene)

60/3 Während also nach thomistischer Lehre die inhaltliche Fülle, der reale Seinsgehalt, dem Sein als dem Prinzip realen Seinsgehalts überhaupt zugewiesen ist, liegt diese Inhaltsfülle nach suarezianischer Lehre allein auf Seiten des Soseins, welches durch das Dasein nur in den Zustand der realen Existenz, aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit, gesetzt wird. Diesem fundamentalen Unterschied der Auffassungen muß auch begrifflich Rechnung getragen werden: In der thomistischen Lehre ist die Rede von Sein und Wesen (esse und essentia), d. h. vom Seinsakt und von dem ihn begrenzenden Prinzip der Potentialität; in der suarezianischen Auffassung dagegen ist die Rede von Dasein und Sosein (existentia und quidditas), d. h. von dem bloßen Zustand des Existierens und der in diesen Zustand versetzbaren Inhaltlichkeit. (193; Fs) (notabene)

61/3 Daraus folgt jedoch zweitens, daß beide Sichtweisen nicht, wie es vielfach dargestellt wird, einander ausschließen, daß sie vielmehr einander ergänzen1. Jedenfalls kann man das Seiende zunächst auf suarezianische Weise unter den beiden, bloß logisch geschiedenen Aspekten des Daseins und des Soseins betrachten; daß dies eine mögliche und berechtigte Betrachtungsweise ist, kann auch der Thomist zugeben. Man muß sogar, wenn man in thomistischem Sinn eine tiefere Seinserschließung anstrebt, zunächst von dieser Position ausgehen, die logische Zweiheit aber nach der Bedingung ihrer Möglichkeit in der ontologischen Struktur des Seienden selbst befragen. (193f; Fs)

62/3 Daß die suarezianische Zweiheit von Dasein und Sosein aber im logisch begrifflichen Bereich stehen bleibt und keine ontologische Konstitution des Seienden aufzuweisen vermag, daß also das Hinausfragen über das Seiende nach seiner inneren Konstitution - wenigstens als Frage - möglich und berechtigt ist, muß auch jeder Suarezianer zugeben, wenn er auch die thomistische Antwort nicht als berechtigt gelten läßt. (194; Fs)

63/3 Dennoch läßt sich drittens einsichtig zeigen, daß die suarezianische Sichtweise, folgerichtig zu Ende gedacht, notwendig über sich selbst hinausweist und zur thomistischen Seinslehre hinüberführt, da diese das metaphysische Fundament jener bildet, d. h. daß der suarezianische Begriff des Daseins, in seinem letzten Sinn und seiner vollen Tragweite verstanden, sich aus eigener Konsequenz ausweitet und vertieft zum thomistischen Begriff des Seins als 'actus essendi'. Gerade diesen Aufweis - vom bloßen Dasein zum erfüllten Sein - haben wir im vorausgehenden Beweisgang vollzogen. (194; Fs)

64/3 Es hat sich hierbei nicht auf Grund bloß abstraktiver Begriffsbildung, sondern auf dem Wege ontologischer Seinserschließung, ergeben, daß das Sein nicht anders verstanden werden kann, es sei denn als der innere Grund des Seienden als Seienden, durch welchen es in seinem ganzen Seinsgehalt gesetzt ist; weiter als der innere Grund alles Seienden als Seienden, worin schlechthin alles übereinkommt und alles in seinem ganzen Seinsgehalt gesetzt ist; und so schließlich als der innere Grund aller wirklichen und aller möglichen, als seiend gesetzten und als seiend setzbaren Seinsgehalte, darum als das Prinzip schlechthin unbegrenzten Seinsgehalts. (194; Fs)

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