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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Wille - Handlung - das Gute; Thomas: Antwort auf Einwand: Wille wird durch Objekt spezifiziert; Objekt = Vernunft; Vernunftvergessenheit der telelogischen Ethik

Kurzinhalt: ... Antwort darauf, weshalb der Wille von "Objekten" moralisch qualifiziert werden kann, d. h. weshalb Objekte anderer Potenzen, insofern sie Objekte des Willens sind, bereits in die Dimension des "esse morale" ...

Textausschnitt: Siehe unten:
334c Die Aussage: "Die sittliche Qualifizierung des Willens hängt vom Objekt ab", ist also identisch mit der Aussage, "sie hängt von der Vernunft ab" ...


332b Handlungen als Gegenstände von Willensakten zu begreifen bedeutet nicht, einen anderen oder zusätzlichen Aspekt herauszugreifen, sondern vielmehr in die Perspektive der Gesamtschau menschlichen Handelns einzutreten. Vergessen wir nicht, welches der Gegenstand der philosophisch-ethischen Untersuchung ist: Die Ordnung, welche die Vernunft in den Akten des Willens schafft; bzw. die Ordnung der willentlichen Akte oder der Mensch, insofern er willentlich um seines Zieles - des Guten - willen handelt.1 Auf diese Perspektive der Willentlichkeit wird man verwiesen, sobald man sich der Tatsache gewahr wird, daß wir "menschliche Akte", Akte von Personen, und nicht solche von Potenzen und Organen untersuchen. Der personal-integrative Faktor ist dabei eben der Wille und sein Imperium, das allerdings nur insofern moralisch bedeutsam ist, wie es von der ordinatio der praktischen Vernunft abhängt. (Fs)

333a Das zu zeigen ist Inhalt von I-II, q.19; er handelt von der sittlichen Qualifizierung des inneren Aktes des Willens.2 Thomas stellt dabei zunächst klar, daß im Falle des Willens sich "genus naturae" und "genus moris" identifizieren: Der Wille ist die einzige Potenz, deren Objekt per se die moralische Dimension besitzt; denn Gegenstand des Willens ist das sittlich Gute; sofern etwas gewollt wird, wird es auch immer gemäß seinem "esse morale" gewollt.3 Insofern sich der Wille auf das "Gut" (Objekt oder finis) anderer Potenzen erstreckt, so will er diese nicht auf der ihnen entsprechenden naturalen Ebene, sondern bereits als (sittlicher) Wille. Der Wille erstreckt sich also nie auf vor-sittliche Güter; oder genauer: vor-sittliche (ontische) Güter sind, insofern sie Objekte des Willens sind, bereits in der Dimension der Moralität. (Fs) (notabene)

333b [..] Das heißt: Die teleologische Ethik negiert, daß das "Gut" oder "finis" anderer Potenzen (z. B. der potentia generativa oder der Sprachfähigkeit) insofern sie Objekte des Willens sind, bereits unter dem Aspekt eines ihnen zukommenden "esse morale" gewollt werden. Der teleologischen Ethik gemäß bleiben sie vor-sittliche Güter, und die sittliche Qualität ihrer Beachtung oder Nicht-Beachtung hinge allein und ursprünglich vom inneren Akt des Willens als "Wert-Intention" ab. (Fs)

333c Wie sehr in einer solchen Position wiederum ein radikaler Naturalismus oder Physizismus auf der Objektseite mit einem Wertidealismus auf der Seite der Intention verbunden ist und damit die personale Struktur des actus humanus dualistisch in zwei Sphären (Wille - übrige Potenzen und ihre "fines naturales" bzw. vor-sittliche Güter) zerrissen wird, scheint offenkundig. Interessant ist dies jedoch vor allem deshalb, weil Thomas auf diese Position explizit Bezug nimmt. Er antwortet nämlich auf einen Einwand, der lautet, es sei unmöglich, daß der Wille vom Objekt moralisch spezifiziert würde, denn solche Objekte seien ja Güter, die nur eine "bonitas naturae" besäßen, also vor-sittliche Güter seien1; das habe aber zur Konsequenz, daß der innere Akt des Willens seine moralische Qualität aus sich selbst schöpft. (Fs)

334a Die Entgegnung auf diesen Einwand ist die Antwort darauf, weshalb der Wille von "Objekten" moralisch qualifiziert werden kann, d. h. weshalb Objekte anderer Potenzen, insofern sie Objekte des Willens sind, bereits in die Dimension des "esse morale", "genus moris", der Moralität also, eingetreten sind. Der Grund liegt auf der Hand, ist aber nicht weniger bedeutsam und bestätigt unsere vorhergehenden Analysen: "Das Gute wird dem Willen durch die Vernunft vergegenständlicht; und insofern es der Ordnung der Vernunft untersteht, gehört es zum Bereich des Sittlichen (genus moris) und verursacht es sittliche Güte im Akt des Willens. Denn die Vernunft ist das Prinzip der menschlichen und sittlichen Akte."1 (Fs)

334b Dies wird nun im dritten Artikel bestätigt; denn während der eben zitierte danach fragte, ob das Gutsein des Willens vom Objekt abhänge, klärt der letztere die Abhängigkeit des Willens von der Vernunft; und es zeigt sich, daß es sich dabei um ein und dieselbe Abhängigkeit handelt, denn "das Gutsein des Willens hängt von der Vernunft in derselben Weise ab, wie es vom Objekt abhängt".2 Das ist deshalb so - es wurde früher bereits darauf hingewiesen - weil die Objekte der anderen Potenzen dem Willen gar keine adäquaten Gegenstände sind. Der Wille kann gar nicht das "Gut" einer anderen Potenz (ein bonum sensibile oder imaginarium) als solches erstreben; diese besitzen nur eine adäquate "proportio" zu den ihnen entsprechenden Strebungen, d. h. dem "appetitus sensibilis". Die universale "ratio boni", auf die sich der Wille erstreckt, ist dem jeweiligen partikularen Gut anderer Potenzen gar noch nicht präsent. Erst vermittels der Erfassung und "ordinatio" solcher Güter durch die praktische Vernunft werden sie, aber dann bereits, weil vernunftbestimmt, in der Dimension der Moralität (als bona intellecta), zu Objekten des Willens.3 Den Willen vermag allein ein "praktisches Gut" wie es von der Vernunft vergegenständlicht wird zu bewegen, und keine "vorsittlichen-Güter". (Fs) (notabene)

334c Die Aussage: "Die sittliche Qualifizierung des Willens hängt vom Objekt ab", ist also identisch mit der Aussage, "sie hängt von der Vernunft ab". Wobei Thomas präzisiert: Die "ratio boni" dieses Objektes konstituiert sich durch den Bezug zum Willen; die "ratio veri" (praktische Wahrheit) jedoch durch die Vernunft.1 Und deshalb formuliert Thomas lapidar, aber ebenso bedeutungsschwer: "Appetitus voluntatis non potest esse de bono, nisi prius a ratione apprehendatur" ("Das Streben des Willens kann sich nicht auf ein Gut richten, ohne daß dieses vorher durch die Vernunft erfaßt worden wäre").2 Hierin ist eine klare Antwort auf den Naturalismus und die "Vernunftvergessenheit" der "telelogischen Ethik" enthalten; denn diese übergeht die Konstituierung der Objekte des Willens durch die praktische Vernunft und muß deshalb alle "Güter", auf die sich der Wille erstreckt, als "vor-sittliche Güter" behaupten, um die Dimension der Moralität durch einen Wertidealismus der reinen Willensintentionen oder Grundhaltungen zu rekonstruieren.3 (Fs)

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