Datenbank/Lektüre


Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Spe Salvi, Internet

Titel: Enzyklika SPE SALVI

Stichwort: Definition: Glaube (Hebräerbrief); hypostase (hypostasis - hyparchonta), Substanz, Luther; Gegenwart - Zukunft; hypomone - hypostole

Kurzinhalt: Glaube ist Hypostase dessen, was man hofft; der Beweis von Dingen, die man nicht sieht. Er zieht Zukunft in Gegenwart herein, so dass sie nicht mehr das reine Noch-nicht ist

Textausschnitt: 13
7. Wir müssen noch einmal zum Neuen Testament zurückkehren. Im 11. Kapitel des Hebräer-Briefes (Vers 1) findet sich eine Art Definition des Glaubens, die ihn eng mit der Hoffnung verwebt. Um das zentrale Wort dieses Satzes ist seit der Reformation ein Streit der Ausleger entstanden, in dem sich in jüngster Zeit wieder der Ausweg auf ein gemeinsames Verstehen hin zu öffnen scheint. Ich lasse dieses Zentralwort zunächst unübersetzt. Dann lautet der Satz: "Glaube ist Hypostase dessen, was man hofft; der Beweis von Dingen, die man nicht sieht." Für die Väter und für die Theologen des Mittelalters war klar, dass das griechische Wort hypostasis im Lateinischen mit substantia zu übersetzen war. So lautet denn auch die in der alten Kirche entstandene lateinische Übertragung des Textes: "Est autem fides sperendarum substantia rerum, argumentum non apparentium" – der Glaube ist die "Substanz" der Dinge, die man erhofft; Beweis für nicht Sichtbares. Thomas von Aquin1 erklärt das, indem er sich der Terminologie der philosophischen Tradition bedient, in der er steht, so: Der Glaube ist ein "habitus", das heißt eine dauernde Verfasstheit des Geistes, durch die das ewige Leben in uns beginnt und der den Verstand dahin bringt, solchem beizustimmen, was er nicht sieht. Der Begriff der "Substanz" ist also dahin modifiziert, dass in uns durch den Glauben anfanghaft, im Keim könnten wir sagen – also der "Substanz" nach –, das schon da ist, worauf wir hoffen: das ganze, das wirkliche Leben. Und eben darum, weil die Sache selbst schon da ist, schafft diese Gegenwart des Kommenden auch Gewissheit: Dies Kommende ist noch nicht in der {14} äußeren Welt zu sehen (es "erscheint" nicht), aber dadurch, dass wir es in uns als beginnende und dynamische Wirklichkeit tragen, entsteht schon jetzt Einsicht. Luther, dem der HebräerBrief an sich nicht besonders sympathisch war, konnte mit dem Begriff "Substanz" im Zusammenhang seiner Sicht von Glauben nichts anfangen. Er hat daher das Wort Hypostase/Substanz nicht im objektiven Sinn (anwesende Realität in uns), sondern im subjektiven Sinn, als Ausdruck einer Haltung verstanden und dann natürlich auch das Wort argumentum als Haltung des Subjekts verstehen müssen. Diese Auslegung hat sich – jedenfalls in Deutschland – im 20. Jahrhundert auch in der katholischen Exegese durchgesetzt, so dass die von den Bischöfen gebilligte Einheitsübersetzung des Neuen Testaments schreibt: "Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht." Das ist an sich nicht falsch, entspricht aber nicht dem Sinn des Textes, denn das verwendete griechische Wort (elenchos) hat nicht die subjektive Bedeutung von "Überzeugung", sondern die objektive Wertigkeit von "Beweis". Darum ist die neuere evangelische Exegese mit Recht zu einer anderen Auffassung gelangt: "Es kann aber jetzt nicht mehr zweifelhaft sein, dass diese klassisch gewordene protestantische Auslegung unhaltbar ist."2 Der Glaube ist nicht nur ein persönliches Ausgreifen nach Kommendem, noch ganz und gar Ausständigem; er gibt uns etwas. Er gibt uns schon jetzt etwas von der erwarteten Wirklichkeit, und diese gegenwärtige Wirklichkeit ist es, die uns ein "Beweis" für das noch nicht zu Sehende wird. Er zieht Zukunft in Gegenwart herein, so dass sie nicht mehr das reine Noch-nicht ist. Dass es diese Zukunft gibt, ändert die Gegenwart; die Gegenwart wird vom Zukünftigen berührt, und so überschreitet sich Kommendes in Jetziges und Jetziges in Kommendes hinein. (Fs)

