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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: simplex intelligentia veritatis; Intellekt - ratio; intelligere - ratiocinari;

Kurzinhalt: Explikation) des "intellectus" durch die "ratio"; das intelligere im strengen Sinn [als] die apprehensio naturalis der ersten Prinzipien; das Verhältnis zwischen intelligere und ratiocinari ist deshalb dasjenige zwischen Ruhen und Bewegung

Textausschnitt: 218c Die menschliche rationalitas ist somit also tatsächlich ein Derivat der göttlichen Weisheit1, und zwar ad imaginem Dei. Und zwar deshalb, weil sie ihren Erfüllungspunkt oder Terminus in der "simplex intelligentia veritatis" besitzt, von der sie ausgeht, um kreisförmig zu ihr, vertieft und expliziter zurückzukehren.2 Durch seine Rationalität kompensiert somit der menschliche Intellekt, was ihm als Intellekt an sich naturgemäß zusteht, was er aber ebenfalls naturgemäß - als Intellekt einer menschlichen Seele, die substantielle Form eines Körpers ist - nur vermittels einer diskursiven Bewegung zu erreichen vermag, die übrigens, was hier nur erwähnt sei, der ständigen "Gefährdung" durch täuschende Einflüsse aus dem Bereich der sinnlichen Perzeption (Imagination, Täuschungen des Gemeinsinnes etc.) ausgesetzt ist; im praktischen Bereich: der Gefährdung einer "interceptio" oder "ligatio" der Vernunft durch die ungeordneten Leidenschaften.3 (Fs) (notabene)

219a So wird auch verständlich, daß mit diesem potentiellen Enthaltensein nicht einfach die bloße Tatsache gemeint ist, aufgrund der Prinzipien könne neue Wahrheit rational erschlossen werden; denn die Prinzipien, als Gegenstand des intellectus, sind bereits Erfassung der ganzen Wahrheit. Das ist gerade, was einen "intellectus imperfectus", von einem "intellectus perfectus" unterscheidet: Dieser würde quasi intuitiv, d. h. ohne Diskurs, sämtliche möglichen "conclusiones" in den, auf natürliche Weise erkannten, Prinzipien erfassen.4 (Fs)

219b Deshalb nennt Thomas das intelligere im strengen Sinn die apprehensio naturalis der ersten Prinzipien; aufgrund der Schwäche des lumen naturale im Menschen hat dieser natürliche Erkenntnisakt nicht die Kraft, die nötig wäre, um durch dieses intelligere der Prinzipien auch zugleich die conclusiones zu erfassen.5 Mit dieser Auffassung vom menschlichen Intellekt zeigt Thomas, daß er den rationalen Diskurs keinesfalls als eine schöpferische Tätigkeit begreift, sondern eben als inventio oder, wie es an anderer Stelle heißt: explicatio dessen, was implizit in den Prinzipien bereits enthalten ist.6 (Fs)

220a Das Verhältnis zwischen intelligere und ratiocinari ist deshalb dasjenige zwischen Ruhen und Bewegung; die Bewegung ist der Akt einer Potenz insofern sie Potenz ist. Der rationale Diskurs ist also eine bestimmte, prozeßhafte Form der Aktualisierung des intelligere selbst und endet deshalb wiederum, durch das iudicium, in einem intellectus. Thomas betont nun jedoch, daß die scientia conclusionum in der intellektiven Potenz nicht passiv bestehe; letztere ist also nicht einfach ein Empfangen, sondern aktive Erschließung: denn sonst könnte der Mensch gar nicht durch sich selbst, d. h. durch "inventio", zum Wissen gelangen.1 Oder noch genauer: Die natürliche Erkenntnis der Prinzipien verhält sich zu den conclusiones nicht nur in potentia accidentali, sondern auch in potentia essentiali2: es besteht zwischen ihnen ein innerlich-"sachlicher" Zusammenhang, eben derjenige zwischen implicatum und explicatum. (Fs)

220b Deshalb bedarf der menschliche Intellekt des "Motors" des rationalen Diskurses, einer inventio. Prinzipien und Konklusionen verhalten sich dabei, und das ist entscheidend, wie Ursache und Wirkung.3 Die Kausalität des "intellectus imperfectus" entfaltet sich dabei jedoch nicht nur durch den natürlichen Akt des intelligere selbst, sondern sie bedarf des Motors des ratiocinari, das einen diskursiven Prozeß darstellt, der aus den Prinzipien per inventionem fortschreitet, um schließlich durch das abschließende iudicium die Konklusionen in einem Akt verfeinerter und expliziterer apprehensio intellectualis, wie sie ohne Diskurs nicht möglich war, die Konklusionen in den Prinzipien zu erfassen.4 (Fs)

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