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Autor: Kriele, Martin

Buch: Einführung in die Staatslehre

Titel: Einführung in die Staatslehre

Stichwort: Ursache: Mangel an bürgerlichem Rechtsbewusstsein

Kurzinhalt: Man unterschied einen autoritären und einen totalitären Staat

Textausschnitt: 291b Die Antwort lautet in ihrer allgemeinsten vorläufigen Form: im Mangel an bürgerlichem Rechtsbewusstsein, genauer in der Unterschätzung der fundamentalen Bedeutung rechtsstaatlicher Institutionen der Gewaltenteilung, der Bürgerrechte und der parlamentarischen Demokratie und in der Annahme, sie seien durch Moral und gute Gesinnung ersetzbar. In den westlichen Demokratien wäre die Preisgabe der staatsrechtlichen Grundlagen der Verfassung zugunsten einer Diktatur als Katastrophe erschienen. In Deutschland nahm man an, es komme nur auf die Art und Weise der Ausübung der Diktatur an. Man könne normalerweise damit rechnen, dass eine Diktatur maßvoll und vernünftig ausgeübt werde. Es sei damals nicht vorhersehbar gewesen, dass sie zu Verbrechen, zu Massenvernichtungslagern und Angriffskriegen missbraucht werde. In einem Kulturstaat wie Deutschland sei ein solcher Missbrauch der Macht ausgeschlossen. (Fs)

Kommentar (18.02.07): Diese Begründung scheint mir nicht hinrieichend zu sein.

291c Man unterschied einen autoritären und einen totalitären Staat und wollte mit Hitler's Diktatur »bloß« einen autoritären Staat schaffen. Aber der Unterschied zwischen autoritärer und totalitärer Diktatur ist kein Unterschied des Staatstypus, sondern eben nur der Art und Weise der Machtausübung. Der Staatstypus ist in beiden Fällen dadurch gekennzeichnet, dass die Staatsgewalt über dem Recht steht und also rechtlich nicht gebunden ist. Dann aber ist die verbrecherische Ausübung der Staatsgewalt zumindest eine Möglichkeit; und die Annahme, moralische Appelle könnten Vernunft und Mäßigung bewirken, ist nichts als eine Hoffnung. Die rechtlich-institutionelle Staatsphilosophie setzt ihr Vertrauen deshalb nicht nur in moralische Appelle, sondern in erster Linie in rechtliche Institutionen der Gewaltenteilung, der Bürgerrechte und der parlamentarischen Demokratie. Diese Institutionen sind durch moralische Appelle an den Machthaber nicht ersetzbar: Das war die Quintessenz des englischen Abwehrkonzeptes gegen den Absolutismus im 17. Jahrhundert (vgl. oben § 28) und der politischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts (oben §§31 ff.). (Fs)

291c Man unterschied einen autoritären und einen totalitären Staat und wollte mit Hitler's Diktatur »bloß« einen autoritären Staat schaffen. Aber der Unterschied zwischen autoritärer und totalitärer Diktatur ist kein Unterschied des Staatstypus, sondern eben nur der Art und Weise der Machtausübung. Der Staatstypus ist in beiden Fällen dadurch gekennzeichnet, dass die Staatsgewalt über dem Recht steht und also rechtlich nicht gebunden ist. Dann aber ist die verbrecherische Ausübung der Staatsgewalt zumindest eine Möglichkeit; und die Annahme, moralische Appelle könnten Vernunft und Mäßigung bewirken, ist nichts als eine Hoffnung. Die rechtlich-institutionelle Staatsphilosophie setzt ihr Vertrauen deshalb nicht nur in moralische Appelle, sondern in erster Linie in rechtliche Institutionen der Gewaltenteilung, der Bürgerrechte und der parlamentarischen Demokratie. Diese Institutionen sind durch moralische Appelle an den Machthaber nicht ersetzbar: Das war die Quintessenz des englischen Abwehrkonzeptes gegen den Absolutismus im 17. Jahrhundert (vgl. oben § 28) und der politischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts (oben §§31 ff.). (Fs)
291d Wie wenig das Problem der Staatsform in Deutschland verstanden und ernst genommen wurde, ergibt ein Vergleich der Wahlergebnisse der Reichstagswahlen vom 20. 5. 1928 mit denen vom 31. 7. 1932. [...]

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