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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: naturaliter cognitum - cognitum per inventionem; doctrina; Lehrer- inventio; Maieutik;

Kurzinhalt: Der rationale Diskurs ist ein Akt der "ratio naturalis", in dem die ganze Potentialität des "lumen intelligibile" zur Entfaltung gelangt, explizit wird, und zwar dadurch, daß die ersten Prinzipien auf bestimmte, ...

Textausschnitt: 4.2.3 Die "inventio", - ein Akt der "ratio naturalis"

221a In diesem eben erläuterten Prozeß existiert nun also ein naturaliter cognitum (durch eine intelligere), sowie ein im abschließenden iudicium erfaßtes cognitum per inventionem, durch den rationalen Diskurs.1 Eine andere Möglichkeit, diese Bewegung der Kausalität im Menschen hervorzurufen, ist die doctrina, das heißt: das Lehren: Thomas stellt dem naturaliter cognitum jeweils ein Erkennen durch inventio vel doctrina gegenüber, gerade auch im Zusammenhang mit den Präzepten des Naturgesetzes.2 (Fs) (notabene)

221b Nun gibt es bei Thomas keine systematische Abhandlung über die inventio, wohl aber über die doctrina: nämlich den ersten Artikel der Quaestio 117 der Prima Pars ("Utrum unus homo possit alium docere") sowie die bereits angeführte Queastio 11 von De Veritate ("De Magistro")3; hier ist das Wesentliche über die inventio gesagt, vor allem auch, daß es sich bei ihr zwar nicht um eine cognitio naturalis handelt, wohl aber um einen Akt oder Prozeß der ratio naturalis. (Fs)

221c Da Thomas die Lehr- (bzw. Lern-)tätigkeit nicht als reine Vermittlung von Wissensbeständen an ein passiv aufnehmendes Subjekt, aber auch nicht als reine Maieutik, im platonischen Sinn als Bewußtmachung eines immer schon latent Gewußten, begreift, sondern als die Aktualisierung eines zur "scientia conclusionum" in aktiver Potenz stehenden Intellektes, so daß auch im Lernprozeß die Kausalität der ersten Prinzipien bezüglich der Konklusionen und ihr implizites Enthaltensein in den Prinzipien gewahrt bleibt, so kann der Prozeß des Lehrens und Lernens, der ebenfalls inventiv ist, aber durch die motio eines äußeren Bewegers, des Lehrers, veranlaßt wird, am besten auf dem Hintergrund des Begriffes der inventio selbst erklärt werden.1 (Fs)

[...]

222b Nachdem Thomas gezeigt hat, daß diese Potentialität des Intellektes nicht eine rein passive, sondern eine aktive ist, bemerkt er anhand einer hier sehr aufschlußreichen Metapher, daß man auf zwei Arten zu Wissen kommen könne: Denn so wie einer entweder ausschließlich durch die operatio naturae selbst oder aber, auf andere Weise, zwar durch die Natur, aber mit äußerer Beihilfe einer Arznei, geheilt werden könne, so gebe es auch einen doppelten Modus des Wissenserwerbes: die inventio propria - in der Metapher die operatio naturae tantum - und die disciplina. Thomas behauptet also, die inventio sei, trotz ihrer Unterschiedenheit vom naturaliter cognitum der Prinzipien, ein natürlicher Prozeß. Und tatsächlich nennt hier Thomas den inventiven Modus des Wissenserwerbes auch einem Akt der ratio naturalis: "ita etiam est duplex modus acquirendi scientiam: unus, quando naturalis ratio per seipsam devenit in cognitionem ignotorum; et hic modus dicitur inventio; alius, quando rationi naturali aliquis exterius adminiculatur, et hic modus dicitur disciplina". (Fs)

223a Also nicht nur die "inventio propria", sondern auch das "Lernen" - immer im Bereich der "scientia", d. h. der notwendigen und auch universalen Konklusionen - ist ein Prozeß der ratio naturalis. Thomas sagt es ohne Unterbruch: Der rationale Diskurs ist ein Akt der "ratio naturalis", in dem die ganze Potentialität des "lumen intelligibile" zur Entfaltung gelangt, explizit wird, und zwar dadurch, daß die ersten Prinzipien auf bestimmte, partikularere Materien appliziert werden.1 Die ganze erkenntnistheoretische Substruktur von I-II, q.94, a.2 wird hier nun transparent. (Fs)

223b So erklärt sich dann auch das Phänomen jeder An der Vermittlung von Wissen, die zu wahrhaftem, auf Einsicht und "Verstehen" ("intellectus") gründendem Wissensbesitz, also zum Habitus der "scientia" führen kann: durch die, im Lehren, explikative Nachvollziehung (durch Worte, Bilder oder andere signa) dieses Diskurses der natürlichen Vernunft.2 (Fs)

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