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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Zusammenfassung 2: teleologische Ethik; Tun - Gesinnung (Intention);

Kurzinhalt: ... untrennbare Verschmelzung von Tun und Gesinnung, von Vernunft und Wille, von objektivem Handlungssinn und Subjektivität.

Textausschnitt: 313b Menschliches Handeln ist wesentlich elektives, oder aristotelisch gesagt: prohairetisches Handeln. Jedes Handeln ist wesentlich ein Wollen, und auch Handlungsobjekte sind immer Gegenstände eines Wollens, sei dies nun auf der Ebene der konkreten Handlungswahl oder auf jener der diese Wahl (electio) mitprägenden Intention, die ja selbst sich immer auf Handlungsobjekte bezieht, aber solche, die nicht unmittelbar, sondern nur über anderes (ea quae sunt ad finem, die sog. "Mittel") erreichen läßt. Die Intention ist nicht die zum objektiven Element des Tuns hinzutretende "subjektive" Gesinnung, sondern sie besitzt ebenfalls immer einen objektiven, vernunftgeprägten Charakter; und als Willensakt ist die Intention ebenso wie die konkrete Handlungswahl Bestandteil meines Innern, meiner Subjektivität: Sowohl, was ich tue, wie auch, was ich mit diesem Tun intendiere, formt die Gesinnung. Gleichzeitig kommt auch beiden eine objektive Bedeutung zu: Sowohl, was ich tue, als auch was ich intendiere, besitzt einen objektiven Gehalt, der von der Vernunft in einem praktischen Uneil (präzeptiv) ausgesprochen und geprägt ist. Das in der sogenannten "teleologischen Ethik" supponierte "Nebeneinander", "Übereinander" bzw. "Nacheinander" von 'guter Gesinnung' und nichtiger Handlungsweise" ist handlungstheoretisch verfehlt und verpaßt die Eigenheit des sittlichen Handelns: Die untrennbare Verschmelzung von Tun und Gesinnung, von Vernunft und Wille, von objektivem Handlungssinn und Subjektivität. (Fs) (notabene)

314a Es verpaßt auch die Möglichkeit, jene Akte, die nur im Inneren des Menschen vollzogen werden, als sittliche Handlungen aufzufassen, und letztlich also gerade die "Gesinnung des Herzens" in die ethische Analyse einzubeziehen.1 Denn wie könnte man "teleologisch" ein Urteil bilden: Die Folge der Tötung eines Unschuldigen (auch nur schon des Willens zu einer solchen Tötung) ist die "Verunreinigung des Herzens", die Bosheit der Gesinnung? Ein "Teleologe" kann aufgrund seines Ansatzes sich nur auf die äußeren, letztlich inter-personalen, Folgen seines Handelns beschränken, muß allerdings die "inner-personalen" unberücksichtigt lassen.2 Mir ist kein teleologisches Kalkül bekannt, das die "gute Gesinnung" oder die "Reinheit des Herzens" selbst in die Güterabwägung einbezogen hätte. Das wäre auch aus dem Blickwinkel dieser Ethik bedeutungslos, denn sie behauptet ja, die durch Güterabwägung festgestellte "Richtigkeit" von Handlungsweisen konstituiere sich unabhängig und von und vor aller Gesinnung; denn die Gesinnung ist ein sittliches Gut, die abzuwägenden Güter jedoch sind vor-sittliche Güter. (Fs)
314b Im Rahmen einer Ethik hingegen, die den objektiv-werthaften Charakter des menschlichen Handelns zu bestimmen und zu analysieren vermag, können dann auch deontologische Formulierungen jener Handlungsbedingungen vorgenommen werden, die unabhängig von allen Umständen oder Folgen immer gewahrt sein müssen, damit Wert und Sinngehalt des Handelns als menschliches Handeln überhaupt gewahrt bleiben. Solchen deontologischen Formulierungen liegen immer anthropologisch fundierte teleologische Begründungen zugrunde, auch wenn diese in bestimmten Zusammenhängen (z. B. Lehramtsäußerungen) nicht unbedingt aufgeführt zu werden brauchen. Sie fallen spezifisch in die Kompetenz der philosophischen Ethik. (Fs)

315a Damit vermag die Ethik über den "objektiven Sinn" des menschlichen Handelns zu sprechen, womit mit "objektiv" nicht die Zielhaftigkeit einzelner Akte auf der naturalen Ebene (genus naturae) gemeint ist, sondern der menschlich-personale und damit auch sittliche Gehalt bestimmter Handlungsweisen; dieser objektive Gehalt (das sogenannte "moralische Objekt") entspricht jeweils einer spezifischen sittlichen Tugend. (Fs)

315b In der sogenannten teleologischen Ethik fehlt die Möglichkeit zu einer solchen Analyse der objektiven Struktur (Wertstruktur) des menschlichen Handelns als spezifisch menschliches. Handlungen werden auf der Ebene vorsittlicher Güter spezifiziert, Werte unabhängig davon auf einer "transzendentalen" Ebene, die durch einen versteckten Deontologismus begründet wird. Damit wird es unmöglich, konkrete Handlungsweisen sittlichen Werten zuzuordnen. Letztlich wird versucht, den sittlichen Sinn des Handelns durch Güterabwägung zu rekonstruieren, ein Verfahren, das allerdings der Struktur des naturalistischen Fehlschlußes entspricht. Durch den Hiatus von sittlichen Werten und Handlungen wird dem Menschen eine praktisch unbeschränkte Verfügungsgewalt über sein eigenes Sein zugesprochen. (Fs) (notabene)

315c Die natürliche Vernunft, die ad imaginem Dei geschaffen ist, fällt dabei in ihrer Telos-funktion und maßstäblichen Aufgabe völlig außer Betracht. Es ist jedoch gerade die Vernunft, die in ihrer Stellung im menschlichen Suppositum, ihrer personalen Bedeutung also, überhaupt menschliche Handlungen in ihrem genus moris konstituiert. Ihre Akte als praktische Vernunft bilden ein natürliches Gesetz, das Gesetz der praktischen Vernunft, das das menschliche Handeln normativ prägt und es als sittliches konstituiert. (Fs)

315d Daß über dies hinaus, ist einmal der menschliche Gehalt des menschlichen Handelns gewahrt, eine Fülle anderer Gesichtspunkte für die Setzung einer sittlich richtigen Handlung hinzutreten, dabei auch Umstände, Folgen usw. berücksichtigt werden müssen, steht hierbei gar nicht zur Diskussion. Das ist immer schon klar gewesen. Was hingegen in der teleologischen Ethik nicht mehr klar zu sein scheint, ist, daß der spezifisch menschliche Sinngehalt des Handelns, sein sittlicher Gehalt also, nicht von der Situationsbezogenheit des Handelns abhängt und nur insofern von den Folgen, als zu diesen Folgen auch jene gezählt werden, die sich in einem anthropologischen Rückbezug für menschliches Handeln als menschliches eben als konstitutiv erweisen. (Fs)

315e Deshalb kann man bei der sogenannten "teleologischen Ethik" auch von "Utilitarismus" sprechen. Diese Ethik ist utilitaristisch, weil sie behauptet, daß grundsätzlich jede Handlungsweise gut, bzw. keine Handlungsweise grundsätzlich sittlich schlecht sein kann. Denn unter "Utilitarismus" versteht man ja genau das: Daß sich prinzipiell jede Handlung erst innerhalb eines Nutzenkalküls in ihrem sittlichen Wert formuliert und entsprechend auch jeweils neu bewertet werden kann; daß ihre sittliche Bewertung also grundsätzlich zur Disposition des Handelnden steht. (Fs)

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