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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Einwand: Empfängnisverhütung - Enthaltsamkeit; "technischen Effizienz" - moralische Bedeutsamkeit; "ungewolltes Kind"

Kurzinhalt: Die Entscheidung zur Empfängnisverhütung brauche keineswegs eine Entscheidung gegen die Enthaltsamkeit zu involvieren

Textausschnitt: 131d Dadurch gelangen wir zu einem weiteren Aspekt, dessen Berücksichtigung die vorhergehenden Überlegungen ergänzt: Entscheidend für die Beurteilung menschlicher Handlungen ist nicht einfach "was der Fall ist" oder "was geschieht"; sondern vielmehr, was gewollt, bzw. gewählt wird. Empfängnisverhütung wird als Mittel gewählt und ist deshalb gewollt. Etwas als Mittel wählen impliziert - sofern es sich um eine echte Wahl handelt -sich auch gegen mögliche Alternativen entscheiden. Die Wahl empfängnisverhütender Maßnahmen impliziert nun immer eine willentliche Entscheidung gegen die in der Praxis periodischer Enthaltsamkeit implizierten Erfordernisse. Empfängnisverhütung als Wahlakt des Willens impliziert, den zwischen sexuellen Akten und ihren möglichen prokreativen Folgen bestehenden Kausalnexus sowie die Enthaltsamkeit als verantwortliche Beherrschung oder Kontrolle dieses Kausalnexus als ein Übel zu betrachten. "Übel" heißt hier: als eine zu vermeidende Handlungsweise (denn jede willentliche Wahl unterliegt ja dem ersten Prinzip der praktischen Vernunft bonum prosequendum, malum vitandum est). Die Wahl der Empfängnisverhütung ist also in ihrer ethischen Substanz nicht einfach nur "Anwendung" einer bestimmten Methode, sondern eine dieser "Anwendung" vorausliegende und sie leitende Wahl einer Handlungsweise, die die willentliche Zurückweisung der Erfordernisse menschlicher Tugend, bzw. der Tugend der Keuschheit impliziert. Insbesondere ist sie eine Entscheidung gegen die Enthaltsamkeit, denn es gibt keinen konsistenten Grund, weshalb man operative Sterilisierung, Einnahme von oralen Verhütungsmitteln, Benutzung von Kondomen, Spiralen oder ständige Unterbrechung des ehelichen Aktes sinnvollerweise wählen kann, es sei denn aus dem Grund, daß man die Notwendigkeit der (periodischen) Enthaltsamkeit als ein zu vermeidendes Übel betrachte. (Fs)

132a Man könnte einwenden: Die Entscheidung zur Empfängnisverhütung brauche keineswegs eine Entscheidung gegen die Enthaltsamkeit zu involvieren, sondern sie könnte auch einzig und allein aus dem Grund getroffen werden, empfängnisverhütende Maßnahmen als den einzig völlig sicheren Weg zu betrachten. (Fs)

132b Diese Beschreibung einer antikonzeptiven Wahl ist nun jedoch ganz einfach eine falsche oder zumindest unvollständige Beschreibung; und wer ihrer Logik gemäß entschiede, der gründete seine Wahl auf einer falschen Voraussetzung. Diese Voraussetzung bestünde darin, (periodische) Enthaltsamkeit und Emfpängnisverhütung als (im technischen Sinne) zwei verschiedene Methoden zu betrachten, - also gerade darin, den eigentlichen Kern der Frage zu übersehen: Empfängnisverhütung und periodische Enthaltsamkeit sind nicht einfach zwei verschiedene "Methoden, um keine Kinder zu bekommen", sondern zwei ethisch fundamental verschiedene Handlungsweisen. Er würde die Frage der "technischen Effizienz" (die Frage nach der "Sicherheit") vor der Frage nach der moralischen Bedeutsamkeit und Zulässigkeit stellen, bzw. die Beantwortung der letzteren von der ersteren abhängig machen. Wer auf dieser Grundlage entscheidet, verrät ein entsprechendes Maß an moralischer Unwissenheit, Ahnungslosigkeit oder Unreife, die in jeweils geringerem oder höherem Maße selbstverschuldet sein kann, jedoch nichts daran ändert, daß eine solche Entscheidung eine im moralischen Sinne objektiv falsche Entscheidung wäre - und in ebenso moralisch-objektiver Weise einer Entscheidung gegen die Erfordernisse sittlicher Tugend (bzw. gegen das Erfordernis prokreativer Verantwortlichkeit sexueller Akte) gleichkommt. Im übrigen ist die "Sicherheit" bzw. "Effizienz" eines Mittels hinsichtlich der Erreichung eines angestrebten Zieles in keinem Bereich des menschlichen Handelns ein Kriterium für dessen moralische Zulässigkeit. (Fs)

132c Wer hingegen in diesem Zusammenhang vom "Risiko des ungewollten Kindes" spricht, der vergißt, daß diese Sprechweise überaus problematisch ist; denn für den Fall, daß sich die Eheleute moralisch verpflichtet fühlen, eine Schwangerschaft zu vermeiden, und deshalb periodische Enthaltsamkeit üben, setzt diese Sprechweise voraus, daß sich die Eheleute für eine - entgegen ihrer Intention, eine Schwangerschaft zu vermeiden - eventuell dennoch eintretende Empfängnis nicht verantwortlich fühlen. Diese Voraussetzung ist nun jedoch nur für den Fall einer antikonzeptiven Intentionalität zutreffend. Das sog. "ungewollte Kind" ist in Wirklichkeit nicht als "Risiko", also als ein Übel, zu betrachten, sondern als die prokreative Folge eines in sich prokreativ dimensionierten Aktes, das in periodischer Enthaltsamkieit engagierte Eheleute auch genau in dem Maße als ein Gut betrachten, als sie sich der Logik der periodischen Enthaltsamkeit entsprechend verhalten, d. h. als sie sich für die prokreativen Folgen ihrer sexuellen Akte verantwortlich fühlen. Das sogenannte "ungewollte Kind" bildet nur unter der Voraussetzung kontrazeptiver Einstellung ein Problem frustrierter Intention oder ein "Risiko". Fehlt diese Einstellung, so ist auch das sog. "ungewollte Kind" ein als Folge der ehelichen Liebe erfahrenes Gut und somit ein angenommenes Kind. (Fs) (notabene)

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