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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Zusammenfassung: lex aeterna, lex naturalis, Partizipation: per modum principii motivi, per modum cognitionis; Tugend - natürliche Neigung

Kurzinhalt: ... schaut man also diese Partizipation gewissermaßen "von oben" an - so muß man sagen: Das Ewige Gesetz befindet sich im Menschen sowohl in den natürlichen Neigungen ...

Textausschnitt: 202b Es ist also festzuhalten, daß der Mensch den "motiven" (bewegenden) Charakter der lex aeterna in den natürlichen Neigungen, den kognitiven Aspekt dieses Gesetzes jedoch durch seine Vernunft partizipiert. Stellt man sich auf den Standpunkt des Ewigen Gesetzes - schaut man also diese Partizipation gewissermaßen "von oben" an - so muß man sagen: Das Ewige Gesetz befindet sich im Menschen sowohl in den natürlichen Neigungen (per modum principii motivi) wie auch in der Vernunft (per modum cognitionis). Insofern die natürlichen Neigungen zum Ewigen Gesetz gehören - also "von oben her" und in Verbindung mit der göttlichen ordinatio - sind sie tatsächlich Gesetz; insofern man sie jedoch als Partizipation am Ewigen Gesetz - d. h. als etwas in der Natur Bestehendes, Geschaffenes - betrachtet, sind sie nicht Gesetz (d. h.: sie sind nicht lex naturalis), sondern nur, der divina ordinatio entsprechendes, praesuppositum für das Gesetz. Sie enthalten nicht in sich die ordinatio ad debitum. Um dieser "ordinatio" einsichtig werden zu können, müßte man die "lex aeterna" in Gott schauen; aber eine solche Schau besitzen wir nicht. Dies wird, als Mangel, in der unvernünftigen Kreatur dadurch ausgeglichen, indem diese ordinatio durch eine operative Determination geschieht; diese Geschöpfe und Naturdinge non agunt sed magis aguntur; sie sind deshalb wie Instrumente der ordinatio des Ewigen Gesetzes untergeordnet. (Fs) (notabene)

203a Da jedoch der Mensch als imago Gottes - aufgrund seiner Geistigkeit - das Ewige Gesetz auch auf kognitive Weise partizipiert und damit die "ratio ordinationis" in sich enthält (personale Autonomie), handelt es sich hierbei nicht eigentlich um einen "Mangel", denn er bedarf weder einer Determination seiner natürlichen Neigungen auf das debitum, noch muß er durch die göttliche "ratio" wie ein Instrument auf sein Ziel hingelenkt werden; er vermag dies selbst, indem er kraft seiner Vernunft die natürlichen Neigungen - das empfangene Bewegungsprinzip - ordnet; die ordinatio rationis ist deshalb eine vollkommenere Teilnahme am Ewigen Gesetz und besitzt selbst den Charakter eines Gesetzes: sie ist lex naturalis, natürliches Gesetz. (Fs)

203b Soll allerdings dabei der ordnende und gesetzgebende Akt der praktischen Vernunft als kognitive Partizipation am Ewigen Gesetz nicht verfälscht werden, so kann die menschliche Vernunft sich niemals von ihrem principium motivum, dem actus proprius der natürlichen Neigungen "emanzipieren". Die "ordinatio rationis" des Naturgesetzes ist eine "ordinatio", die nicht über diese natürlichen Neigungen verfügt, sondern sie ist eine "ordinatio" in den natürlichen Neigungen, denn diese selbst sind ja auf der Ebene der Seinsstruktur Ausdruck des Planes der göttlichen Vorsehung, partizipieren also an der vis directiva des Ewigen Gesetzes. (Fs)

203c Was also im Menschen eigentlich a natura besteht - die praesupposita -, ist somit nicht nur ebenfalls Partizipation am Ewigen Gesetz, sondern gehört auch unverfügbar zum Naturgesetz, wenn es auch als solches selbst noch nicht Gesetz ist. (Fs)

[...]

204a Der Mensch ist ein komplexes, fundamental neigungsmäßig konstituiertes Körperwesen; Neigungen, die er vernünftig - in angemessener Weise - zu verfolgen hat, was, zum Habitus geworden, die sittliche Tugend ausmacht. Die natürliche Neigung als Ausdruck des ewigen Gesetzes und Grundlage der "ordinatio rationis" verleiht dem Naturgesetz, der Tugend, dem die göttliche bonitas und Weisheit wiederspiegelnden sittlichen Handeln des Menschen jene fundamentale Konnaturalität, Spontaneität, die durch die Tugend potenziert, durch das Laster jedoch zerstört wird. (Fs)

204b Diese durch die Partizipation am Ewigen Gesetz konstituierte innere Zuordnung von natürlicher Neigung, Vernunft, Tugend und Sittlichkeit, diese komplexe Struktur, die durch die ordnende Funktion der praktischen Vernunft auf ihr Ziel ausgerichtet wird, zeigt die große Würde der menschlichen Freiheit, der nichts weniger anvertraut ist, als den Plan der göttlichen Vorsehung teilhabend zu verwirklichen. (Fs)

204c An diesem Punkt angelangt zeigt sich erneut, wie wenig Thomas mit der Interpretation, für ihn bedeute das Naturgesetz lediglich eine natürliche Neigung der Vernunft zur normsetzenden Aktivität, erfaßt wird; oder: das Naturgesetz beinhalte lediglich die rein formale Bedeutung, "vernünftig zu handeln", ohne jegliche inhaltliche Bestimmtheit. Ich glaube es sollte einsichtig sein, daß auf der Grundlage einer solchen Interpretation kaum mehr verständlich sein kann, worin der Zusammenhang von Naturgesetz und Tugend besteht, ja was überhaupt eine sittliche Tugend ist. Vor allem aber erscheint die Natur der menschlichen Vernunft als Teilnahme an der ratio divina und ihr imago-Charakter verkannt. (Fs)

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