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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Die Differenzierung von spekulativer und praktischer Vernunft

Kurzinhalt: Gegenstände der menschlichen »Theoria" sind nur für den Schöpferwillen Gottes auch praktische Gegenstände

Textausschnitt: 44d Was heißt nun jedoch, spekulativer und praktischer Intellekt unterscheiden sich durch ihr Ziel? Ziel des Intellektes, seiner spekulativen "apprehensio", ist doch gerade das Sichtbarmachen der in der Sinneserfahrung eingeschlossenen intelligiblen Wahrheit. Ist der praktische Intellekt etwa nicht auf Wahrheit gerichtet? (Fs) (notabene)

[...]

Ganz abgesehen davon, daß der Intellekt von Natur aus immer spekulativ ist - denn die "speculatio" ist die dem Intellekt im Unterschied zu den Sinnen eigene Art der "apprehensio", die eben sieht, was die Sinne nicht "sehen", nämlich die intelligible Wahrheit - abgesehen von der Natur des Vermögens also, geht es hier um das verschiedene Ziel, welches das erkennende Subjekt verfolgt, wenn es einmal seinen Intellekt theoretisch, ein anderes Mal praktisch gebraucht. Trotz der gleichbleibenden spekulativen Eigenart des Vermögens, unterscheiden sich dann die kognitiven Intentionen des Erkenntnisaktes. Einmal ist diese Intention - das Ziel - theoretisch (bloßes Erkennen dessen, was ist, um der Erkenntnis willen); im anderen Fall ist sie praktisch (die Bestimmung des praktisch Guten, dessen, was getan werden soll). Dem ersten Erkenntnismodus entsprechen theoretische, dem zweiten praktischen Urteile.1 Praktische Urteile sind zwar eine "extensio" des spekulativen Aktes der Vernunft; sie sind aber keine "extensio" theoretischer Urteile der Vernunft. (Fs) (notabene)

45c Daß Thomas die unterschiedliche Struktur praktischer Urteile nicht übersehen hat, wird aus seinem Kommentar zu De anima deutlich. Es zeigt sich, daß die "extensio" des Intellektes keineswegs darin besteht, daß nun einfach der Inhalt spekulativer Urteile durch einen hinzutretenden Willensakt "gewollt" und so auf die Sphäre des Handelns angewandt würde. Das in einer metaphysisch-theoretischen Erkenntnis erfaßte Sein braucht und kann ja gar nicht in diesem Sinne gewollt werden, da es ein notwendig Seiendes bereits ist. Der Wille kann sich dem Sein wohl liebend zuwenden; dabei handelt es sich jedoch um die affektive Vollendung der Kontemplation. Gegenstände der menschlichen »Theoria" sind nur für den Schöpferwillen Gottes auch praktische Gegenstände. (Fs) (notabene)

45d Das Verhältnis zwischen praktischem Intellekt und Willen (bzw. Liebe) ist vielmehr umgekehrt: Während die Theoria mit der staunend-fragenden Hinwendung des Intellektes zur Wirklichkeit beginnt, um sie dann in einem Nachvollzug schöpferischer Liebe ("Und Gott sah, daß alles gut war") zu bestätigen, so ist das Prinzip des praktischen Intellektes Gegenstand eines Strebens, ein appetibile. Die "extensio ad opus" beruht auf einer bewegenden Kraft, einer motio, die praktischen Urteilen durch das ihnen eigene Prinzip zukommt. Dieses Prinzip, das "appetibile", ein praktisches Gut, das "bewegt ohne bewegt zu sein", ist das "primum consideratum ab intellectu practico".1 Es ist als unbewegtes und zugleich bewegendes Prinzip der Ausgangspunkt der consideratio des praktischen Intellektes, der als Intellekt dadurch seine bewegende Kraft, d. h. seine "extensio" erhält. "Der praktische Intellekt - betont Thomas - wird deshalb 'bewegend' genannt, weil nämlich sein Prinzip, das Erstrebte ('appetibile'), bewegt."2 (Fs) (notabene)

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