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Autor: Kriele, Martin

Buch: Einführung in die Staatslehre

Titel: Einführung in die Staatslehre

Stichwort: Vertrauen in den Fürsten; Vereinbarkeit: Absolutismus - Rechtsstaatlichkeit; Hindenburg

Kurzinhalt: Die eigentliche Schreckenserfahrung war die des 30-jährigen Krieges und nicht die der totalitären Entartung des Absolutismus. Friede schien wichtiger als der Rechtszustand

Textausschnitt: 293b Zu den historischen, theologischen, philosophischen und sozialen Wurzeln dieser Einsichtshemmung ist schon viel gesagt worden. Man hat hingewiesen auf Eigentümlichkeiten des deutschen Protestantismus und des deutschen Idealismus, auf das Scheitern aller Revolutionsversuche, auf die industrielle Explosion, auf die nationalen Demütigungen und deren psychologische Überkompensation im großdeutschen Nationalismus und auf ähnliche Motive. Doch gilt es, einen für unseren Zusammenhang besonders wichtigen Gesichtspunkt hervorzuheben: das Vertrauen in die Person des Machthabers. Die absolutistischen Fürsten Deutschlands haben den Missbrauch ihrer Macht selten zu solch totalitärem konfessionellem Terror gesteigert wie z.B. der französische König nach 1685. Manche Umstände wirkten hier zusammen: Nach dem reichsrechtlichen Prinzip »cuius regio - eius religio« regierten die deutschen Fürsten seit 1555 Einkonfessions-Staaten und hatten zu konfessionellem Terror wenig Anlass. Soweit sie später durch regionale Ausdehnung Mehrkonfessions-Staaten wurden, wie Preußen und Bayern, war der konfessionelle Fanatismus schon weitgehend verblasst, und die Fürsten regierten verhältnismäßig tolerant. Die Theologie unterstützte das Vertrauen in den Fürsten nachdrücklich (»seid Untertan denen, die Gewalt über euch haben«), und das galt besonders in den evangelischen Landesteilen, wo die Fürsten zugleich oberste Bischöfe waren. Die Erfahrungsberichte aus Frankreich stammten von Hugenotten, denen die illegale Flucht gelungen war, und was die anderen, denen sie nicht gelungen war, erlitten hatten, drang nicht tief genug ins Bewusstsein. Die eigentliche Schreckenserfahrung war die des 30-jährigen Krieges und nicht die der totalitären Entartung des Absolutismus. Friede schien wichtiger als der Rechtszustand. Als dann im Lauf des 18. und 19. Jahrhunderts die so genannten aufgeklärten absoluten Herrscher einen verhältnismäßig hohen Grad an Rechtssicherheit schufen, erschien Absolutismus mit Rechtsstaatlichkeit vereinbar. (Fs) (notabene)

293c Trotzdem hatte die politische Aufklärung im Bewusstsein der Gebildeten zwar Fuß gefasst, aber doch nicht genug, um die Entartung der französischen Revolution nachhaltig zu überdauern. Deren Terror schrieb man weniger der Aufhebung der gewaltenteilenden Verfassung von 1791 und dem Despotismus der neuen absoluten Herrschaft zu, als vielmehr der revolutionären Auflehnung gegen die Monarchie (vgl. oben § 79). Und die konservative Propaganda tat alles, um den Unterschied zwischen einer Revolution mit dem Ziel einer gewaltenteilenden Verfassung und dem einer revolutionären Despotie zu verwischen. (Fs)

294a Das unbegrenzte Vertrauen in den unumschränkten Machthaber hatte etwas vom Vertrauen in den Vater, der auch bei großer Strenge gütig ist und das Beste seiner Kinder will. Dieses Urvertrauen scheint sich über alle Erfahrung des 19. Jahrhunderts hinweg erhalten und in der Weimarer Republik auf den Reichspräsidenten Hindenburg übertragen zu haben. Da dieser es war, der Hitler zum Reichskanzler machte, da Hitler sich am »Tage von Potsdam« (21. März 1933) ehrerbietig vor seiner Autorität verneigte und schließlich sein Nachfolger wurde, übertrug sich dieses Urvertrauen auf ihn. Wie Eberhard Jäckel dargelegt hat1, konnte man sich in weitesten Kreisen des deutschen Volkes nicht vorstellen, dass der Inhaber des höchsten Staatsamtes persönlich für geschehenes Unrecht verantwortlich war. Man pflegte später zu sagen: »Wenn das der Führer wüsste« oder »Dem Führer bleibt auch nichts erspart«. Wie wenig der Zusammenhang zwischen Terror und Staatsform im deutschen Bewusstsein lebendig war, zeigte sich sogar noch bei den konservativen Helden und Märtyrern des Widerstands. Sie beriefen sich auf das Wort Gottes, auf die Ehre des Vaterlandes oder die persönliche Ehre, auf Liebe zum Volk oder auf das Glück der künftigen Generationen. Sie kämpften in der Regel gegen konkrete Missstände, z.B. gegen antikirchliche Maßnahmen, das Euthanasieprogramm, die Verfolgung nichtarischer Pfarrer, oder sie versuchten einfach nur, die drohende totale Niederlage abzuwenden. Nur ausnahmsweise beriefen sie sich auf den schlichten Grundsatz, dass jeder Mensch gleichen Anspruch auf Freiheit und Würde hat und dass deshalb das politische System, das den Menschen des Rechtszustandes schlechthin beraubte, prinzipiell und im Ganzen unrecht sei: so vor allem im Kreis um Professor Huber und die Weiße Rose.22 (Fs)

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