15
8. Diese Auslegung wird noch verstärkt und auf die Praxis hin ausgeweitet, wenn wir den 34. Vers des 10. Kapitels im Hebräer-Brief ansehen, der in einem sprachlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dieser Definition des hoffenden Glaubens steht, sie vorbereitet. Der Verfasser spricht hier zu Gläubigen, die die Erfahrung der Verfolgung mitgemacht haben und sagt zu ihnen: "Ihr habt mit den Gefangenen gelitten und auch den Raub eures Vermögens (hyparchonton – Vg: bonorum; italienische Übersetzung: sostanza) freudig hingenommen, da ihr wusstet, dass ihr einen besseren Besitz (hyparxin – Vg: substantiam; italienisch: beni migliori) habt, der euch bleibt." Hyparchonta sind der Besitz, das, was beim irdischen Leben "Unterhalt", eben Basis, "Substanz" des Lebens ist, auf die man sich verlässt. Diese "Substanz", die gewöhnliche Lebenssicherung ist den Christen in der Verfolgung genommen worden. Sie ertrugen dies, weil sie diese materielle Substanz ohnedies als fragwürdig ansahen. Sie konnten sie lassen, weil sie nun eine bessere "Basis" ihrer Existenz gefunden hatten – eine, die bleibt und die einem niemand wegnehmen kann. Die Querverbindung zwischen diesen beiden Arten von "Substanz", von Unterhalt und materieller Basis hin zum Wort vom Glauben als "Basis", als "Substanz", die bleibt, ist nicht zu übersehen. Der Glaube gibt dem Leben eine neue Basis, einen neuen Grund, auf dem der Mensch steht, und damit wird der gewöhnliche Grund, eben die Verlässlichkeit des materiellen Einkommens relativiert. Es entsteht eine neue Freiheit gegenüber diesem nur scheinbar tragenden Lebensgrund, dessen normale Bedeutung damit natürlich nicht geleugnet ist. Diese neue Freiheit, das Wissen um die neue "Substanz", die uns geschenkt wurde, hat sich nicht nur im Martyrium gezeigt, in dem Menschen der Allmacht der Ideologie und ihrer politischen Organe widerstanden und so mit ihrem Tod die Welt erneuert haben. Sie hat sich vor allem in den großen Verzichten von den Mönchen des {16} Altertums hin zu Franz von Assisi und zu den Menschen unserer Zeit gezeigt, die in den neuzeitlichen Ordensbewegungen für Christus alles gelassen haben, um Menschen den Glauben und die Liebe Christi zu bringen, um körperlich und seelisch leidenden Menschen beizustehen. Da hat sich die neue "Substanz" wirklich als "Substanz" bewährt, ist aus der Hoffnung dieser von Christus berührten Menschen Hoffnung für andere geworden, die im Dunkel und ohne Hoffnung lebten. Da hat sich gezeigt, dass dieses neue Leben wirklich "Substanz" hat und "Substanz" ist, die anderen Leben schafft. Für uns, die wir auf diese Gestalten hinschauen, ist dieses ihr Tun und Leben in der Tat ein "Beweis", dass das Kommende, die Verheißung Christi, nicht nur Erwartung, sondern wirkliche Gegenwart ist: dass er wirklich der "Philosoph" und der "Hirte" ist, der uns zeigt, was und wo Leben ist. (Fs)

16
9. Um diese Betrachtung über die beiden Weisen von Substanz – hypostasis und hyparchonta – und die zwei Weisen des Lebens, die damit ausgedrückt sind, tiefer zu verstehen, müssen wir noch zwei zugehörige Wörter kurz bedenken, die sich im 10. Kapitel des Hebräer-Briefs finden. Es handelt sich um die Worte hypomone (10,36) und hypostole (10,39). Hypomone wird gewöhnlich mit "Geduld" übersetzt – Ausdauer, Standhalten. Dieses Wartenkönnen im geduldigen Ertragen der Prüfung ist notwendig für den Gläubigen, damit er "das verheißene Gut erlangt" (10,36). In der frühjüdischen Frömmigkeit ist dieses Wort ausdrücklich für das Warten auf Gott verwendet worden, das für Israel charakteristisch ist: für dieses Aushalten bei Gott von der Gewissheit des Bundes her in einer Welt, die Gott widerspricht. Es bezeichnet so gelebte Hoffnung, Leben aus der Hoffnungsgewissheit heraus. Im Neuen Testament gewinnt dieses Warten auf Gott, dieses Stehen zu Gott eine neue Bedeutung: Gott hat sich in Christus gezeigt. Er hat uns schon die "Substanz" des Kommenden mitgeteilt, und so erhält das {17} Warten auf Gott eine neue Gewissheit. Es ist Warten auf Kommendes von einer schon geschenkten Gegenwart her. Es ist Warten in der Gegenwart Christi, mit dem gegenwärtigen Christus auf das Ganzwerden seines Leibes, auf sein endgültiges Kommen hin. Mit Hypostole hingegen ist das Sich-Zurückziehen gemeint, das nicht wagt, offen und frei die vielleicht gefährliche Wahrheit zu sagen. Dieses Sich-Verstecken vor den Menschen aus dem Geist der Menschenfurcht heraus führt zum "Verderben" (Hebr 10,39). "Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit" – so charakterisiert demgegenüber der Zweite Timotheus-Brief (1,7) mit einem schönen Wort die Grundhaltung des Christenmenschen. (Fs) (notabene)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt