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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: actus exterior: Qualifizierung -> materia circa quam; Beispiel: Zeugungsakt; genus naturae - genus moris; debitum; Beispiel: Zeugungsakt

Kurzinhalt: ... der sittlich-objektive Sinngehalt menschlicher Handlungen konstituiert sich durch die Erfassung der "convenientia", der "debita proportio", der "debita materia" oder einfach des "debitum" bestimmter "actiones exteriores". Das heißt: ...

Textausschnitt: 326d Wenden wir uns zunnächst der sittlichen Qualifizierung und Spezifizierung des "äußeren Aktes" zu. Thomas sagt, daß sein "Objekt" das ist, "circa quod est actio exterior"1; oder: das Objekt, welches dem äußeren Akt seine sittliche Spezies ("gut" oder "schlecht" bzw. "gerecht" oder "ungerecht" usw.) verleiht, ist die "materia circa quam".2 (Fs) (notabene)

326e Denken wir daran, daß mit diesem äußeren Akt gerade nicht der Akt des Willens, sondern derjenige einer anderen Potenz gemeint ist, so könnte es nun ja zunächst den Anschein haben, als sei mit diesem Objekt des äußeren Aktes ganz einfach das Objekt der jeweiligen Potenz gemeint, also die jeweiligen "fines naturales" dieser Potenzen, oder aber "Dinge", die wir gebrauchen, erstreben, nehmen, stehlen oder verteilen usw. (Fs)

327a Diese Sicht würde nun aber durch die Thomas-Texte nicht gedeckt. Denn Thomas betont ja, daß die Akte der einzelnen Potenzen das menschliche Handeln nicht in ihrer naturalen Eigenart (ihrem "genus naturae"), sondern in ihrer moralischen Spezifität (genus moris) spezifizieren. Das klassische Beispiel dafür ist wiederum der Zeugungsakt: In seiner naturalen Bestimmtheit als Akt der "potentia generativa" spezifiziert er das menschliche Handeln nicht in sittlicher Weise und ist er auch gar nicht (sittliches) Objekt; nur insofern dieser Akt von der Vernunft vergegenständlicht und auch entsprechend durch die Vernunft geordnet wird, ist er ein Handlungsobjekt im sittlichen Sinne; und auf dieser Ebene seiner Vernunftbestimmtheit unterscheiden sich dann die natural identischen Zeugungsakte zwischen Ehepartnern und zwischen solchen, die es nicht sind (z. B. in einer ehebrecherischen Beziehung) auf sittliche Weise. Im genus naturae betrachtet sind "actus coniugalis" und "adulterium" identische Akte; als Objekte eines "actus humanus", d. h. als durch die Vernunft geordnete sittliche Handlungsgegenstände betrachtet, befinden wir uns vor zwei moralisch objektiv radikal verschiedenen Handlungsweisen.3 Ebenfalls sind (sittlich) objektiv verschieden und natural identisch die "Tötung eines Unschuldigen durch einen Pistolenschuß"; und die "Ausführung einer legitim verhängten Todesstrafe durch einen Pistolenschuß"; oder: Lüge schlechthin und Lüge beim "Lügenspiel" im Familienkreis. (Fs) (notabene)

[...]

328b Thomas zeigt damit, daß mit der Spezifizierung von Handlungen durch das Objekt nicht einfach gemeint ist: Wenn das "Objekt" gut ist, ist die Handlung gut. Denn "Geld", überhaupt "Dinge", aber auch Akte wie der Zeugungsakt, sind in ihrer naturalen Beschaffenheit immer Güter, - dies jedoch auf einer vor-sittlichen, "ontischen" Ebene ihres "genus naturae", - sofern das Geld nicht gefälschtes Geld ist (wobei es dann immer noch das Gut-sein einer gekonnten Fälschung oder des Materialwertes besitzt) und sofern der Zeugungsakt physiologisch normal verläuft ("Unfruchtbarkeit" wäre in diesem Sinne ein physisches Übel). (Fs)
328c Nicht in diesem Sinne jedoch sind "Güter" bzw. Handlungen, die sich auf diese Güter erstrecken, sittliche Handlungsobjekte; sondern sie sind es, wie Thomas sagt, durch eine "debita proportio ad hanc vel illam actionem"1, insofern sie also ein "obiectum conveniens" sind. (Fs)

328d Eine dritte, dasselbe meinende, Formulierungen können wir De Malo entnehmen: Auf den Hinweis, daß sich die menschlichen Akte durch das Objekt in seiner Beziehung zur Vernunft spezifizieren, folgt die Präzisierung: Eine gute Handlung ist eine solche, die sich auf eine "angemessene" oder "gesollte Materie" bezieht ("actus cadens supra debitam mate-riam"), wie z. B. "einem Hungernden zu essen geben"; eine schlechte Handlung ist ein Akt, der sich auf eine "materia indebita" bezieht, wie z. B. "fremdes Eigentum entwenden". Es handelt sich hier um eine "materia circa quam", die einmal "debita", ein anderes Mal "indebita" ist; diese "materia circa quam", wie wir bereits früher betonten, ist also nicht einfach der materiale Aspekt des Handelns in seinem "genus naturae" (dies wäre eine "materia ex qua"), sondern bereits eine "materia debita"; diese "besitzt, insofern sie die Spezies verleiht, gewissermaßen die Eigenheit einer Form"2; sie ist deshalb dasselbe wie das (sittliche) Handlungsobjekt.3 (Fs)

