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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Bultmann; Kosmos - Geist -> Weltgeschichte; Komplexion; Notwendigkeit: "Positivismus" der Christologie; der Einzelne als Mitte der Geschichte

Kurzinhalt: ... zu richten die Lebendigen und die Toten; dass der Kosmos Bewegung ist; dass es nicht bloß in ihm eine Geschichte gibt, sondern ...; Dies einzusehen rechtfertigt auch noch einmal den scheinbaren Positivismus der Christologie ...

Textausschnitt: 301a Rudolf Bultmann rechnet, wie Höllenfahrt und Himmelfahrt des Herrn, auch den Glauben an »das Ende der Welt« durch die richtende Wiederkunft des Herrn zu jenen Vorstellungen, die für den modernen Menschen »erledigt« sind: Jeder Vernünftige sei davon überzeugt, dass die Welt weitergehe, wie sie nun schon fast zweitausend Jahre nach der eschatologischen Verkündigung des Neuen Testamentes weitergegangen ist. Eine solche Bereinigung des Denkens scheint hier um so mehr gefordert zu sein, als die biblische Botschaft in dieser Sache unbestreitbar auch stark kosmologische Elemente enthält, also in jenen Bereich ausgreift, den wir als das Feld der Naturwissenschaften vor Augen haben. Zwar bedeutet in der Redeweise vom Weltende das Wort »Welt« zunächst nicht den physikalischen Bau des Kosmos, sondern die Menschenwelt, die menschliche Geschichte; unmittelbar will diese Redeweise also sagen, dass diese Art von Welt - die Menschenwelt - an ein von Gott verfügtes und vollzogenes Ende kommen werde. Aber es ist nicht zu leugnen, dass die Bibel dieses wesentlich anthropologische Ereignis in kosmologischen (zum Teil auch in politischen) Bildern vorstellt. Wieweit es sich dabei nur um Bilder handelt und wieweit die Bilder doch die Sache selbst
betreffen, wird schwer zu entscheiden sein. (Fs)

301b Sicher kann man darüber nur vom größeren Zusammenhang der ganzen Weltansicht der Bibel her etwas sagen. Für sie aber sind Kosmos und Mensch gar nicht zwei reinlich trennbare Größen, sodass der Kosmos etwa den zufälligen Schauplatz des Menschseins bilden würde, das man an sich auch davon abtrennen und weltlos sich vollziehen lassen könnte. Welt und Menschsein gehören vielmehr beide notwendig zueinander, sodass weder ein weltloses Menschsein noch auch eine menschenlose Welt denkbar erscheint. Das Erste ist uns heute wieder ohne weiteres einsichtig; das Zweite sollte uns, etwa nach den Belehrungen, die wir von Teilhard empfangen haben, auch nicht mehr ganz unverständlich bleiben. Von da aus möchte man versucht sein, zu sagen, dass die biblische Botschaft vom Weltende und von der Wiederkunft des Herrn nicht einfach Anthropologie in kosmischen Bildern sei; auch nicht bloß einen kosmologischen Aspekt neben einem anthropologischen aufweise, sondern in der inneren Konsequenz der biblischen Gesamtansicht das Ineinsfallen von Anthropologie und Kosmologie in der definitiven Christologie und eben darin das Ende der »Welt« darstelle, die in ihrer zweieinigen Konstruktion aus Kosmos und Mensch immer schon auf diese Einheit als ihren Zielpunkt verweist. Kosmos und Mensch, die je schon zueinander gehören, wenn sie auch so oft gegeneinander stehen, werden eins sein durch ihre Komplexion im Größeren der den Bios überschreitenden und umgreifenden Liebe, wie wir vorhin sagten: Damit wird hier noch einmal sichtbar, wie sehr das End-Eschatologische und der in der Auferstehung Jesu geschehene Durchbruch real eins sind; es wird noch einmal deutlich, dass das Neue Testament mit Recht diese Auferstehung als das Eschatologische hinstellt. (Fs)

302a Um vorwärts zu kommen, müssen wir unseren Gedanken noch etwas deutlicher auseinander falten. Wir hatten eben gesagt, der Kosmos sei nicht bloß ein äußerer Rahmen der menschlichen Geschichte, nicht ein statisches Gebilde - eine Art Behälter, in dem allerlei Lebewesen vorkommen, die man an sich auch ebensogut in einen anderen Behälter umfüllen könnte. Das bedeutet positiv, dass der Kosmos Bewegung ist; dass es nicht bloß in ihm eine Geschichte gibt, sondern dass er selbst Geschichte ist: Er bildet nicht bloß den Schauplatz der menschlichen Geschichte, sondern ist selbst vor ihr schon und mit ihr dann »Geschichte«. Letztlich gibt es nur eine einzige umfassende Welt-geschichte, die in allem Auf und Ab, in allem Vorwärts und Rückwärts, das sie aufweist, doch eine Gesamtrichtung hat und »vorwärts«geht. Gewiss, für denjenigen, der nur einen Ausschnitt sieht, erscheint dieses Stück, selbst wenn es verhältnismäßig groß sein mag, nur wie ein Kreisen im ständig Gleichen. Eine Richtung ist nicht zu erkennen. Erst wer anfängt, das Ganze zu sehen, bemerkt sie. In dieser kosmischen Bewegung aber ist, wie wir früher schon sahen, der Geist nicht irgendein zufälliges Nebenprodukt der Entwicklung, das fürs Ganze nichts zu bedeuten hätte; vielmehr konnten wir feststellen, dass in ihr die Materie und deren Entfaltung die Vorgeschichte des Geistes bilden. (Fs)

