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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: objektiv-sittlich - subjektiv-sittlich; sittlich-objekiv - naturhaft-objektiv; Rahner, Rotter; Objektivität = Wahrheit der Subjektivität

Kurzinhalt: Das Gegensatzpaar "objektiv" - "subjektiv" ist in der Moral eine Falschmünze; Gegenbegriffe zum sittlich-Objektiven sind z. B. das naturhaft-Objektive (genus naturae) oder ...

Textausschnitt: 343a Mit "Objekt" oder "objektivem Sinn" ist also nicht eine dingliche, naturhafte, unabhängig vom Handelnden bestehende "Wirklichkeit" oder ein "objektives Geschehen" gemeint, die dann von einer "subjektiven" Willentlichkeit durchformt würde, auch wenn diese als "Wollen" des naturhaften Geschehens gefordert wird; überhaupt nicht etwas, was im Gegensatz zum "Subjektiven" stünde. Das Gegensatzpaar "objektiv" - "subjektiv" ist in der Moral eine Falschmünze. Denn das objektiv-Sittliche ist das dem Willen des handelnden Subjektes durch die praktische Erkenntnis der Vernunft gegenständliche und als actus humanus (personal) vollzogene Handeln. "Objektiv gut" heißt, wie wir früher formulierten, soviel wie in die natürliche Intentionalität der "ratio naturalis" integriert und durch diese geordnet, gemessen, reguliert; oder auch: in den Kontext der Gesamt-Person, des Suppositums, und damit auch in die Finalitätsstruktur des menschlichen Seins integriert. "Subjektive" sittliche Intentionen müssen, um "gute Intention" zu sein, immer auch objektiv gut, d. h. vernunftgemäß, sein. Und das Objekt einer Handlung konstituiert sich nicht ohne den Bezug der Handlung zum handelnden Subjekt, seiner Vernunft und seinem Willen, - obwohl man es auch "abstrakt" als "Handlungstyp" oder "Handlungsweise" vergegenständlichen kann, dies jedoch nie unabhängig von seinem konstitutiven Bezug zur praktischen Vernunft; denn die abstrakte Vergegenständlichung einer Handlung und ihres "finis operis" (oder Objektes) ist nie die Vergegenständlichung eines rein "äußeren Faktums", sondern ihre Betrachtung "secundum quod est in ordinatione et apprehensione rationis"1; alles andere hieße, nur noch den Kadaver der sittlichen Handlung zu untersuchen, der ebensowenig eine sittliche Handlung ist, wie der Leichnam eines Menschen ein zusammenhängender Organismus ist. An einem Kadaver kann man nur noch die einzelnen Teile "sub ratione partis" studieren, aber nicht mehr den Gesamtorganismus. (Fs)

343b Das "Objektive" am menschlichen Handeln stellt sich also nicht dem "Subjektiven" gegenüber. Gegenbegriffe zum sittlich-Objektiven sind z. B. das naturhaft-Objektive (genus naturae) oder das nicht durch die Vernunft Geordnete, d. h. das, was nicht dem Willen durch die Vernunft gegenständlich ist. Das "Subjektive" - insofern man es als Gegensatz zum "Objektiven" begreift - ist der bloße Schein (das aristotelische nur "phainomenen agathon" oder nur "scheinbar Gute" im Gegensatz zum "wahrhaft Guten") oder die bloße "Meinung" (doxa), die sich noch nicht der Objektivität der Wahrheit vergewissert hat. Identifiziert man jedoch das "Subjektive" mit dem Sittlichen oder Personalen schlechthin, so ist es kein Gegenbegriff mehr zum sittlich-Objektiven, sondern stellt es sich einer anderen Art von Objektivität gegenüber: Der dinglichen Objektivität der den Menschen umgebenden Welt, Natur oder Gesellschaft. Diesen zweiten, nicht-ethischen Begriff des Objektiven mit demjenigen sittlicher Objektivität zu verwechseln und ihn dann einer sittlichen "Subjetivität" gegenüberzustellen, ist nicht nur ein folgenreicher Fehler vieler "traditionell" orientierter Moraltheologen; er findet sich insbesondere auch bei K. Rahner1, sowie seinen Schülern B. Schüller2 und H. Rotter3, ebenso bei F. Böckle, zunächst bezüglich des Begriffes des Handlungsobjektes4, und dann auch hinsichtlich der Beziehung des "Objektiven" zum "Subjektiven" (Objekt-Intention)5; nicht weniger deutlich treffen wir das Mißverständnis bei F. Scholz61, J. Fuchs82 und vielen anderen. (Fs)

Fußnote Rotter:
78 "Die Fähigkeit des Menschen, zur Welt in eine innere Distanz zu treten und die Dinge als Objekte zu begreifen, bedingt gleichzeitig die Fähigkeit zur Subjektivität." - "Der Begriff 'objektiv' wird in sehr verschiedenem Sinne gebraucht. Hier sei er als Gegensatz zu jenen subjektiven Dimensionen des menschlichen Aktes verstanden, die durch Gefühl und Freiheit charakterisiert sind. Objektive Momente im sittlichen Anspruch sind also jene Gegebenheiten, die unabhängig von personaler Stellungnahme vorgegeben sind" (H. ROTTER, Subjektivität und Objektivität des sittlichen Anspruchs, in: Christlich glauben und handeln, a. a. O., S. 196 u. 203). Man versteht, daß sich viele Moraltheologen aus einem solcherart entstellten Begriff des "Objektiven" zu befreien suchen. Man beachte: Das "Objekt" ist auch hier wiederum das, was vom eigentlich Menschlichen, Personalen absieht und ihm "vorausliegt". Sein Gegenbegriff ist "Freiheit". In Wirklichkeit sind jedoch das "Objektive" die durch die praktische Vernunft des Menschen im Kontext der Person konstituierten spezifisch-menschlichen Sinngehalte des Handelns. Das Vernünftig-Objektive ist nicht Gegensatz zur Freiheit oder deren Einschränkung und Bedrohung, sondern vielmehr ihr Fundament, "radix libertatis", wie Thomas sagt.

345a Die Vernunft, so sei es einmal gesagt, ist genau in dem Maße objektiv, wie sie subjektiv ist, d. h., wie sie meine Vernunft ist, aufgrund derer ich erkenne und unterscheide, was gut und schlecht ist. Objektivität im sittlichen Sinne ist letztlich nichts anderes als die Wahrheit der Subjektivität, eine Wahrheit, die sich der "ordinatio" der praktischen Vernunft verdankt und sich fundamental und in universaler Weise als "lex naturalis" zeigt. Eine Unterscheidung zwischen "subjektiver" und "objektiver" Sittlichkeit zu machen hat gerade deshalb, aber auch nur deshalb einen Sinn, weil die Vernunft und damit auch das Gewissen unter bestimmten Umständen ohne eigene Schuld irren kann. Aber sogar diese Art von Subjektivität besitzt in einem gewissen Sinn (per accidens, würde Thomas sagen) den Charakter von Objektivität: Nämlich der unaufgebbaren Tatsache, daß der Mensch, will er Mensch bleiben, gemäß den Diktaten seiner Vernunft handeln muß. (Fs)

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