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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Lichtmetapher; ratio naturalis (Intellekt); intellectus agens

Kurzinhalt: Wir haben früher im Sinne dieses Verhältnisses zwischen intellectus agens und sinnlicher Materie der Erkenntnis auch die Beziehung der ratio naturalis zu den inclinationes naturales gedeutet ...

Textausschnitt: 213a Das natürliche Licht des Intellektes erweist sich damit für Thomas als eine "Kraft" der Wahrheitserfassung. Der menschliche Intellekt besitzt auf partizipierte Weise die Unfehlbarkeit und Untrüglichkeit seines Ursprunges. (Fs)

213b Am deutlichsten kommt dies, erwartungsgemäß, im Kommentar zum Johannesevangelium, hier in einer christologischen Perspektive, zum Ausdruck. Dabei wird, für uns interessant, mit der Partizipation des lumen intellectuale auch das Thema der personalen Autonomie verbunden.1 Das Verbum Divinum - es ist vita perfecta - das, wie im Prolog zum Johannesevangelium gesagt, in Christus zu den Menschen gekommen ist, wird hier als lux hominum bezeichnet. Das Verbum kann Licht im Sinne des Objektes sein; insofern vermag es nur von den Menschen, und zwar aufgrund des Lichtes der Gnade, erkannt zu werden; denn allein der Mensch besitzt die Fähigkeit zur visio divina. Das Verbum kann aber auch partizipiertes Licht der Menschen genannt werden: Thomas - das ist für die Theologie von Bedeutung - unterscheidet dabei auch im christologischen Kontext strikte eine natürliche und eine übernatürliche Partizipation am Verbum divinum.2 Natürlicherweise wird der Mensch dieses Lichtes durch das Licht des Intellektes, das im Menschen selbst, im höheren Teil unserer Seele ist, teilhaft. Es folgt das obligate Zitat aus Psalm 4, wobei nun das Licht des göttlichen Antlitzes der "Sohn" ist, die vollkommene imago Gottes.3 (Fs)

[...]

214a Der Intellekt oder die ratio naturalis besitzt deshalb jene Eigenschaften untrüglicher Unfehlbarkeit und Wahrheitsbezogenheit, die jedem Intellekt aufgrund seiner partizipativen Natur zukommt. Dieses Licht bestrahlt immer alle6; ohne es ist nur Finsternis. Daß einige in der Finsternis bleiben - in der Unwissenheit oder im Irrtum - ist nicht auf die Unvollkommenheit des Lichtes7, sondern auf einen amor inordinatus im Menschen zurückzuführen.8 Wenn auch einige mentes finster sind, so gibt es keinen, der nicht in irgend einer Weise am göttlichen Licht teilhat. Denn was auch immer man an Wahrheit erkennt, alles erfolgt aufgrund der Partizipation an diesem Licht.9 (Fs) (notabene)

214b Wenn auch Thomas daran festhält, daß alle Erkenntnis bei den Sinnen anhebt, ja daß überhaupt nichts erkannt werden könne, ohne daß es zuvor über die sinnliche Perzeption dem Intellekt vergegenständlicht worden wäre, und daß auch bei jedem Erkenntnisakt eine "conversio ad phantasmata" stattfinde, so reduziert jedoch Thomas nie und in keiner Weise in empiristischer oder sensualistischer Weise, die Leistung des Intellektes auf eine rein rationale "Verarbeitung" von Sinnesdaten; die spezifische Eigenleistung des Sichtbarmachens intelligibler Wahrheit durch das Licht des intellectus agens, "durch welches wir auf feststehende Weise die Wahrheit in den veränderlichen Dingen erkennen"10, wird dabei in keiner Weise geschmälert. Wenn man deshalb sagt, die intellektive Erkenntnis werde durch die sinnliche Perzeption verursacht, so heißt dies nicht, letztere sei etwa eine vollständige oder vollkommene Ursache, sondern eher die Materie der Ursache11; die Ursache in formeller Hinsicht ist jedoch vielmehr der Intellekt12; und das heißt: er verhält sich zur sinnlichen Erfahrung nicht nur wie ein "Empfänger"; aber auch nicht wie einer, der etwas "hinzu gibt", und schon gar nicht "schöpferisch", sondern eben wie das Licht, das sichtbar macht, was - in verborgener Weise und der sinnlichen Perzeption selbst nicht gegenständlichh - bereits "vorhanden" ist. Wir haben früher im Sinne dieses Verhältnisses zwischen intellectus agens und sinnlicher Materie der Erkenntnis auch die Beziehung der ratio naturalis zu den inclinationes naturales gedeutet, was sich nun erneut als sinnvoll erweist; es ist auch daran zu erinnern, daß dabei der Begriff der "Materie" - die materia circa quam als das obiectum, aber hinsichtlich seiner Materialität - analog zur materia der Kausalität des intellectus agens zu verstehen ist; hatte doch Thomas die Beziehung zwischen formeller und materieller Bestimmtheit des Objektes gerade mit der Metapher der Beziehung zwischen Farbe und Körper erläutert: die Farbe ist die "ratio visibilitatis" des Körpers; zugleich aber nicht etwas vom Körper Verschiedenes, sondern der ganze Körper "in tantum visibile est".13 (Fs)

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