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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Historismus - Glaube; Glaube als Faktum oder Faciendum (G. als Geschichte oder Medium d. Weltveränderung)

Kurzinhalt: Die Theologie hatte ja versucht, der Problematik des Historismus, seiner Reduktion der Wahrheit auf das Faktum, dadurch zu begegnen, dass sie Glauben selbst als Historie konstruierte

Textausschnitt: c) Die Frage nach dem Ort des Glaubens.

59a Mit diesem zweiten Schritt des neuzeitlichen Geistes, mit der Zuwendung zur Machbarkeit, ist zugleich ein erster Anlauf der Theologie gescheitert, auf die neuen Gegebenheiten zu antworten. Die Theologie hatte ja versucht, der Problematik des Historismus, seiner Reduktion der Wahrheit auf das Faktum, dadurch zu begegnen, dass sie Glauben selbst als Historie konstruierte. Für den ersten Anschein konnte sie mit dieser Wendung recht zufrieden sein. Schließlich ist christlicher Glaube von seinem Inhalt her wesentlich auf Geschichte bezogen, die Aussagen der Bibel tragen nicht metaphysischen, sondern faktischen Charakter. So konnte die Theologie scheinbar nur einverstanden sein, wenn die Stunde der Metaphysik abgelöst wurde durch diejenige der Geschichte. Denn damit schien zugleich so Recht erst ihre eigene Stunde zu schlagen, ja, vielleicht durfte sie die neue Entwicklung überhaupt als Ergebnis ihres eigenen Ausgangspunktes buchen. (Fs) (notabene)

60a Die zunehmende Entthronung der Historie durch die Techne hat solche Hoffnungen schnell wieder gedämpft. Dafür drängt sich jetzt ein anderer Gedanke auf - man fühlt sich versucht, Glauben nicht mehr auf der Ebene des Faktum, sondern auf der des Faciendum anzusiedeln und ihn mittels einer »politischen Theologie« als Medium der Weltveränderung auszulegen1. Ich glaube, dass damit nur in der gegenwärtigen Situation das wieder getan wird, was einseitig heilsgeschichtliches Denken in der Situation des Historismus unternommen hatte. Man sieht, dass die Welt von heute bestimmt ist durch die Perspektive des Machbaren, und man antwortet, indem man den Glauben selbst auf diese Ebene transponiert. Nun möchte ich beide Versuche keineswegs einfach als unsinnig beiseite schieben. Damit würde man ihnen sicher nicht gerecht. Vielmehr kommt im einen wie im andern Wesentliches ans Licht, das in anderen Konstellationen mehr oder weniger übersehen worden war. Christlicher Glaube hat wirklich mit dem »Faktum« zu tun, er wohnt in einer spezifischen Weise auf der Ebene der Geschichte, und es ist kein Zufall, dass gerade im Raum christlichen Glaubens Historismus und Historie überhaupt gewachsen sind. Und zweifellos hat Glaube auch etwas mit Weltveränderung, mit Weltgestaltung, mit dem Einspruch gegen die Trägheit der menschlichen Institutionen und derer, die daraus ihren Nutzen ziehen, zu tun. Wiederum ist es schwerlich ein Zufall, dass das Verständnis der Welt als Machbarkeit im Raum der christlich-jüdischen Überlieferung gewachsen und gerade bei Marx aus ihren Inspirationen heraus, wenn auch in Antithese dazu, gedacht und formuliert worden ist. Insofern ist nicht zu bestreiten, dass beide Male etwas von der wirklichen Meinung des christlichen Glaubens zum Vorschein kommt, das früher allzusehr verdeckt geblieben war. Christlicher Glaube hat auf entscheidende Weise mit den wesentlichen Antriebskräften der Neuzeit zu tun. Es ist in der Tat die Chance unserer geschichtlichen Stunde, dass wir von ihr her die Struktur des Glaubens zwischen Faktum und Faciendum ganz neu begreifen können; es ist die Aufgabe der Theologie, diesen Anruf und diese Möglichkeit wahrzunehmen und die blinden Stellen vergangener Perioden zu finden und zu füllen. (Fs)

1.Kommentar (30.05.07)zu: " ... man fühlt sich versucht, Glauben nicht mehr auf der Ebene des Faktum, sondern auf der des Faciendum anzusiedeln ...". Cf. Rhonheimer, Natur, über die Spielarten einer teleologischen Ethik.

61a Aber sowenig man hier mit schnellen Aburteilungen bei der Hand sein darf, so sehr bleibt die Warnung vor Kurzschlüssen geboten. Wo die beiden genannten Versuche exklusiv werden und den Glauben ganz auf die Ebene des Faktums oder der Machbarkeit verlegen, da wird zuletzt doch verdeckt, was es eigentlich heißt, wenn ein Mensch sagt: Credo - ich glaube. Denn indem er solches ausspricht, entwirft er fürs Erste weder ein Programm aktiver Weltveränderung noch schließt er sich damit einfach einer Kette historischer Ereignisse an. Ich möchte, um das Eigentliche versuchsweise ans Licht zu bringen, sagen, der Vorgang des Glaubens gehöre nicht der Relation Wissen - Machen zu, die für die geistige Konstellation des Machbarkeitsdenkens kennzeichnend ist, er lasse sich viel eher ausdrücken in der ganz anderen Relation Stehen - Verstehen. Mir scheint, dass damit zwei Gesamtauffassungen und Möglichkeiten menschlichen Seins sichtbar werden, die nicht beziehungslos zueinander sind, aber die man doch unterscheiden muss. (Fs)

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