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Autor: Kriele, Martin

Buch: Einführung in die Staatslehre

Titel: Einführung in die Staatslehre

Stichwort: Hitler; katholische Parteien; Ermächtigungsgesetz: Zustimmung der katholischen Fraktion; drei Gründe

Kurzinhalt: Hitler ist ganz überwiegend nicht in den katholischen, sondern in den protestantischen Regionen Deutschlands gewählt worden. Gründe: Bolschewismus, Konkordat, Neutralität

Textausschnitt: 292a Was zunächst die katholischen Parteien, Zentrum und Bayerische Volkspartei betrifft, so hatten sie in der Weimarer Zeit, ja selbst noch Anfang März 1933 -also nach Hitler's »Machtergreifung« vom 30. Januar - die Nationalsozialisten als ganz prinzipielle Gegner bekämpft und so gut wie keine Wähler an sie verloren. (Fs)

292b Hitler ist ganz überwiegend nicht in den katholischen, sondern in den protestantischen Regionen Deutschlands gewählt worden. Vergleicht man die Karte des Deutschen Reiches, die die konfessionelle Bevölkerungsverteilung kennzeichnet (je dunkler die Schraffierung, desto größer der Katholikenanteil), mit der Karte, die die regionale Verteilung der Wählerstimmen für Hitler sichtbar macht (je heller die Schraffierung, desto größer der Prozentsatz der Hitler Wähler), so zeigen sich zwei fast identische Bilder.1 (Fs) (notabene)

292c Dass die katholische Fraktion gleichwohl dem Ermächtigungsgesetz vom 26. März 1933 zustimmte, geschah gegen erhebliche innere Widerstände, nachdem ihr Vorsitzender, Prälat Kaas, von einer Romreise zurückgekehrt, mitteilte, die Zustimmung sei der Wunsch des Vatikan. Dafür waren drei Gründe ausschlaggebend: Der erste war die Information über den Bolschewismus. Dieser hatte Russland erobert und war in Deutschland ja nicht schwach vertreten. Seine These war: Wer Deutschland hat, hat Europa; wer Europa hat, hat die Welt. Man fürchtete, die Weimarer Republik sei der Gefahr nicht gewachsen, man müsse mit autoritären Mitteln gegen sie vorgehen. Man dachte nicht faschistisch oder gar nationalsozialistisch, sondern setzte auf einen antikommunistischen Autoritarismus. (Fs)

292d Der zweite Grund war wohl die Inaussichtstellung des Konkordats durch Hitler. Es ging um die völkerrechtlich verbindliche Festlegung einer Reihe von Ordnungsprinzipien, betreffend das freie Kultus- und Glaubensleben, Priesterausbildung, Priesterstand, Zeugnisverweigerungsrecht, Beichtgeheimnis, Schutz des Sonntages und der christlichen Feiertage, Elternrecht und die Anerkennung der katholischen Schulen. Aus der Kulturkampfstimmung des 19. Jahrhunderts heraus war vieles immer wieder verweigert oder mit hinhaltendem Widerstand verzögert worden. In Preußen hat man es 1928 zu einem Konkordat gebracht, weil dort das Zentrum zusammen mit den Sozialdemokraten die Regierung stellte. Nun hatte man die Aussicht, ein Konkordat auf Reichsebene zu bekommen, und es konnte im Juli 1933 tatsächlich abgeschlossen werden: Hitler schien also so schlimm nicht zu sein. (Fs)

292e Der dritte Grund lag in der traditionellen katholischen Neutralität gegenüber den verschiedenen Staatsformen. Die Kirche als internationale Institution musste mit Monarchien, Republiken, Demokratien gleichermaßen gute Beziehungen pflegen, sofern sie die Mindestforderungen der Kirche anerkannten. Engagement für die rechtlich-institutionellen Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates erschien mit den Neutralitätsinteressen der Kirche nicht vereinbar. Man nahm an, dass es auf die Staatsform nicht entscheidend ankäme. (Fs)

292f Das waren drei zwar irrige, die Gefahr unterschätzende, aber immerhin rational nachvollziehbare Motive. Sehr viel schwieriger ist es, die Motive zu verstehen, aus denen heraus die protestantisch geprägten Parteien dem Ermächtigungsgesetz zustimmten. Unter diesen muss man die konservativen und die liberalen unter-scheiden. [...]

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