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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: actus humanus; Objekt des Willens: Ziel; finis operis - finis operantis; Objekt erster und zweiter Ordnung; Zeugung -> Objekt; materia circa quam

Kurzinhalt: Die Bestimmung des Handlungsobjektes als "Ziel" des Willens ist bei Thomas fundamental

Textausschnitt: 322a Die Bestimmung des Begriffes des "actus humanus" steht bei Thomas in einem Artikel, der die Überschrift trägt "Ob es dem Menschen eigen ist, wegen eines Zieles zu handeln". Die Lösung der Frage verläuft über die Bestimmung der "actus humani" als jene Art von Tätigkeiten, "quae ex voluntate deliberata procedunt". Was aber willentlichen Ursprung besitzt, wird um eines Zieles oder Guten willen verfolgt; denn das Objekt des Willens ist das Ziel oder das Gute. Und gerade deshalb handelt der Mensch, wenn er als Mensch, und d. h. "sittlich" handelt, immer um eines Zieles oder eines Guten willen. Es ist also das Ziel oder das Gute, das der Wille verfolgt, welches dem menschlichen Handeln seinen objektiven Gehalt verleiht, es also zunächst einmal sittlich qualifiziert und spezifiziert.1

322b Die Bestimmung des Handlungsobjektes als "Ziel" des Willens ist bei Thomas fundamental. Die neoscholastische "Normalsprache" einer disjunktiven Unterscheidung zwischen Objekten und Zielen, sowie zwischen "finis operis" und "finis operantis", hat diesen Tatbestand oft in Vergessenheit geraten lassen, obwohl diese Sprechweise aus praktischen Gründen als zweckmäßig bezeichnet werden muß und sich auch der hl. Thomas ihrer durchaus bedient; ihr gegenüber ist nur in dem Maße Vorsicht geboten, als sie übersehen lassen könnte, daß natürlich auch das "Objekt" immer ein Ziel (ein Gut) für den Willen, und das Ziel der Intention jeweils ebenfalls ein "Objekt" darstellt.1 Es ist unsinnig, das "Objektive" dem "Subjektiven" gegenüberzustellen. Eine solche Gegenüberstellung besitzt meist physizistische Implikationen. Im Zusammenspiel von Handeln und Intention gibt es ein Objekt erster und ein Objekt zweiter Ordnung. "Subjektiv" ist vielfach lediglich die Zuordnung von konkreten Handlungen und Intentionen. Wer, um das bereits von Aristoteles angeführte Beispiel zu verwenden, stiehlt, mit der Intention einen Ehebruch zu verüben, der tut und intendiert etwas objektiv Schlechtes. Die Intention ist nur insofern subjektiv, und also ein "finis operantis", als eben die Ausrichtung des Diebstahls auf den Ehebruch keineswegs bereits zum objektiven Sinngehalt eines Diebstahls gehört2; die intentionale Zuordnung ist eine solche des handelnden Subjekts, aber dies unbeschadet der Tatsache, daß die Sittlichkeit einer solchen Intention genau gleich nach objektiven Maßstäben beurteilt werden muß. (Fs) (notabene)
323a Festgehalten werden soll hier zunächst dies: Der Begriff des Handlungsobjektes im sittlichen Sinn beruht auf dem Begriff der "menschlichen Handlung". Objekt einer sittlichen Handlung ist demnach keinesfalls der Gegenstand irgendeiner Potenz oder menschlichen Kunstfertigkeit: sondern nur und ausschließlich ein Objekt des Willens, und d. h. ein "Ziel" oder ein vom Willen verfolgtes "Gut". Natürlich können in diese sittlichen Objekte des Willens objektive Elemente anderer Potenzen und Fertigkeiten integriert sein; das ist auch in der Regel der Fall. Sie bilden dann, als materiale Bestandteile des sittlichen Objektes, die sogenannte "materia circa quam", aber sie sind diese bereits als Bestandteile des sittlichen Objektes: Um nämlich als solche überhaupt dem Willen als ein Gut (oder Objekt) erscheinen zu können, müssen sie von der praktischen Vernunft geordnet und geprägt sein.1 (Fs)

323b Ein Beispiel: Das "Gut der Zeugung", das nach F. Böckle das Objekt des menschlichen Zeugungsaktes ist, ist, als solches, gar nicht das (sittliche) Objekt dieses Aktes; das "Gut der Zeugung" ist vielmehr das Gut (oder Objekt oder "finis naturalis") der menschlichen Zeugungspotenz, d. h. seine natürlich-biologische Zielhaftigkeit. Wenn wir jedoch das "Objekt" des menschlichen Zeugungsaktes als "sittliches Objekt" betrachten, d. h. als Objekt eines "actus humanus", was er ja in Wirklichkeit ist, und nicht eines "actus potentiae generativae", dann ist dieses Objekt nicht einfach das "Gut der Zeugung"; dieses wird zwar dieses Objekt material bestimmen, letzteres erschöpft sich jedoch keineswegs darin. Das Objekt des menschlichen Zeugungsaktes (als "actus humanus", personaler Akt) ist das menschliche Gut der Weitergabe menschlichen Lebens. Denn daß das (naturale) Objekt des rein physisch betrachteten Zeugungsaktes ein menschliches Wesen ist, darum "kümmert" sich die naturale Intentionalität der Zeugungspotenz überhaupt nicht; dieses Gut ist nur für den Menschen intendierbar, insofern er als Mensch handelt. Und er kann dieses Gut in all seinen Dimensionen erfassen, insofern er sich darüber im Klaren ist, was ein Mensch ist und worin die Würde und Sinnhaftigkeit menschlichen Lebens besteht; daß er eine direkt von Gott erschaffene unsterbliche Seele besitzt; daß der menschliche Zeugungsakt Mitwirkung an einem göttlichen Schöpfungsakt ist und daß Weitergabe des menschlichen Lebens Weitergabe des Ebenbildes Gottes, Aufbau der menschlichen Gemeinschaft und - in christlicher Perspektive - der Kirche als mystischer Leib Christi und Volk Gottes bedeutet. All diese objektiven Gehalte sind keineswegs im "Gut der Zeugung" als "finis maturalis" der "potentia generativa" enthalten. Sie werden vielmehr dadurch konstituiert, daß dieser generative Akt der Akt eines Menschen ist, daß er im Rahmen des menschlichen Suppositums (und dann auch in der übernatürlichen Ordnung der Gnade) einen umfassenderen, als den nur naturalen Sinngehalt besitzt und daß er, wird er vollzogen, ein "actus humanus" ist. Diese objektiv-sittlichen Gehalte sind nur dem Menschen als menschlich handelndem Wesen gegenständlich und werden so zum Objekt seines Tuns {"menschliche Zeugung"). (Fs)

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