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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Utilitarismus: Name - irreführend; John Stuart Mill; eudämonistische Ethik; das Nützliche, to sympheron, actio debita, conveniens, prportionata fini

Kurzinhalt: ... daß das Problem einer solchen Aussage weder im Begriff der "Nützlichkeit" ... sondern vielmehr darin, nach welchem Kriterium man bestimmen könne, was "Glück" ist.

Textausschnitt: 6.2 Der klassische Utilitarismus
6.2.1 "Utilitarismus": Ein irreführender Name

274a Nach John Stuart Mill kommt "Nützlichkeit" (utility) jenen Handlungen zu, die dem Glück förderlich sind.1 Handlungen sind also moralisch gut oder schlecht, je nach dem ob sie zur Folge haben, das Glück zu fördern oder ihm entgegenzustehen. Man sieht sofort, und Kritiker des Utilitarismus haben das auch immer gesehen, daß das Problem einer solchen Aussage weder im Begriff der "Nützlichkeit", noch in jenem der "Folge" liegt, sondern vielmehr darin, nach welchem Kriterium man bestimmen könne, was "Glück" ist. Der Name Utilitarismus ist tatsächlich in einem gewissen Sinne verwirrend, denn er lenkt von der Grundthese dieser Art von Ethik ab. Als "utiilitaristisch" wollte sich die utilitaristische Ethik im Gegensatz zu einer rein intuitionistischen oder sentimentalistischen Ethik verstehen, die behauptete, die Erfassung dessen, was man tun müsse, sei Sache des Gefühles, eines untrüglichen "moral sense". Die Utilitaristen hingegen wollten darauf hinweisen, daß man, um zu erkennen, welche Handlungen moralisch gut seien, Überlegungen anstellen, d. h. das zwischen Handlung und Ziel ("Glück") bestehende Ursache-Wirkungs-Verhältnis bedenken müsse, also die "Utility" eine Handlung zur Erreichung des Endzieles: des Glücks. (Fs)

274b Insofern ist das "Nützliche" zunächst einmal nichts anderes, als was bei Aristoteles "to sympheron" heißt, und bei Thomas etwa "actio debita", "conveniens" oder "proportionata fini" etc.: Die Angebrachtheit der Mittel (Handlungen) zur Erreichung des Zieles.1 "Nützlichkeit" als sittliches Kriterium ist insofern keine Eigenheit des Utilitarismus. (Fs)

274c Das Problem des "utilitaristischen" Begriffs der Nützlichkeit - und das scheint heutigen "teleologischen Ethikern" generell entgangen zu sein - besteht vielmehr darin, daß die utilitaristische Ethik eine eudämonistische Ethik ist, aber als solche gerade keine Theorie des Glücks erarbeitet hat, d. h. kein Kriterium dafür kennt, worin denn nun das Glück des Menschen bestehe. Dieser Mangel besitzt historisch gesehen seinen Ursprung im sogenannten "Benthamismus" und wirkt sich vor allem auf die Frage nach dem Zusammenhang von "Nutzen" und "praktischer Wahrheit" aus. Für die Erläuterung dieses Mangels ist nun gerade J. St. Mill selbst der beste Zeuge; und zwar nicht, weil sich der britische Philosoph dieser Problematik etwa nicht bewußt gewesen wäre; sondern gerade weil seine Versuche einer Verteidigung des Utilitätsprinzips von der Bemühung getragen sind, eine solche Beziehung zwischen Nutzen und Wahrheit herzustellen, also den Begriff des Nutzens als "objektives" Moralprinzip zu begründen, und zwar ohne dabei dem ursprünglichen utilitaristischen Ansatz seines Lehrers Bentham dabei untreu werden zu wollen. Es lohnt sich, mit einigen Pinselstrichen diese Problematik von Nutzen und praktischer Wahrheit in der utilitaristischen Ethik darzustellen, weil auf ihrem Hintergrund die Mängel heutiger teleologischer Moralbegründung einerseits, und die Stärke der aristotelischen Ethik andererseits ins volle Licht gerückt werden können. (Fs)

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