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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Apostasie

Titel: Apostasie

Stichwort: Voltaire - Universalgeschichte; Augustinus

Kurzinhalt: ... Schwäche aller Universal- und Weltgeschichten seit Voltaire ...: die Unmöglichkeit, einen Sinn zu finden, der auf einer größeren Weltbühne den providentiellen Sinn der westlichen Geschichte nach christlicher Interpretation ersetzen könnte

Textausschnitt: 15a Voltaire war für die Kritik der Marquise durchaus empfänglich. Die Marquise beklagte sich darüber, dass Bossuet in seiner Universalgeschichte nichts, mit Ausnahme des Universums, vergessen habe, und Voltaire unternahm es, durch den Essai die fehlenden Teile zu ergänzen. Voltaire anerkannte den Wert von Bossuets Discours für die Geschichte der Antike, wenngleich nicht ohne ernsthafte Kritik an Ungenauigkeiten und des favorisierten Israel. Er beschränkte seine Aufgabe auf die Hinzufügung von Studien über China, Indien, Persien und den Islam sowie einer Fortsetzung des Discours, beginnend mit der Zeit Karls des Großen bis Ludwig XIII. Der ergänzende Charakter des Essai impliziert die Vorstellung, dass in der Historiographie Universalität durch Vollständigkeit erreicht werden könne; und insoweit der Essai eine solche Identifikation andeutet, eröffnet er eher das Problem der Universalität, als es zu klären. Durch Vollständigkeit kann zwar eine Enzyklopädie, aber nicht automatisch eine Sinneinheit geschaffen werden. Es trifft zu: Voltaires Essai zeichnet sich in seiner endgültigen Form darin aus, dass er die erste Universalgeschichte1 ist in dem Sinn, dass er in seinem historischen Überblick die ganze zu jener Zeit bekannte Menschheit umfasst. Aber es ist auch wahr, dass er die Schwäche aller Universal- und Weltgeschichten seit Voltaire aufdeckt: die Unmöglichkeit, einen Sinn zu finden, der auf einer größeren Weltbühne den providentiellen Sinn der westlichen Geschichte nach christlicher Interpretation ersetzen könnte. Der Sinn lässt sich schon deshalb nicht erkennen, weil eine sinnvolle Konstruktion der Geschichte von einem säkularen, innerweltlichen Standpunkt aus voraussetzen würde, dass die Geschichte in ihrer Gesamtheit bekannt ist. Da aber die Geschichte nur hinsichtlich der Vergangenheit bekannt ist, muss jede säkulare Konstruktion in einer Gegenwartsperspektive des Autors resultieren. Ja selbst eine begrenzte perspektivische Konstruktion würde die empirische Existenz einer erkennbaren Struktur der Menschheitsgeschichte voraussetzen. Doch eine solche, die großen Zivilisationen der Menschheit jenseits der westlichen Zivilisation umfassende Struktur ist nicht erkennbar. Die christliche Konstruktion eines Augustinus ist deswegen wirklich universell, weil sie das "Ganze" der Geschichte in Voraussehung der Wiederkunft Christi als das Ende der Geschichte umfasst. Zerfällt dieser transzendente Universalismus unter dem Ansturm profaner Materialien, die nicht einmal andeutungsweise zur Heilsgeschichte in eine Beziehung gesetzt werden können, wird die Universalität des Sinns zum Ideal empirischer Vollständigkeit degenerieren. (Fs)

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