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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: autonome Vernunft (Alfons Auer); Weltethos; 6 Gründe: Widerspruch

Kurzinhalt: Im Konzept der autonomen Moral, wie es von Auer und anderen Autoren dargestellt wird, befindet sich ein innerer Widerspruch ...

Textausschnitt: 156c Es muß auffallen, wie Auer, immer wenn es um die Bestimmung des der autonomen Moral zugeordneten "Weltethos" geht, sittliches Handeln auf die Kategorie der "Sachproblemlösung" in den verschiedenen Lebensbereichen reduziert.1 Gleichzeitig ist die Tendenz augenfällig, das eigentliche Proprium des Sittlichen erst als "christliches Proprium", also auf der Ebene des auf Offenbarung gründenden Heilsethos, auftreten zu lassen. Die Folge ist einerseits ein "Weltethos" "autonomer Sachgesetzlichkeit", die an die Stelle der spezifisch moralischen Dimension des menschlichen Handelns gesetzt wird und ein mit moralischen Ansprüchen vollbesetztes "Heilsethos", das in dieses Ethos der Sachlichkeit theologische Letztbegründungen, Motivationen und Stimulative einbringt, selbst aber nichts zur "Sache" beiträgt. (Fs) (notabene)
157a Der entscheidende Punkt jedoch, der hier herausgehoben werden soll, ist, daß die "autonome Moral" als Ethos der Sachlichkeit die Perspektive des Sittlichen verfehlt; sie ist zwar autonom, aber keine Moral; und insofern sie zur Moral wird - durch die Integration in das Heilsethos - ist sie nicht mehr autonom. Im Konzept der autonomen Moral, wie es von Auer und anderen Autoren dargestellt wird, befindet sich ein innerer Widerspruch; es kann seinem Anspruch nicht gerecht werden, d. h. der im Begriff der Autonomie artikulierten Vorstellung, "daß der Mensch sich selbst Gesetz ist, daß sittliche Normen dem Menschen also nicht von außen im Sinne heteronomer Inpflichtnahme auferlegt, sondern von ihm selbst mit der Kraft seiner Vernunft entwickelt werden".2 (Fs)

157b Und dies aus folgenden Gründen:

1. Es fehlt der Begriff einer praktischen Vernunft als Vermögen des einzelnen Menschen, aufgrund dessen er seine Handlungen auf das menschlich Gute ausrichten könnte. (Fs)

2. Es fehlt der Begriff einer menschlichen Vernunft, die selbst Kriterium und Maßstab für das menschliche Gute wäre; in der Folge fehlt überhaupt ein Kriterium des Sittlichen; es wird aufgelöst in die jeweiligen Ergebnisse der Humanwissenschaften, der Philosophie und den Erfahrungen und Möglichkeiten der Menschheitsgeschichte. Zielvorstellungen beschränken sich auf Formeln wie Menschenwürde, Selbstentfaltung, Mitmenschlichkeit etc. (Fs)

3. Die "autonome Moral" spricht zwar von Normen, Sittlichkeit etc., besitzt jedoch keinen adäquaten Begriff der "sittlichen Handlung"; Sittlichkeit ist für sie nicht eine den Handelnden selbst vervollkommnende Qualität des menschlichen Aktes als actio immanens, deren Folgen also nicht primär in die Sachstruktur der den Handelnden umgebenden Welt hineinreichen, sondern im Handelnden selbst verbleiben; Sittlichkeit wird vielmehr als Eigenschaft von Verhaltensweisen begriffen, die sich sozial, kulturell, geschichtlich vermitteln und verändern und sich in immer wieder veränderbaren Normen artikulieren. (Fs)

4. Der Begriff der "sittlichen Verhaltensweise" und "sittlichen Norm" auf der Ebene des "Weltethos" gerät damit in das Gravitationsfeld soziologischer statt ethischer Bestimmtheit; er reflektiert nicht die dem menschlichen Handeln innewohnende Ausrichtung auf die Vollkommenheit der Tugend, auf die die Selbstgesetzlichkeit des Menschen hingeordnet ist und in der sie sich erfüllt. Normen werden zu sozialen Regulativen menschlichen Verhaltens. Sie "sind unverzichtbar aber haben ein Gefälle zum ethischen Minimum. Der 'christliche Kontext' drängt aber unweigerlich auf ein hochethisches Verständnis des Sittlichen".3

5. Damit wird das "Proprium des Sittlichen" - die Ausrichtung des menschlichen Handelns auf seine spezifische Vollkommenheit in der Tugend - mit dem "christlichen Proprium" identifiziert; das Weltethos geht dabei seiner sittlichen Eigenständigkeit verlustig. Es ist nicht ein Ethos sittlicher Eigengesetzlichkeit des Menschen, sondern wird zu einem "Ethos" der Unabhängigkeit des Weltverhaltens von den spezifischen und objektiven4 Ansprüchen der Sittlichkeit. Als solches vermag es wohl "Handlungsnormen" zu begründen; es begründet sie jedoch in ihrer "Sachgemäßheit", nicht aber in ihrer Sittlichkeit. "Sachgemäßheit" selbst löst sich damit von dem, was im eigentlichen mit "sittlicher Verantwortung" gemeint ist. (Fs)

6. Die autonome Moral rezipiert demzufolge nicht einen Autonomiebegriff, der eine der menschlichen Person immanente sittliche Eigengesetzlichkeit meint, sondern den Begriff der Autonomie als Unabhängigkeit. Damit geht die autonome Moral über das Ziel hinaus, das sie sich setzt. Denn das berechtigte Anliegen einer "autonomen Moral" bestand im Aufweis der immanenten Rationalität der menschlich-natürlichen Sittlichkeit und damit ihrer Begründungsunabhängigkeit bezüglich des Glaubens, sowie der wissenschaftlich-methodologischen Eigenständigkeit der Ethik gegenüber der Metaphysik. Durch ihren Ansatz entwickelt sich die autonome Moral jedoch unversehens zu einer Ethik der Unabhängigkeit und Souveränität einer von keinerlei materialer Gesetzlichkeit bestimmten Vernunft, die zudem das Proprium des Sittlichen aus den Augen verliert und immer mehr zu einem Organ der technischen Bewältigung von Sachfragen wird. Damit bleibt die "autonome Moral" gleichzeitig hinter ihrem Anspruch zurück, eine Begründung für die immanent-menschliche Eigengesetzlichkeit des sittlichen Anspruchs zu sein. (Fs)

158a Diese Fehlentwicklung läßt sich letztlich nur auf dem Hintergrund der überstürzten Suche nach einem neuen ethischen "Argumentationsmodell" infolge der auf moraltheologischem Unverständnis und mangelnder Geduld beruhenden Kontestation gegenüber der Enzyklika "Humanae Vitae" erklären.5 Die adäquate Rezeption und das Verständnis für die ethischen Gehalte dieser Enzyklika sind eben erst richtig in Gang gekommen und zeigen die geradezu tragischen Mißverständnisse damaliger Kritiker, die die Frage der Antikonzeption auf ein "Methodenproblem" reduzierten und damit eben gerade die ethische Dimension, das "sittliche Proprium", verfehlten, in ihrer ganzen Tragweite auf. (Fs)

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