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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Zusammenhang: Himmel - Himmelfahrt; Definition: Himmel; Naheschatologie; Naherwartung; Jenseits - Diesseits; Bittgebet; Ewigkeit

Kurzinhalt: Der Himmel ist zu definieren als das Sichberühren des Wesens Mensch mit dem Wesen Gott; Ewigkeit steht nicht etwa beziehungslos neben der Zeit, sondern sie ist die schöpferisch tragende Macht aller Zeit ...

Textausschnitt: 296a Von hier aus lässt sich nun überhaupt erst zeigen, was christlich gesehen eigentlich mit Himmel gemeint ist. Er ist nicht zu verstehen als ein ewiger, überweltlicher Ort, aber auch nicht einfach als eine ewige metaphysische Region. Wir müssen vielmehr sagen, dass die Wirklichkeiten »Himmel« und »Himmelfahrt Christi« untrennbar zusammenhängen; erst von diesem Zusammenhang her wird der christologische, personale, geschichtsbezogene Sinn der christlichen Botschaft vom Himmel deutlich. Setzen wir noch einmal anders an: Himmel ist nicht ein Ort, der vor der Himmelfahrt Christi aus einem positivistischen Strafdekret Gottes heraus abgesperrt gewesen wäre, um dann eines Tages ebenso positivistisch aufgeschlossen zu werden. Die Wirklichkeit Himmel entsteht vielmehr allererst durch das Ineinstreten von Gott und Mensch. Der Himmel ist zu definieren als das Sichberühren des Wesens Mensch mit dem Wesen Gott; dieses Ineinstreten von Gott und Mensch ist in Christus mit seinem Überschritt über den Bios durch den Tod hindurch zum neuen Leben endgültig geschehen. Himmel ist demnach jene Zukunft des Menschen und der Menschheit, die diese sich nicht selbst geben kann, die ihr daher, solange sie nur auf sich selbst wartet, verschlossen ist und die erstmals und grundlegend eröffnet worden ist in dem Menschen, dessen Existenzort Gott war und durch den Gott ins Wesen Mensch eingetreten ist. (Fs) (notabene)

[...] Eine der auffälligsten Gegebenheiten des biblischen Befundes, wovon Exegese und Theologie seit etwa einem halben Jahrhundert zutiefst bedrängt und umgetrieben werden, bildet die so genannte Naheschatologie; das will sagen: In der Botschaft Jesu und der Apostel sieht es so aus, als würde das Weltende als unmittelbar bevorstehend angekündigt. Ja, man kann den Eindruck gewinnen, dass die Botschaft vom nahen Ende sogar der eigentliche Kern der Predigt Jesu und der beginnenden Kirche gewesen sei. Die Gestalt Jesu, sein Tod und seine Auferstehung werden in einer Weise mit dieser Vorstellung in Verbindung gebracht, die uns ebenso befremdlich wie unverständlich ist. Selbstverständlich kann hier nicht im Einzelnen auf den weit erstreckten Fragebereich eingegangen werden, der damit berührt ist. Aber ist nicht mit unseren letzten Überlegungen der Weg sichtbar geworden, auf dem dafür die Antwort gesucht werden kann? Wir haben Auferstehung und Himmelfahrt beschrieben als das endgültige Ineinandertreten des Wesens Mensch mit dem Wesen Gott, das dem Menschen die Möglichkeit immerwährenden Seins eröffnet. Wir haben beides zu verstehen versucht als das Stärkersein der Liebe gegenüber dem Tod und so als die entscheidende »Mutation« von Mensch und Kosmos, in der die Biosgrenze aufgebrochen und ein neuer Daseinsraum geschaffen ist. Wenn das alles zutrifft, dann bedeutet es den Beginn der »Eschatologie«, des Weltendes. Mit der Überschreitung der Todesgrenze ist die Zukunftsdimension der Menschheit eröffnet, ihre Zukunft hat in der Tat schon begonnen. So wird aber auch sichtbar, wie die Unsterblichkeitshoffnung des Einzelnen und die Ewigkeitsmöglichkeit der Menschheit insgesamt ineinander greifen und beides sich in Christus trifft, der ebenso die »Mitte« wie, recht verstanden, das »Ende« der Geschichte heißen darf. [...]

299a Das heutige Denken lässt sich meist von der Vorstellung leiten, dass die Ewigkeit gleichsam in ihre Unveränderlichkeit eingeschlossen sei; Gott erscheint als der Gefangene seines »vor allen Zeiten« gefassten ewigen Planes. »Sein« und »Werden« vermischen sich nicht. Ewigkeit wird so rein negativ verstanden als Zeitlosigkeit, als das andere gegenüber der Zeit, das schon deshalb nicht in die Zeit einwirken kann, weil es damit ja aufhören würde, unveränderlich zu sein, und selbst zeitlich würde. Diese Gedanken verbleiben im Grund in einer vorchristlichen Auffassung, in welcher der Gottesbegriff gar nicht zur Kenntnis genommen ist, der sich im Glauben an Schöpfung und Menschwerdung zu Worte meldet. Sie setzen - was hier nicht ausgeführt werden kann - letztlich den antiken Dualismus voraus, und sie sind Zeichen einer denkerischen Naivität, die Gott doch wieder nach Menschenweise betrachtet. Denn wenn man meint, was Gott »vor« Ewigkeit geplant habe, könne er nicht nachträglich wieder ändern, so wird Ewigkeit unvermerkt doch wieder mit dem Schema der Zeit, im Unterscheiden von »Vor« und »Nach«, gedacht. (Fs)

299b Ewigkeit aber ist nicht das Uralte, das vor der Zeit war, sondern sie ist das ganz Andere, das zu jeder vorübergehenden Zeit sich als ihr Heute verhält, ihr wirklich heutig ist; sie ist nicht selbst wieder in ein Vor und Nach versperrt, sie ist vielmehr die Macht der Gegenwart in aller Zeit. Ewigkeit steht nicht etwa beziehungslos neben der Zeit, sondern sie ist die schöpferisch tragende Macht aller Zeit, die die vorübergehende Zeit in ihrer einigen Gegenwart umspannt und ihr so das Seinkönnen gibt. Sie ist nicht Zeitlosigkeit, sondern Zeitmächtigkeit. Als das Heute, das allen Zeiten gleichzeitig ist, kann sie auch in jede Zeit hineinwirken. (Fs)

299c Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, kraft deren der ewige Gott und der zeithafte Mensch in einer einzigen Person ineinander treten, ist nichts anderes als die letzte Konkretwerdung der Zeitmächtigkeit Gottes. Gott hat an diesem Punkt der menschlichen Existenz Jesu die Zeit ergriffen und in sich selbst hineingezogen. Seine Zeitmächtigkeit steht gleichsam leibhaftig vor uns in ihm. Christus ist wirklich, wie es das Johannesevangelium sagt, die »Tür« zwischen Gott und Mensch (Jo 10,9), ihr »Mittler« (1 Tim 2,5), in dem der Ewige Zeit hat. In Jesus können wir Zeitliche den Zeitlichen anreden, unseren Zeitgenossen; in ihm, der mit uns Zeit ist, berühren wir aber zugleich den Ewigen, weil er mit uns Zeit und mit Gott Ewigkeit ist. (Fs)

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