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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: bonum est quod omnia appetunt; Rückbezug der Sittlichkeit auf die Tatsache des Strebens; Vernunft: telos, regula; pondus animae

Kurzinhalt: Der Begriff der Sittlichkeit ... ist also konstitutiv zurückbezogen auf den in der elementaren praktischen Erfahrung des Strebens aufscheinenden Begriff des Guten...

Textausschnitt: 248a Wir ersehen, daß der Begriff der "Sittlichkeit" zurückbezogen werden muß auf den fundamentaleren Begriff des "bonum hominis in quantum est homo": Er ergibt sich aus der Frage, worin das Gute für den Menschen bestehe, das Gute, das ja das ist, wonach alles strebt, wobei wir die sich selbst genügende Erfüllung dieses Strebens "Glück" nennen. Daß wir alle in unserem Tun und Wollen auf ein "Gutes" streben und die auf dieser Grundlage reflex formulierbare "ratio boni" ("bonum est quod omnia appetunt") ist ja gerade jene Tatsache, bei der die praktische Erfahrung anhebt und die Ethik ihren Ausgangspunkt besitzt. Und da das Gute immer ein gut-Scheinendes ist - alles was man erstrebt, erstrebt man unter dem Gesichtspunkt des Guten - so gilt es nun auszumachen, worin sich das nur gut Erscheinende vom wahrhaften Gut des Menschen unterscheidet; oder: unter welchen Bedingungen das in Wahrheit Gute auch als Gutes erscheint, oder umgekehrt: das als gut Erscheinende auch wahrhaft gut ist. (Fs) (notabene)

248b Der Begriff der Sittlichkeit, und dann auch der sittlichen Norm, ist also konstitutiv zurückbezogen auf den in der elementaren praktischen Erfahrung des Strebens aufscheinenden Begriff des Guten. Und zwar noch konkreter: auf den Begriff des "bonum hominis inquantum est homo", auf den Begriff des spezifisch menschlichen Guten und für den Menschen Guten. Weiter zurückfragen können wir nicht: denn es ist unmöglich für die Begründung einer Wissenschaft hinter die elementaren Erfahrungsbestände zurückzugehen oder diese begründen zu wollen. Ausgangspunkt auch der Ethik als Analyse des "in Wahrheit guten Strebens" (Sittlichkeit) ist die Tatsache, daß wir alle nach dem Guten, und näherhin dem wahrhaft Guten, dem Glück streben.1 Wer dies bestreitet, versucht, gegen Evidenzen anzudenken. (Fs)

249a Die Vernunft ist also sowohl Telos als auch regula; d. h.: sie ist Regel, Norm, gerade und nur aufgrund der Tatsache, daß sie Telos ist. Das Ziel liefert den Maßstab, ist der Maßstab, und dieser vermittelt sich durch die Entfaltung der praktischen Vernunft dem menschlichen Handeln sowohl in seiner operativ-äußeren, wie auch in seiner inneren Form als Akte der Affekte (Sinnlichkeit) und des Willens. (Fs)

249b Mit dem Aufweis des Telos-Charakters der Vernunft wird nicht eine Ethik begründet, die einziges Ziel oder sittlichen Inhalt des menschlichen Lebens in der Erkenntnis von Wahrheit erblickte. Der anthropologische und ethische Gehalt dieser Lehre ist viel tiefer und umfassender. Denn der Mensch ist ja fundamental ein strebendes Wesen: Er besitzt in seinem Willen eine naturhafte Hinneigung auf ein dieses Streben erfüllendes und sättigendes Gut. Zudem ist er in seiner Leiblichkeit von Neigungen erfüllt, die ihrerseits ihre Erfüllung suchen und als "Leidenschaften" die Seele affizieren. Der Mensch ist damit fundamental ein Wesen, das einen "pondus animae" auf das Gute hin in allen seinen möglichen Spielarten besitzt; er besitzt in seinen intellektiven und sinnlichen Neigungen einen "amor naturalis", der jedem Geschöpf in seiner Art zukommt. Der Mensch ist nun aber im strengsten Sinne ein Wesen, das auf Lieben hin angelegt ist. Nur handelt es sich dabei um eine Form von Liebe, die ad imaginem Dei geschaffen ist; sie ist geistiger Natur und geprägt von jenen Anforderungen der Partizipation am göttlichen Intellekt, durch die die imago konstituiert wird. (Fs)

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