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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: actus humanus; Objekt des Handelns - Gesinnung; finis operis

Kurzinhalt: Als "menschliche Handlungen" - ein Synonym für "sittliche Handlung"1 - werden Akte bezeichnet, über die der Mensch ein "dominium" besitzt,

Textausschnitt: 317c Der sehr präzise, aber etwas trockene technische Terminus "Objekt" läßt leicht vergessen, daß damit eigentlich die einzelnen Handlungen zukommende sittliche Finalität, die zugleich den sittlichen Gehalt oder Sinn solcher Handlungen ausmacht, gemeint ist.1 Gerade der Begriff des Objektes, und der mit diesem sachlich identische des "finis operis", ist immer wieder naturalistisch fehlgedeutet worden. Und man hat wohl auch nicht mit genügender Klarheit den Zusammenhang zwischen diesem "objektiven Sinn" des menschlichen Handelns und dem Naturgesetz als Gesetz der praktischen Vernunft durchscheinen lassen. Im folgenden sollen diese Zusammenhänge - ohne Anspruch auf eine vollständige und erschöpfende Darstellung - im Sinne einer abschließenden Synthese der bisherigen Analysen im Grundriß aufgezeigt werden. (Fs) [...]


318a Beim "Tun", dessen objektiver Sinngehalt hier zur Debatte steht, geht es nicht um irgend ein Tun, sondern um jenes, das der hl. Thomas "actus humanus" nennt. Als "menschliche Handlungen" - ein Synonym für "sittliche Handlung"1 - werden Akte bezeichnet, über die der Mensch ein "dominium" besitzt, bzw. insofern er über sie ein solches besitzt. Es sind also Akte, die der Mensch in personaler Autonomie, aus Freiheit, willentlich und mit vernünftiger Überlegung vollzieht: Denn durch die Vernunft und den Willen ist der Mensch Herr seines Tuns.2 (Fs)

318b Deshalb gibt es Tätigkeiten, die der Mensch vollzieht, die als solche noch nicht eine "menschliche (bzw. sittliche) Handlung" genannt werden können: Beispielsweise reine Erkenntnisakte (als solche) oder Akte des Herstellens (Technik, Kunst), "Menschliche Handlungen" gehören immer dem Bereich einer sittlichen Tugend an, bzw. stellen sich einer solchen, als Laster, entgegen. Die Herstellung eines Schuhs oder eines Gebäudes, der Vollzug einer wissenschaftlichen Erkenntnis oder das Malen eines Gemäldes können jedoch als solche keiner (sittlichen) Tugend zugeordnet werden. Wenn wir also sagen würden, das "Objekt" der Schuhfabrikation ist der Schuh, das der Bautätigkeit das Haus, dasjenige der wissenschafltichen Erkenntnis z. B. das Gehirn einer weißen Maus und jenes des Malens eine bestimmte Landschaft, so sprechen wir nicht von "Objekten" als Gehalten von sittlichen Handlungen. Auch wenn wir diese Objekte als Ziele der entsprechenden Tätigkeiten betrachten (Ziel der Schuhfabrikation ist der Schuh, [...]

318d Damit will nun nicht gesagt sein, daß diese Art von Handlungen (menschliches Schaffen, Herstellen, Forschen, künstlerische Tätigkeit) nicht auch "sittliche Handlungen" sein können; ja es muß sogar gesagt sein, daß sie dies notwendigerweise de facto immer sind. Wer Schuhe fabriziert, Häuser baut, Gehirnfunktionen von weißen Mäusen untersucht oder Bilder malt, tut dies immer auch, weil er darin ein bestimmtes praktisches Gut verfolgt; Häuser baut man nicht, um der Häuser willen, [...]

