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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: malitia, theologisch - philosophisch; Erbsünde, Wille; personale Autonomie des Menschen - Intellekt

Kurzinhalt: ... Fehlen einer habituellen Hinordnung des Willens auf das Gut des Nächsten und das Gut Gottes, wodurch der Mensch eine natürliche Bereitschaft und Leichtigkeit zur Bevorzugung des eigenen Gutes besitzt

Textausschnitt: 250e Einerseits und vor allem ist es der Wille, der den natürlichen Erkenntnisprozeß des menschlichen Intellektes an seiner Entfaltung oder praktischen Wirksamkeit hindern kann; denn der Wille besitzt auch über die Vernunft ein Imperium ("Ich erkenne, weil ich will"1), sowie über sich selbst: er kann selbst das Wollen eines durch die Vernunft erkannten Guten nicht wollen. Da der Wille von Natur aus nur auf das eigene Gut ausgerichtet ist, bedarf er zu seiner Ausrichtung auf das "bonum divinum" und das "bonum proximi" (das Gut des Nächsten) einer habituellen Vervollkommnung, der Tugend der Gerechtigkeit2; und zwar der eigentlichen Gerechtigkeit, wie sie unter Menschen, aufgrund ihrer fundamentalen Gleichheit, möglich ist, sowie einer nur uneigentlichen, wie sie die "ungleiche" Beziehung des Menschen zu Gott auszeichnet, d. h. der Tugend der religio, die Gott das an Dankbarkeit, Verehrung und Liebe entgegenbringt, was ihm als Schöpfer zusteht, aber so, wie es der Mensch aufgrund seiner inferioren Stellung als Geschöpf vermag.3 Fehlt diese habituelle Vervollkommnung des Willens, so wird der Mensch nur gegen das naturhafte Wollen und Vorziehen des eigenen Gutes den von der Vernunft erkannten Forderungen der Gerechtigkeit folgen und sich früher oder später eine habituelle Unordnung in seinem Willen aneignen: Die Bosheit - malitia - des Willens oder das Laster der Ungerechtigkeit.4 (Fs)

Fußnote:
24 Während der philosophisch-ethische Begriff der "malitia" einem Habitus des Willens, also einem Laster oder habituellen Hinneigung zum Bösen, entspricht, so meint der theologische Terminus der "malitia" als eine der vier als Folge der Erbsünde im Menschen bestehenden vulnus naturae den Zustand der auf sich selbst zurückgefallenen oder sich selbst überlassenen Natur (natura sibi relicta). Diese malitia, insofern sie als "Wunde der Natur" infolge der Erbsünde betrachtet wird, meint nicht die habituelle Bosheit des Willens aufgrund eines Lasters, sondern vielmehr gerade das, philosophisch analysierbare, ursprüngliche und natürliche Fehlen einer habituellen Hinordnung des Willens auf das Gut des Nächsten und das Gut Gottes, wodurch der Mensch eine natürliche Bereitschaft und Leichtigkeit zur Bevorzugung des eigenen Gutes besitzt; diese Bereitschaft ist, was wir die grundlegende Tendenz des Menschen zu Hochmut und schlechter Eigenliebe nennen. Sie kann aber nur theologisch als "Wunde" der Natur bezeichnet werden, das heißt, hinsichtlich des historisch ursprünglichen Zustandes einer durch außernatürliche Gaben vervollkommneten natura integra, die sich durch den als Gabe verliehenen Besitz aller Tugenden kennzeichnet. Die Hilfskonstruktion einer natura pura ist dabei überflüssig und verwirrend (vgl. auch unten, 5.1.9).

252a Somit besteht also das Kriterium für das sittlich Gute bezüglich den Akten des Willens und denjenigen der sinnlichen Antriebe, die, insofern sie menschliche Akte sind, immer einem Imperium des Willens unterliegen, darin, daß diese Akte der Vernunft entsprechen, und das heißt: Den Akt der Vernunft nicht behindern oder zerstören, ja ihn unterstützen, und dem, was die Vernunft als das von ihr erkannte Gute vorlegt, folgen.1 Das secundum rationem vivere impliziert also eine ganze Anthropologie und Erkenntnismetaphysik und kann überhaupt nur auf deren Hintergrund verstanden werden. (Fs)

252b Es handelt sich dabei näherhin um eine Anthropologie, die den Menschen in seiner unvergleichlichen Würde als intellektives Wesen ad imaginem Dei sieht, und versteht, was das in allen Konsequenzen bedeutet. Die personale Autonomie des Menschen ist gebunden, steht und fällt, mit der Freiheit, in der die Vernunft ihre Funktion als intellektives Licht auszuüben und ihre Ansprüche in allen Handlungen und Affekten des Menschen geltend zu machen vermag. Durch dieses Licht der Vernunft, eine formelle Teilhabe am Ewigen Gesetz, vermag der Mensch in allen seinen Handlungen und Strebungen, und letztlich also in allen Formen der von ihm vollzogenen Liebe, der Wahrheit seines eigenen personalen Seins zu entsprechen und sich damit selbst als Mensch und in seiner Menschlichkeit zu verwirklichen. (Fs)

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