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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Deontologie - Teleologie; kein Zirkel: gut; Wille Gottes; Unterschied: deontologische Formulierung - teleologische Begründung

Kurzinhalt: Teleologie und Deontologie sind also nicht zwei verschiedene Formen der Begründung von Normen, sondern sie entsprechen zwei unterschiedlichen Ebenen oder Aspekten des Umgangs mit normativen Aussagen.

Textausschnitt: 285c Schüller nennt jede Ethik, die dem Begriff des Guten eine Priorität gegenüber dem Begriff des Sollens zuschreibt "teleologisch".1 Diese Charakterisierung halte ich für zutreffend: Denn das Gute hat Zielcharakter, und wird das Sollen im Guten begründet, so bedeutet das, jegliches Sollen als den imperativen Anspruch dessen zu betrachten, was dieses Gut bewirkt. Je nach dem, ob die das Gute bewirkende Handlungsweise (bzw. deren Unterlassung) mit dem betreffenden Gut in einem notwendigen oder aber nur in einem kontingenten Bedinungs- oder Folgezusammenhang steht, formuliert sich ein solcher Imperativ im Modus "Ich soll" (bzw. "ich darf nicht") oder "Ich darf" (bzw. "ich muß nicht"). Es handelt sich dann also um deontologische Formulierungen (normative Aussagen) teleologisch begründeter praktischer Urteile. (Fs)
6.5.1 Zwei Ebenen des Umgangs mit normativen Aussagen
286a Ein "strenger Deontologismus", wie ihn, nach Schüller, die katholische Moraltheologie vertreten haben soll, würde also behaupten, das "Gutsein" einer Handlungsweise begründe sich, umgekehrt, auf dem "Gesolltsein" derselben. Daß dieser Vorwurf inkonsistent ist, wurde bereits gezeigt. Am Ende würde man sich in einem Streit um Worte verlieren: Denn auch im Rahmen einer teleologischen Ethik, die also das Sollen auf dem Guten gründet, gilt natürlich: Die Handlung x ist gut, weil sie gesollt ist, d. h., weil sie dem entspricht, was man hier und jetzt tun soll. Denn man soll hier und jetzt x tun, weil x dazu führt, ein bestimmtes Gut zu erwirken, weil also x gut ist. Kurz: x-Tun ist genau deshalb gut, weil man x tun soll; und man soll x tun, weil x-Tun gut ist. (Fs)

286b Das ist kein Zirkel, denn das Wort "gut" ist hier zweimal in verschiedenem Sinne gebraucht; zuerst deontologisch, d. h. zur Formulierung und Darlegung (nicht Begründung) einer normativen Aussage. Das heißt, um zu sagen: Genau das ist gut, was man tun soll. Wenn man nicht das tut, was man tun soll, dann handelt man schlecht; d. h. man handelt entgegen dem, was man als "Sollen" erkannt hat. Man kann auch sagen: Man handelt gegen das Gewissen. (Fs)

286c Im zweiten Fall ist "gut" zur teleologischen Begründung des Sollens gebraucht: Was man tun soll, soll man tun, weil es gut ist, d. h., weil es das ist, was das Gute bewirkt. "Gut handeln", heißt also zweierlei: Tun, was man soll (sonst handelte man gegen das Gewissen); und: was man tun soll, soll man tun, weil es gut ist (sonst würde man sittlich falsch handeln). (Fs)

286d Man kann das auch anders formulieren, und zwar vorausgesetzt, daß, was man "soll", weil es gut ist, jeweils auch, im sittlichen Sinne, der Natur des Menschen entspricht; bzw. dem Willen Gottes. Oder weil man nicht berechtigt ist, das, was man soll, weil es gut ist, nicht zu tun, denn alles was man soll, weil es gut ist, entspricht dem Willen Gottes, usw. (Fs)

286e Wenn man deshalb deontologisch formuliert (nicht begründet), daß man etwas soll, weil es dem Willen Gottes oder der Natur entspricht, oder weil man nicht berechtigt ist, anders zu handeln, und daß ein solches Verhalten also sittlich "gut" ist, so setzt man die teleologische Begründung voraus: Man soll es, es entspricht dem Willen Gottes oder der Natur, oder man ist nicht berechtigt, anders zu handeln, weil es so, teleologisch begründet, gut ist. (Fs)

286f Teleologie und Deontologie sind also nicht zwei verschiedene Formen der Begründung von Normen, sondern sie entsprechen zwei unterschiedlichen Ebenen oder Aspekten des Umgangs mit normativen Aussagen. Deontologisch ist die Formulierung einer normativen Aussage als ein Sollen; z. B.: man darf nicht tun, was man nicht soll, d. h., was nicht gut ist. Sonst würde man gegen das Gewissen handeln; bzw. gegen den Willen Gottes, den man ja gerade aufgrund dessen erkennt, was gut ist; oder, aus dem gleichen Grund, gegen die Natur; oder aber unberechtigt. Der Rekurs auf die Natur, auf den Willen Gottes oder die mangelnde Berechtigung ist also nur eine Intensivierung und Einordnung der deontologischen Formulierung, aber keine Begründung des Sollens. Nur in einer anderen Hinsicht haben solche deontologischen Formulierungen auch eine Begründungsfunktion: Nämlich, was ja im Prinzip auch Schüller richtig sieht, zur Ermahnung, d. h. zur Begründüng, weshalb man das, "was man tun soll", d. h., was man in einem Gewissensurteil als Tun-Sollen erkannt hat, auch tatsächlich tun soll; oder wieso das Sollen einen unbedingten Anspruch besitzt, und zwar unabhängig von Folgen oder anderen Umständen. D. h.: der deontologische "Umgang" mit normativen Aussagen dient zur Begründung, weshalb nur ein solches Handeln sittlich "gut" (im ersten Sinne) ist, das dem entspricht, was man als Tun-Sollen erkannt hat. Solche deontologische Formulierungen sind deshalb gerade in Texten, die der Unterweisung, der Ermahnung und, wie im Falle des kirchlichen Lehramtes, der autoritativen Exposition von sittlichen Normen dienen, besonders häufig. Etwa in der Figur: Niemand solle meinen, daß man das, was man soll, weil es gut ist, nicht auch etwa im [eg: Fehler im Text] immer tun soll; man würde damit der menschlichen Natur oder dem Willen Gottes entgegen oder aber unberechtigterweise handeln. Ein solches Tun könnte niemals sittlich gut sein.1 (Fs)

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