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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Fazit, Zusammenfassung: Empfängnisverhütung, Kontrazeption; lex aeterna; gottgewollte Ordnung

Kurzinhalt: Unterscheidung von "natürlich" und "künstlich"

Textausschnitt: 137a Somit kommen wir zum Fazit, daß in der Frage der Empfängnisverhütung, aufgrund einer "ignoratio" oder "mutatio elenchi", einer Verkennung oder Verlegung des Streitpunktes, sehr oft die eigentliche Perspektive verfehlt wurde, in der das Problem zu behandeln wäre. Das heißt: Man konzentrierte sich immer wieder auf die Frage, worin denn der Unterschied zwischen natürlich verursachter (und auch genutzter) und künstlich provozierter Unfruchtbarkeit der menschlichen Zeugungsfähigkeit liege und versuchte aufgrund der Unterscheidung von "natürlich" und "künstlich" (bzw. die "Naturordnung verletzend") eine moralische Differenz abzuleiten, - oder aber die Möglichkeit einer solchen Ableitung zu bestreiten und damit das Problem auf eine rein technische Frage effizienter Methodenwahl zu reduzieren, wobei dann die sogenannte "natürliche Methode" (periodische Enthaltsamkeit) eben nur eine andere Methode der Empfängnisverhütung wäre. In Wirklichkeit geht es jedoch, wie gezeigt wurde, um eine ganz andere Frage, nämlich um den Unterschied zwischen Beherrschung, Regulierung der prokreativen Dimension der "naturalis inclinatio" und ihrer Akte durch Vernunft und Willen und die dadurch grundgelegte Wahrung ihrer personalen Integrität als ganzheitlich-menschliche, d. h.: verantwortliche Liebe einerseits, und die Herauslösung der prokreativen Dimension der "naturalis inclinatio" aus dieser Ordnung der Tugend, bzw. der "lex naturalis" durch einen technischen Eingriff, was strukturell zur Desintegration personaler Integrität der ehelichen Liebe führt. Das Kriterium für die moralische Qualifizierung natürlicher Gegebenheiten ist also der "ordo virtutis", der auf dieser Gegebenheit unlösbar aufruht, und nicht ihre bloße "Natürlichkeit". Entscheidend ist nicht die physiologische Integrität oder "Unversehrtheit" der Zeugungspotenz, sondern die personale Integrität sexueller Akte als Akte menschlicher Liebe und ehelicher Verantwortung. Denn die Ethik handelt nicht von natürlichen Gegebenheiten, sondern von menschlichen Akten. Dabei zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen (kontrazeptiver) Verhütung möglicher prokreativer Folgen sexueller Akte und der verantwortlichen Vermeidung einer Empfängnis durch Enthaltsamkeit. Auch die "Künstlichkeit" der Kontrazeption erweist sich dann letztlich nur als mehr oder weniger praktisch notwendige Beigabe des eigentlich moralisch problematischen Aktes: der Empfängnisverhütung. (Fs) (notabene)

137b Ist jedoch einmal der hier dargestellte Zusammenhang erkannt, dann kann man in einer rückblickenden und synthetischen Deutung sehr wohl sagen, daß die naturhaften Gegebenheiten, die dieser Einheit zugrundeliegen, eingeschlossen der zyklische Charakter der menschlichen Fruchtbarkeit, eine "gottgewollte Ordnung" darstellen. Denn wir erkennen den Willen Gottes aufgrund der Erkenntnis des natürlichen moralischen Gesetzes, dem das menschliche Handeln unterliegt und das ein Gesetz der praktischen Vernunft ist. Gerade durch die Erkenntnis des Zusammenhanges zwischen Naturordnung und Vernunftordnung als "praesuppositio", wird die Naturordnung in diesem konkreten Fall - rückblickend - als Bestandteil der "lex aeterna" erkannt, als Bestandteil jener passiven "impressio" des Ewigen Gesetzes im Menschen, die Grundlage und als solche Bestandteil der "lex naturalis" als Gesetz der praktischen Vernunft darstellt, - und damit auch der Ordnung der Tugend und der sittlichen Vollkommmenheit, in der das "bonum huma-num" besteht. (Fs)


Fußnote:
22 "Non enim Deus a nobis offenditur nisi ex eo quod contra nostrum bonum agimus" (C. G. II, c. 122).

138a Nachdem die natürliche Grundlage der Tugend einmal als solche erkannt ist, ist sie auch als "bonum humanum" erkannt, - und folglich als göttliches Gesetz im Sinne der "lex aeterna", und ebenso auch als Wille Gottes; gemäß der bekannten Aussage des hl. Thomas, daß das göttliche Gesetz nichts anderes anordne, als was der Vernunft entspricht, und Gott von uns nur durch das beleidigt werde, was wir gegen unser eigenes Wohl tun.1 Und das ist gleichbedeutend mit der anderen Aussage, das göttliche Gesetz schreibe vor, alle menschlichen Handlungen der Vernunft unterzuordnen.2 Jedes Gesetz ist deshalb auf Tugend ausgerichtet, und "die Tugend besteht darin, daß sowohl die inneren Affekte, wie auch der Gebrauch der materiellen Güter, durch die Vernunft geordnet werden."3 Oder noch prägnanter: "Praecepta legis sunt de actibus virtutum", die alle letztlich auf die wahre Liebe zu Gott und dem Mitmenschen hingeordnet sind. (Fs)

[...]
so hat der Mensch dennoch keine Befugnis, zur Wahrnehmung seiner moralischen Verantwortung in einem bestimmten Bereich des Handelns diesen ganzen Bereich einfach der Notwendigkeit einer moralischen Regelung (durch Vernunft und Willen: durch sittliche Tugend) zu entziehen und damit seiner Berufung, Herr seiner Akte zu sein, durch technische Mittel zu entsagen. Diesen Mangel an Berechtigung besitzt er nicht aufgrund der Unantastbarkeit biologischer Gesetze, sondern aufgrund der Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die darin besteht, "secundum rationem" zu leben, durch willentliche und vernünftige Herrschaft über sein Handeln an der "ratio" der göttlichen Vorsehung teilzunehmen und entsprechend Herr, dominus seiner Akte zu sein. Der Mensch ist nie und nimmer berechtigt zur Lösung moralischer Probleme darauf zu verzichten, Mensch zu sein - selbst wenn die Wahrung menschlicher Würde Opfer, "Askese" und Verzicht bedeutet, die aber in der wahren Liebe immer Quelle von Freude, Erfüllung und innerem Frieden sind.26 (Fs)

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