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Autor: Kauffmann, Clemens

Buch: Leo Strauss zur Einführung

Titel: Leo Strauss zur Einführung

Stichwort: Xenophon, Oeconomicus: Kyros - Sokrates; Weiheit - Zustimmung der Nicht-Weisen; gentleman

Kurzinhalt: Auch in dieser Hinsicht ist der Oeconomicus, der den »perfect gentleman« zum Thema hat, in Xenophons Werk der sokratische Dialog schlechthin ...

Textausschnitt: 178a Das Politische beinhaltet seinem Wesen nach eine Beeinträchtigung der Weisheit durch die Notwendigkeit der Zustimmung der Nicht-Weisen. Der Anspruch des Politischen, die höchste Autorität für die Führung des menschlichen Lebens zu sein, erweist sich somit als unbegründet. Tugend oder die wirkliche Vollkommenheit des Menschen liegt jenseits des Politischen, sie ist transpolitisch. Der Konflikt zwischen dem politischen und dem philosophischen Leben bleibt somit bestehen, auch wenn die Notwendigkeit und die Überlegenheit des philosophischen Lebens als erwiesen angesehen werden. Der Austrag dieses Konfliktes ist das Thema der Philosophie Xenophons. Die beiden Pole seines Werkes, Kyros und Sokrates, sind die Repräsentanten der zwei widerstreitenden Lebensformen. Die Spannung zwischen ihnen zeigt Xenophon am deutlichsten im Oeconomicus, »seiner sokratischen Rede par excellence«. Im Zentrum des Oeconomicus steht die Vorstellung vom »perfect gentleman«. »Perfect gentleman« ist die englische Übersetzung des griechischen »kalos kagathos aner«, was wörtlich soviel wie »schöner und guter Mann« heißt. Im Grunde ist der Ausdruck aber so unübersetzbar wie sein englisches Pendant, so daß dieses beibehalten werden soll. Die Frage nach dem »perfect gentleman« steht für die Art von Fragen, denen sich Sokrates nach seiner Abwendung von der auf sich selbst gestellten Naturphilosophie zugewandt hat, und betrifft die ethischen und politischen Dinge, für die er sich interessierte, sie umfaßt all die ansonsten einzeln zu behandelnden Fragen »Was ist Frömmigkeit?«, »Was ist edel?« und anderes mehr. Auch in dieser Hinsicht ist der Oeconomicus, der den »perfect gentleman« zum Thema hat, in Xenophons Werk der sokratische Dialog schlechthin. Am Oeconomicus zeigt sich, daß Sokrates durch das Beispiel der Praxis des »perfect gentleman« den Ansatz seines Philosophierens bei den menschlichen Dingen kennengelernt hat. Das Ideal des »perfect gentleman« ist das Tugendideal des politischen Lebens; zu ihm gehören Gesundheit, Körperstärke, öffentliches Ansehen, Ehre, Wohlwollen von Seiten der Freunde, ehrenhafte Sicherheit im Krieg sowie ehrenvolles Wachstum des Wohlstands. Das politische Leben zeigt sich hier in enger Verknüpfung mit dem im ökonomischen Sinne privaten Bereich. Entsprechend kann ein »gentleman« auch durchaus in einer aufgeklärten Tyrannis sein Glück finden. So zentral das Thema des »perfect gentleman« für Sokrates ist, so entscheidend ist die Einsicht, daß Sokrates selbst kein »gentleman« ist und keiner sein möchte, es sei denn, man setzt zwei unterschiedliche Begriffe von »gentleman« voraus, wobei einer dem entspricht, was die gewöhnlichen Leute denken, und der andere, sokratische, dem des Weisen. Sokrates ist zuwenig auf seine Reputation bedacht, nimmt sogar den schlechten Ruf in Kauf, den Aristophanes und andere Komödienschreiber ihm angedichtet haben, er steht im Ansehen eines armen Mannes, der sich mit eitlem Geschwätz in der Öffentlichkeit herumtreibt, anstatt sein eigenes Haus zu bestellen. Sokrates verzichtet auf derlei öffentlich angesehene Vorzüge, er verzichtet sogar darauf, im Ansehen der Tugend der Männlichkeit zu stehen, weil er ein Mensch ist und kein »Mann«. (Fs)

179A Der »gentleman« und Sokrates sind Repräsentanten zweier unterschiedlicher Arten von Tugend, der politischen oder vulgären Tugend auf der einen Seite, die dem praktischen oder politischen Leben angemessen ist, und der wirklichen Tugend, die im philosophischen Leben ihren angemessenen Ausdruck findet. Das Hervorstechende der sokratischen Tugend beruht auf ihren geistigen Qualitäten. Sokrates weiß aufgrund eigenen Nachdenkens, was fromm, was unfromm, was hoch und was niedrig ist. Die Tugend des politischen Lebens verlangt eine ehrgeizige Natur, während die Tugend des philosophischen Lebens eine gute Natur voraussetzt. Im gleichen Verhältnis zueinander stehen die Erziehungskonzepte, die beide repräsentieren. Sokrates verfügt über ein besseres Verständnis davon, was Erziehung ist, und davon, welch bedeutende Rolle die Frömmigkeit bei der Erziehung spielt.1 (Fs)

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