329a Sowohl im Begriff des Objektes wie auch in demjenigen der "materia circa quam" ist also bereits das durch eine "comparatio ad rationem" konzipierte Element der "convenientia", der "debita proportio" oder schlicht des "debitum", der Angemessenheit, Verhältnismäßigkeit und "Gesolltheit" eingeschlossen. Erneut erweist sich: Handlungsobjekte sind "formae prout sunt a ratione conceptae." Diese Perspektive bestätigt sich in der Quaestio, in der Thomas ex professo über die "bonitas et malitia" des "actus exterior" spricht: diese sittliche Qualifizierung rührt weder vom Willen her noch von der Materie oder den Umständen als solchen (unabhängig von ihrer Beziehung zur Vernunft). Sondern: "Bonitas autem vel malitia quam habet actus exterior secundum se, propter debitam materiam et debitas circumstantias, non derivatur a voluntate, sed magis a ratione. "4 (Fs)

329b Damit kommen wir zum Schluß: Das sittliche Objekt, bzw. der sittlich-objektive Sinngehalt menschlicher Handlungen konstituiert sich durch die Erfassung der "convenientia", der "debita proportio", der "debita materia" oder einfach des "debitum" bestimmter "actiones exteriores". Das heißt: Die Erfassung des Handlungsobjektes oder des objektiv-sittlichen Gehaltes oder Sinnes einer Handlung ist ein Werk der (praktischen) Vernunft. Dieses "debitum" liegt weder in den "Dingen", noch in der im "genus naturae" vergegenständlichten "natura actus"; diese müssen vielmehr durch die Vernunft geordnet werden, und zwar fundamental in Akten, die wir ja bereits ausreichend analysiert haben: es handelt sich um (praezeptive) Akte der "lex naturalis", denn diese entspringen ja, durch die "ratio naturalis" und als Partizipation des Ewigen Gesetzes gerade einer "naturalis inclinatio ad debitum actum etfinem".5 (Fs)

[...]

331c Damit kommen wir zum zunächst paradox scheinenden Ergebnis, daß das Objekt des Diebstahls eben der "Diebstahl" ist. Wenn ich sage: Objekt des Diebstahls ist die "Entwendung fremden Eigentums", dann sage ich ja nicht, worauf sich die Handlung "Diebstahl" bezieht, sondern was die Handlung "Diebstahl" ist, d. h. ich definiere sie. Berücksichtigt man das nicht, so muß man zur Bestimmung des Objektes gewissermaßen sogleich eine Stufe "tiefer" steigen, nämlich auf die Ebene des "genus naturae" oder der "Dinge". Deshalb sind wohl so viele auf die Idee gekommen, etwa das Objekt des ehelichen Aktes im "Objekt" der "potentia generativa" als solcher zu suchen, also einer naturalistischen Betrachtung zu verfallen. In einem gewissen Sinne wäre es deshalb besser, anstatt vom "Objekt des äußeren Aktes" vom "objektiven Gehalt" oder "Sinn des äußeren Aktes" zu sprechen, - weil eben das "Objekt" die durch die Vernunft geordnete äußere Handlung selbst ist, bzw. deren "materia circa quam", also die "materia debita".1 (Fs)

332a Das scheinbare Paradoxon einer Handlung, die Objekt ihrer selbst ist, löst sich auf, wenn wir bedenken, daß die bisherige Betrachtungsweise einer Abstraktion entspringt. Denn wir haben bisher das Handlungsobjekt als ein in einem actus humanus integriertes Objekt "isoliert" in seinem Bezug zur Vernunft betrachtet, noch nicht aber als Gegenstand des Willens. Der "actus exterior", von dessen Spezifizierung durch das Objekt bisher die Rede war, ist ja ein "actus imperatus"; er ist, als "actus humanus", wesentlich ein gewollter Akt und nur als solcher tritt er in die Sphäre des Praktischen, der Vernunft als praktische, ein und wird er ja überhaupt vollzogen. Das Objekt eines solchen "actus humanus", der einer "voluntas deliberata" entspringt, ist nun eben gerade der "actus exterior", den wir bisher isoliert vom Willen betrachtet haben.1 Wenn wir jedoch vom Objekt menschlicher Handlungen sprechen, dann meinen wir immer Objekte von Willensakten. Und erst in dieser Perspektive gelangt man zur vollen Einsicht in das, was mit dem Begriff des Handlungsobjektes gemeint ist. (Fs)

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