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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Spe Salvi, Internet

Titel: Enzyklika SPE SALVI

Stichwort: Francis Bacon: Glaube an Fortschritt; Wiederherstellung des Paradieses; Vernunft, Freiheit: Gegensatz zu Glaube und Kirche

Kurzinhalt: So erhält denn auch die Hoffnung bei Bacon eine neue Gestalt. Sie heißt nun: Glaube an den Fortschritt

Textausschnitt: 24
16. Wie konnte aber sich die Vorstellung entwickeln, dass die Botschaft Jesu streng individualistisch sei und nur auf den Einzelnen ziele? Wie kam es dazu, dass die "Rettung der Seele" als Flucht vor der Verantwortung für das Ganze und so das Programm des Christentums als Heilsegoismus aufgefasst {25} werden konnte, der sich dem Dienst für die anderen verweigert? Um darauf Antwort zu finden, müssen wir einen Blick auf die Grundlagen der Neuzeit werfen. Sie erscheinen besonders deutlich bei Francis Bacon. Das Heraufziehen einer neuen Zeit – durch die Entdeckung Amerikas und durch die neuen technischen Errungenschaften, die diese Entwicklung ermöglicht hatten – ist offenkundig. Worauf aber beruht diese Wende der Zeiten? Es ist die neue Zuordnung von Experiment und Methode, die den Menschen befähigt, zu einer gesetzmäßigen Auslegung der Natur zu kommen und so endlich "den Sieg der Kunst über die Natur" (victoria cursus artis super naturam) zu erreichen.1 Das Neue – so sieht Bacon es – ist eine neue Zuordnung der Wissenschaft zur Praxis. Dies wird nun auch theologisch gewendet: Diese neue Zuordnung der Wissenschaft zur Praxis bedeute, dass die dem Menschen von Gott gegebene und im Sündenfall verlorene Herrschaft über die Kreatur wiederhergestellt werde.2

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17. Wenn man diese Sätze genau liest und bedenkt, so erkennt man darin einen bestürzenden Schritt: Die Wiederherstellung dessen, was der Mensch in der Austreibung aus dem Paradies verloren hatte, hatte man bisher vom Glauben an Jesus Christus erwartet, und dies war als "Erlösung" angesehen worden. Nun wird diese "Erlösung", die Wiederherstellung des verlorenen "Paradieses" nicht mehr vom Glauben erwartet, sondern von dem neu gefundenen Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis. Der Glaube wird dabei gar nicht einfach geleugnet, aber auf eine andere Ebene – die des bloß Privaten und Jenseitigen – verlagert und zugleich irgendwie für die Welt unwichtig. Diese programmatische Sicht hat den Weg der Neuzeit bestimmt und bestimmt auch noch immer die Glaubenskrise der Gegenwart, {26} die ganz praktisch vor allem eine Krise der christlichen Hoffnung ist. So erhält denn auch die Hoffnung bei Bacon eine neue Gestalt. Sie heißt nun: Glaube an den Fortschritt. Denn für Bacon ist klar, dass die jetzt in Gang gekommenen Entdeckungen und Erfindungen nur ein Anfang sind; dass aus dem Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis ganz neue Entdeckungen folgen werden und eine ganz neue Welt entstehen wird, das Reich des Menschen.1 So hat er denn auch eine Vision der zu erwartenden Erfindungen – bis hin zu Flugzeug und Unterseeboot – vorgelegt. Im weiteren Verlauf der Entwicklung des Fortschrittsgedankens bleibt die Freude an den sichtbaren Fortschritten menschlichen Könnens eine fortlaufende Bestätigung des Fortschrittsglaubens als solchem. (Fs)

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18. Zugleich treten zwei Kategorien immer stärker ins Zentrum der Fortschrittsidee: Vernunft und Freiheit. Der Fortschritt ist vor allem ein Fortschritt in der zunehmenden Herrschaft der Vernunft, und diese Vernunft wird selbstverständlich als Macht des Guten und zum Guten angesehen. Der Fortschritt ist die Überwindung aller Abhängigkeiten – Fortschritt zur vollkommenen Freiheit. Auch Freiheit wird rein als Verheißung gesehen, in der sich der Mensch zu seiner Ganzheit verwirklicht. In beiden Begriffen – Freiheit und Vernunft – ist ein politischer Aspekt mit gegenwärtig. Denn das Reich der Vernunft wird eben als neue Verfassung der ganz frei gewordenen Menschheit erwartet. Aber die politischen Bedingungen eines solchen Reiches der Vernunft und der Freiheit erscheinen zunächst wenig definiert. Vernunft und Freiheit scheinen aufgrund ihres eigenen Gutseins von selbst eine neue vollkommene menschheitliche Gemeinschaft zu gewährleisten. In den beiden Leitbegriffen "Vernunft" und "Freiheit" ist freilich im stillen immer der Gegensatz zu den Bindungen des Glaubens und der Kirche wie {27} zu den Bindungen der damaligen Staatsordnungen mitgedacht. Beide Begriffe tragen so ein revolutionäres Potential von gewaltiger Sprengkraft in sich. (Fs)

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