319a So gelangen wir, auf einer anderen Ebene, zu einem zweiten Begriff von "Objekt" des Handelns: Auch wenn der Architekt "Häuser" baut (der materiale Aspekt seines Tuns) so ist das, was er tut formell und im sittlichen Sinne wesentlich ein Akt, der über das faktische "Gebäude-Errichten" hinausweist (etwa ein Akt der Gerechtigkeit, sofern die Häuser tatsächlich dazu taugen, um darin wohnen zu können). Denn er verfolgt ein menschliches Gut, und zwar in der Regel für andere. Würde er das nicht, so wäre er zwar vielleicht kein schlechter Architekt, aber sein Tun wäre im sittlichen Sinne objektiv verschieden; etwa wenn er, anstatt im Hinblick auf das gemeine Wohl menschliche Wohn-, Arbeits- und Kulturstätten, allgemein: menschlich "Nützliches" zu schaffen, sein Können dafür verwenden würde, andere Menschen "gekonnt" zu hintergehen und sich dabei zu bereichern.1 (Fs)

320a Es scheint mir wichtig darauf hinzuweisen, daß dabei noch nicht die Frage der "Intention" angeschnitten ist.2 Dies wäre der Fall, wenn wir, über das Gesagte hinaus, noch die Möglichkeit in Betracht ziehen würden, daß der Architekt seine Tätigkeit vollzieht, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, einen Wettbewerbspreis zu gewinnen oder berühmt und bestaunt zu werden; solche über den objektiven Sinn des Tuns hinausweisende Intentionen liegen in der Regel vor und sie sind sittlich höchst bedeutsam,ja letztlich sogar ausschlaggebend. Das Objekt jedoch, von dem hier die Rede ist, ist jenes Ziel, das mit einem Tun in sich, also "objektiv" verfolgt wird und das diesem Tun zuallererst überhaupt einmal Charakter und Spezifität einer "menschlichen" bzw. "sittlichen Handlung", also seine "moralische Differenz" verleiht.1 (Fs)

320b Die genannten Beispiele beziehen sich auf Handlungen, die ja nun zunächst einmal nicht die typischsten und elementarsten für "sittliche Handlungen" sind, weil sie ursprünglich auch gar nicht aus dem Bereich des sittlichen Handelns stammen. Analogien aus dem nicht-sittlichen Bereich sind jedoch, wenn man sie nicht mißbraucht, äußerst hilfreich, weil man gerade an ihnen mit besonderer Klarheit jene spezifischen Bedingungen auszumachen vermag, die zu einer sittlichen Handlung gehören. In anderen Handlungsbereichen ist dies oft schwieriger. Akte wie "essen" ("sich ernähren"), "ein Kind zeugen", "sprechen" (wenn wir einmal von der rhetorischen "Kunst des Überzeugens" absehen), "einen Menschen töten" usw. besitzen die Eigenart, daß sie ursprünglich dem Bereich des sittlichen Handelns zugehören; d. h., sie können überhaupt nur als sittliche Handlungen, als actus humanus als Gegenstand eines Tuns betrachtet werden. Es ist sinnvoll, den Architekten als Architekten vom Architekten als Menschen zu unterscheiden; es wäre aber nicht sinnvoll, denjenigen, der sich ernährt als solchen, von einem, der sich ernährt, als Mensch zu unterscheiden; und so auch in den anderen Fällen. Natürlich können wir den Prozeß der Ernährung, [...]

321a Oder anders gesagt: Ein Architekt, der ein guter, d. h. kompetenter Architekt ist, handelt als guter und kompetenter Architekt auch unter Absehung der sittlichen Komponente seines Handelns als menschliches Handeln. Jemanden uns den Akt der Zeugung unter Absehung seiner Qualität als actus humanus vorzustellen zu versuchen, dürfte uns kaum gelingen; wir betrachten ja als einen schlechten ("inkompetenten") "Erzeuger" oder "Vermittler" menschlichen Lebens gerade denjenigen, der die moralische Dimension seines Handelns nicht oder falsch berücksichtigt. (Fs)
321b Im Bereich des menschlichen Handelns sind in den meisten Fällen die Sphären des "Kunsthandels" und jene des genuin sittlichen Handelns vermengt. Verschiedenste Arten von Fertigkeiten, technisches Können und Hilfsmittel geraten in den Bereich menschlichen Handelns. Das macht es uns vielleicht heute gerade schwer, besonders zwei menschliche Handlungssphären, die genuin sittlicher Art sind, als solche zu erkennen und sie in ihrer Eigenart vom bloßen Kunsthandeln, der Fertigkeit, dem "Können" usw. zu unterscheiden: die menschliche Sprache und die menschliche Sexualität. Das zeigt sich nicht zuletzt in der so gängigen Reduktion sittlicher Handlungsobjekte auf vor-sittliche Güter.1 (Fs)

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