Datenbank/Lektüre


Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Aristoteles: Handlung - eupraxia; Kant: Ethik getrennt von Handlunglehre; transzendentaler Formalismus, Utilitarismus;

Kurzinhalt: Aristotelische "Wende": Ethik als Lehre vom "guten Handeln" (eupraxia) ; Kant, der zum klassischen Erbe keinen unmittelbaren Zugang mehr hatte: ... Ethik getrennt von Handlung

Textausschnitt: 2.3.3 Das gemeinsame Defizit: Die Anthropologie der sittlichen Handlung

176b Dieser "Archaismus" Kants zeichnet sich durch eine Ablösung der Fundierung des sittlich Guten von der Analyse des menschlichen Handelns aus. Die aristotelische "Wende" bestand darin, Ethik als Lehre vom "guten Handeln" (eupraxia) zu verstehen: als eine Untersuchung nicht über das Gute als Gegenstand der Erkenntnis, sondern als Gegenstand und insofern auch Inhalt des Handelns; seine Ethik ist deshalb weitgehend eine Theorie des sittlichen Handelns, oder des menschlichen Handelns, insofern es menschlich ist, und schließlich eine Lehre von der Tugend. Ethik als Lehre vom guten Handeln, die sich auf der Analyse der Struktur und Eigenheiten des actus humanus und seiner Struktur personaler Autonomie gründet, findet bei Thomas mit Sicherheit ihren Höhepunkt. Spätere nominalistische ("legalistische"), und dann empiristische, utilitaristische und hedonistische Verfremdungen der Lehre vom guten Handeln haben Kant, der zum klassischen Erbe keinen unmittelbaren Zugang mehr hatte, dazu verführt, Ethik wieder von der Handlungslehre abzutrennen, - und damit auch von der Anthropologie, die mit einer Theorie der menschlichen, der sittlichen Handlung untrennbar verbunden ist. (Fs)

176c Der Versuch, Ethik unabhängig von einer Anthropologie der menschlichen (sittlichen) Handlung und damit auch nicht als handlungstheoretisch fundierte Tugendlehre zu begründen, ist das charakteristische Erbe Kants, von dem viele Versuche, Ethik zu begründen, bis heute geprägt sind; der Versuch, Sollen als transzendentalen Formalismus auszuweisen, ist dabei nur eine mögliche Variante. Auch die Wertphilosophie Max Schelers zeichnet sich, trotz ihrer reichhaltigen und treffenden phänomenologischen Analysen, durch das Fehlen eines Begriffes des Guten als axiologische Dimension des menschlichen Handelns als Handeln aus. Alle Formen von Utilitarismus sind wesentlich durch die Ausklammerung dieser Frage konstituiert: Würden sie, wie Sokrates das schon tat, das Nützliche mit dem Guten identifizieren und damit eine Beziehung zwischen Nutzen und Wahrheit aufrechterhalten1, so hätte es keinen Sinn mehr von Utilitarismus zu sprechen. Auch in der analytischen Ethik fehlt eine Theorie der operativen Wahrheit oder des guten Handelns; dies aufgrund der methodologischen Beschränkung dieser Ethik auf die Analyse der sprachlich-kommunikativen Erscheinungsformen des Sollens.2 Die sog. "teleologische Ethik" ist vollends geprägt von der Ausklammerung der Analyse der menschlichen Handlung; sie erschöpft sich, worauf noch zurückgekommen werden soll, in einer Theorie von "richtigen Handlungsweisen" und entsprechenden Normenbegründungsverfahren und verdankt ihre Plausibilität schließlich der Unterstellung, das "Gute" sei schließlich nichts anderes, als ein aus der transzendentalen Analyse des "Sollens" gewonnener Formalismus. Im weiteren Verlauf unserer Untersuchung des Begriffs "autonome Moral" wird sich zeigen, wie sehr dieses "Modell" unter dem Einfluß der kantischen Wendung steht und wie sehr es deshalb eine über zweitausendjährige Tradition der Ethik als Lehre vom guten Handeln und der Tugend unversehens verläßt und beiseite schiebt.3 (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt