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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: J. St. Mill - Benatham - Aristoteles; Verhältnis: Tugend - Lust; kein Unterschied zw. dem Guten und Lust

Kurzinhalt: Was also für Aristoteles nur Ausgangspunkt für die Suche nach dem sittlichen Maßstab war - die Tatsache, daß alle nach dem Glück streben - wird für Mill selbst zum Maßstab.

Textausschnitt: 277d Das Problem der Beziehung zwischen Nutzen und Wahrheit wurde genau dann virulent, als J. St. Mill versuchte, auf utilitaristischer Grundlage eine wirkliche Ethik zu begründen. Gegenüber dem Vorwurf, es sei ja unmöglich, immer im Hinblick auf die allgemeinen Interessen der Gesellschaft zu handeln, erklärt nun Mill, die benthamistische Moralbegründung aus den Angeln hebend, daß dieses "Sozialprinzip" für das Handeln nur ein Motiv, aber nicht die "Regel" (rule) oder der Maßstab sei. Die Ethik müsse lehren, welches unsere Pflichten seien und wie wir sie erkennen können.1 In seinem Bemühen aufgrund der benthamistischen Prinzipien eine Ethik zu begründen, erklärt Mill, daß das Motiv (der Nutzen der größten Zahl) nichts mit der Moralität einer Handlung zu tun habe, sondern nur über den Wert des Handelnden etwas besage.2 In der Tat: Mill sucht nach einem Kriterium für die sittliche Qualität von menschlichen Handlungen unabhängig von den gesamtgesellschaftlichen Folgen, und unabhängig von den Motiven und Intentionen des Handelnden. Es scheint jedoch, daß sich Mill der Tragweite dieser Fragestellung überhaupt nicht bewußt war. (Fs)

278a Die Aufgabe, die Mill sich stellte, war nämlich jene, für den Begriff des Nutzens ein Wahrheitskriterium zu erarbeiten. D. h. das Feld jener "Nützlichkeiten" abzustecken, die eine Handlung unabhängig von anderen möglichen Folgen als "gut" definieren lassen. Zu diesem Zweck muß er auch das von Bentham in seiner rein empirisch-naturalen Faktizität als Prinzip behauptete Lustprinzip teilweise beiseite schieben. Mill beginnt von natürlichen Gefühlen und Neigungen des Menschen zu sprechen, ja überhaupt davon, was der Natur des Menschen entspreche.3 Wir finden bei ihm eine ganze Pallette natürlicher Neigungen aufgezählt, von denen gesagt wird, sie müßten schließlich alle den höheren Instinkten oder Neigungen der menschlichen Intelligenz untergeordnet werden.4 Mill begründet die Ausformung dieser Neigungen bis hin zum Begriff der Tugend mit seiner assoziativen Psychologie. (Fs) (notabene)

278b So mündet das Lustprinzip in den Begriff der Tugend, die zum Inbegriff von "Glück" wird. Das Glück, keine abstrakte Idee, sondern ein "konkretes Ganzes"5, ist das formale Prinzip, aufgrund dessen alles gewünscht wird; was man will, will man nicht nur als Mittel zum Glück, sondern auch als dessen Bestandteil. Darin sieht nun Mill den letzten Beweis für das Nützlichkeitsprinzip: Die Tatsache, daß alle Menschen notwendigerweise nach einem Ziel streben, und daß dieses Ziel das Glück ist.6 Das sei eine Erfahrungstatsache, die sich auf Evidenz gründe und nur durch Reflexion, Selbstbeobachtung und die Beobachtung von anderen zu erfassen sei. (Fs)

278c Was also für Aristoteles nur Ausgangspunkt für die Suche nach dem sittlichen Maßstab war - die Tatsache, daß alle nach dem Glück streben - wird für Mill selbst zum Maßstab. Dieses Glücksstreben zeigt sich empirisch als Luststreben; über diese Bestimmung kommt Mill nicht hinaus, wobei er jedoch, um dem reinen subjektiven Schein dieses Strebens zu entrinnen, nach objektiven Kriterien für die "Natürlichkeit" und damit Angemessenheit dieses Strebens sucht. Dabei rekurriert er auf eine empiristische, assoziativ-psychologische 'Anthropologie. (Fs)

279a Hätte Mill etwas von Metaphysik und auf ihr begründeter philosophischer Anthropologie verstanden, so hätte er vielleicht den benthamistischen Utilitarismus überwinden und auf einen aristotelischen Weg gelangen können. Vieles, was der britische Philosoph sagt, ist gesunder Menschenverstand, - und vieles tönt nicht nur aristotelisch, sondern ist zweifellos auch aristotelisch inspiriert. Denn im Gegensatz zu Bentham, (der geschrieben hat: "It is not necessary to consult Plato, nor Aristotle"), hat Mill Aristoteles gelesen und ist seine Form der utilitaristischen Ethik voller aristotelischer Anleihen. Aber die Beibehaltung einiger benthamistischer Prinzipien verunmöglichen eine Korrektur. So bleibt die Ethik Mills zweigleisig und inkonsistent. (Fs)

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