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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Die Konstituierung der "lex naturalis" durch die "lex aeterna"; Alternative zum stoischen Begriff des Naturgesetzes und seines Prinzips des "secundum naturam vivere"

Kurzinhalt: Denn auf der Ebene des Geschöpfes, der "causa secunda" also, ist die Ordnung des natürlichen Gesetzes tatsächlich ein Werk der Vernunft, "aliquid per rationem constitutum" und somit formell ein "ordo rationis", ...

Textausschnitt: 70e So wie man das Gesetz allgemein als "dictamen practicae rationis in principe" bezeichnen kann und vorausgesetzt, daß die Welt durch die Vorsehung Gottes regiert wird, läßt sich der "Plan" der göttlichen Weltregierung ("ratio gubernationis rerum in Deo") als Gesetz bezeichnen. Dieser Plan oder dieses Gesetz ist ein "conceptum" der "ratio divina", und deshalb ewig; es ist also ein ewiges Gesetz.1 (Fs)

71a Das natürliche Gesetz ist nun nicht "aliquid diversum a lege aeterna", nicht etwas vom Ewigen Gesetz Verschiedenes, sondern "quaedam participatio eius", "eine gewisse Teilnahme an ihm".2 Dies zu betonen erweist sich als wichtig: Denn der "Raum", in welchem die menschliche Vernunft gesetzgebend wirkt, ist nicht als Freiraum zu denken, innerhalb dessen gewissermaßen noch nichts "vorgesehen" oder geordnet wäre und der damit auch noch nicht einem Gesetz unterläge. Dieser Fehlschluß - der letztlich einem Irrtum bezüglich der Natur der göttlichen Vorsehung gleichkommt - liegt dem Begriff "theonome Autonomie" zugrunde. (Fs)

71b Vielmehr besteht dieses Gesetz für das menschliche Handeln bereits, aber - das ist gegenüber einer naturalistischen Fehldeutung zu betonen - nur im göttlichen Geist und nicht in der geschaffenen Natur. Die durch die "lex aeterna" etablierte und im Bereich des menschlichen Handelns durch das natürliche Gesetz konstituierte Ordnung ist keine "Naturordnung" schlechthin, sondern ein "ordo rationis", der von Ewigkeit her in Gott besteht und dann, durch die menschliche Vernunft vermittelt, in den Akten des Willens und den einzelnen Handlungen konstituiert wird.3 (Fs)

71c Die Rückbeziehung der "lex naturalis" auf eine der Natur selbst transzendente "lex aeterna" - möglich nur in einer Metaphyik des geschaffenen Seins - erweist die thomistische Lehre vom Naturgesetz, trotz aller anderer Parallelen, als eigentliche Alternative zum stoischen Begriff des Naturgesetzes und seines Prinzips des "secundum naturam vivere". Denn auf der Ebene des Geschöpfes, der "causa secunda" also, ist die Ordnung des natürlichen Gesetzes tatsächlich ein Werk der Vernunft, "aliquid per rationem constitutum" und somit formell ein "ordo rationis", - und eben nicht, wie gemäß stoischer Auffassung und der an dieser orientierten naturalistischen Deutung, eine "Naturordnung", derer die Vernunft lediglich einsichtig wird, um dann in Übereinstimmung mit ihr zu leben. Die Stoa hat wohl die "lex aeterna" entdeckt, und dadurch erklärt sich die große Anziehungskraft, die ihre Lehre immer auf die christlich inspirierte Philosophie auszuüben vermochte. Die stoische Philosophie mußte aber gleichzeitig die "lex aeterna" mit der natürlichen Seinsordnung schlicht identifizieren, und deshalb wird das stoische Naturgesetz zu einer vernünftigen Partizipation an der Notwendigkeit der Seinsordnung, und Freiheit zur "Einsicht in die Notwendigkeit", wie ein anderer "Stoiker", nämlich Hegel, formulierte. Das Problem, das sich aus dieser Identifizierung ergibt, ist jenes der nachfolgenden zirkelhaften konkret-materialen Bestimmung des Inhaltes dieses natürlichen Gesetzes.4 (Fs)

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