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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Gott - Seele; Voltaire (Elements); credo ut intelligam -> intelligo ut credam; Verlust: analogia entis

Kurzinhalt: Für Voltaire gibt es keine Augustinische anima animi, von der der Mensch kraft seiner intentio nach der Transzendenz ausgreift ... Wäre es nicht möglich, dass Denken, ähnlich der Schwerkraft, eine Funktion von Materie ist?

Textausschnitt: b. Gott und Seele
45a Nach Aufstellung dieser Prinzipien erfolgt die Behandlung des untergeordneten Problems logischerweise mehr oder weniger zwangsläufig. Die "Überzeugung" von der Existenz Gottes ergibt sich aus einem Denkprozess, welcher aufgrund der durch die Physik enthüllten Ordnung des Universums zu dem Schluss kommt, dass die "Vernunft" von der Existenz eines Künstlers, der es geschaffen hat, überzeugt werden muss. Das christliche credo ut intelligam, das die Substanz des Glaubens voraussetzt, wird in ein intelligo ut credam verkehrt. Die Existenz Gottes wird zum Objekt einer Hypothese mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad. Weiterhin ist die Grundlage der christlichen Theologie, die analogia entis, und mit ihr die Möglichkeit der Spekulation über die Attribute Gottes, verloren gegangen. "Die Philosophie kann beweisen, dass es einen Gott gibt; aber sie ist außer Stande zu lehren, was Gott ist und was Gott tut.", usw. Der Artikel über "Gott" im Dictionnaire Philosophique ergänzt diese Position durch pragmatische Argumente hinsichtlich der Nutzlosigkeit metaphysischer Spekulation: Wenn ich wüsste, dass Gott ein Geist ist - "wäre ich dann gerechter? Wäre ich ein besserer Ehemann, Vater, Lehrmeister, Bürger?" [...] "Ich möchte kein Philosoph sein, ich möchte ein Mensch sein."1 Die Seele muss das Schicksal Gottes teilen. Der geistige Prozess, das heißt die erfahrende Realität, die durch das Symbol "Seele" bezeichnet wird, existiert nicht mehr. Für Voltaire gibt es keine Augustinische anima animi, von der der Mensch kraft seiner intentio nach der Transzendenz ausgreift. Die menschliche Persönlichkeit hat die integrierende geistige Mitte mit ihren Phänomenen Liebe, Glaube, Hoffnung, Reue, Buße, Erneuerung, Hingebung verloren. Die einzige menschliche Fähigkeit, die übrig geblieben ist, ist das Denken (le penser). Und warum müssen wir eigentlich eine Seele voraussetzen, um die Funktion des Denkens zu erklären? Wäre es nicht möglich, dass Denken, ähnlich der Schwerkraft, eine Funktion von Materie ist? "Kann dir die Vernunft allein genügend Licht geben, um zu dem Schluss zu kommen, dass du, ohne übernatürliche Hilfe, eine Seele hast?"2 Wir können eine Seele nicht erfahren, und hätten wir sie, so könnten wir nicht zu ihrem Wesen vordringen, denn "Gott hat dir Einsicht gegeben, damit du dich gut führst, aber nicht damit du in das Wesen der Dinge eindringst, die Gott geschaffen hat."3 Auf die gleiche Weise entledigt man sich der Freiheit der Seele. Ob die Seele einen freien Willen hat oder nicht, das wissen wir nicht, und es macht auch nichts aus. In der Praxis verhalten wir uns, als ob wir frei wären.4 Über diesen Punkt hinaus ist Spekulation sinnlos, denn was immer wir auch denken, "die Räder, die die Maschine des Universums antreiben, verändern sich nie."5 (Fs) (notabene)

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