303a Der Glaube an die Wiederkunft Jesu Christi und an die Vollendung der Welt in ihr ließe sich von da aus erklären als die Überzeugung, dass unsere Geschichte auf einen Punkt Omega zuschreitet, in dem endgültig deutlich und unübersehbar sein wird, dass jenes Stabile, das uns gleichsam als der tragende Wirklichkeitsboden erscheint, nicht die bloße, ihrer selbst nicht bewusste Materie ist, sondern dass der eigentliche, feste Boden der Sinn ist: Er hält das Sein zusammen, er gibt ihm Wirklichkeit, ja, er ist die Wirklichkeit - nicht von unten, sondern von oben her empfängt das Sein seinen Bestand. Dass es diesen Vorgang der Komplexion des materiellen Seins durch den Geist und von diesem her dessen Zusammenfassung in eine neue Form der Einheit gibt, können wir in gewissem Sinn schon heute erfahren in der Umschaffung der Welt, wie sie sich durch die Technik zuträgt. In der Manipulierbarkeit des Wirklichen beginnen sich uns bereits die Grenzen zwischen Natur und Technik zu verwischen, beides ist nicht mehr eindeutig voneinander zu trennen. Gewiss ist dieses Analogon in mehr als einer Hinsicht fragwürdig zu nennen. Dennoch deutet sich uns in solchen Vorgängen eine Weltgestalt an, in der Geist und Natur nicht einfach nebeneinander stehen, sondern in einer neuen Komplexion der Geist das scheinbar bloß Naturale in sich einbezieht und damit eine neue Welt erschafft, die zugleich notwendig den Untergang der alten bedeutet. Nun ist das Weltende, an das der Christ glaubt, gewiss etwas ganz anderes als der totale Sieg der Technik. Aber die Verschmelzung von Natur und Geist, die in ihr geschieht, ermöglicht uns doch, auf neue Weise zu erfassen, in welcher Richtung die Wirklichkeit des Glaubens an die Wiederkunft Christi zu denken ist: als Glaube an die endgültige Vereinigung des Wirklichen vom Geist her. (Fs)

304a Damit eröffnet sich ein weiterer Schritt. Wir hatten gesagt, dass Natur und Geist eine einzige Geschichte bilden, die so voranschreitet, dass der Geist immer mehr als das alles Umgreifende sich erweist und so konkret Anthropologie und Kosmologie schließlich ineinander münden. Diese Behauptung von der zunehmenden Komplexion der Welt durch den Geist bedeutet aber notwendig ihre Vereinigung auf eine personale Mitte hin, denn der Geist ist nicht irgendein unbestimmtes Etwas, sondern wo er in seiner Eigentlichkeit existiert, besteht er als Individualität, als Person. Zwar gibt es so etwas wie »objektiven Geist«, Geist investiert in Maschinen, in Werke vielfältigster Art; aber in all diesen Fällen besteht der Geist nicht in der ihm ursprünglichen Form: »objektiver Geist« ist immer abkünftig von subjektivem Geist, er verweist zurück auf Person, die einzig eigentliche Existenzweise des Geistes. Die Behauptung, dass die Welt auf eine Komplexion durch den Geist zugehe, schließt also die Aussage ein, dass der Kosmos auf eine Vereinigung im Personalen zugeht. (Fs) (notabene)

304b Das aber bestätigt noch einmal den unendlichen Vorrang des Einzelnen vor dem Allgemeinen. Dieses früher entwickelte Prinzip zeigt sich hier wiederum in seinem ganzen Gewicht. Die Welt bewegt sich auf die Einheit in der Person zu. Das Ganze erhält seinen Sinn vom Einzelnen und nicht umgekehrt. Dies einzusehen rechtfertigt auch noch einmal den scheinbaren Positivismus der Christologie, jene für die Menschen aller Zeiten so skandalöse Überzeugung, die einen Einzelnen zur Mitte der Geschichte und des Ganzen macht. Dieser »Positivismus« erweist sich hier erneut in seiner inneren Notwendigkeit: Wenn es wahr ist, dass am Ende der Triumph des Geistes steht, das heißt der Triumph der Wahrheit, Freiheit, Liebe, dann ist es nicht irgendeine Kraft, die am Schluss den Sieg davonträgt, dann ist es ein Antlitz, das am Ende steht. Dann ist das Omega der Welt ein Du, eine Person, ein Einzelner. Dann ist die allumgreifende Komplexion, die unendlich alles umfassende Vereinigung, zugleich die endgültige Verneinung alles Kollektivismus, die Verneinung jedes Fanatismus der bloßen Idee, auch einer so genannten Idee des Christentums. Immer hat der Mensch, die Person, den Vorrang vor der bloßen Idee. (Fs) (notabene)

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