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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Naturgesetz, lex naturalis; falsches Verständnis am Beispiel Josef Fuchs

Kurzinhalt: Man befindet sich in einem Schematismus, der unterstellt, daß das Naturgesetz "objektiv" die Ordnung der Natur ist, die dann, "subjektiv", von der Vernunft erkannt, also aus der Natur "abgelesen" wird.

Textausschnitt: 30a Mit einer historischen Reminiszenz soll dies verdeutlicht und belegt werden. Josef Fuchs hatte seinerzeit in seinem Standardwerk "Lex naturae"1 lehramtliche Formulierungen bezüglich des Naturgesetzes systematisiert. Er glaubte dabei "zwei Reihen" von Formulierungen finden zu können; eine erste, die dessen "ontologische Grundlage" betrifft; und eine zweite, die sich auf die "noetische Seite des Naturgesetzes, sein Ins-Herz-geschrieben-sein, seine natürliche Erkennbarkeit durch den Menschen" bezieht.2 Zur ersten Reihe gehören Formulierungen wie die Ehe sei aufgrund ihrer "Natur" Einehe, diese Eigenschaft folge aus der "Natur des Menschen" selbst, das Eigentumsrecht sei "von der Natur" selbst gegeben, die Wertordnung ergebe sich "aus der Natur der Dinge" usw. (Fs)
30b Was ist damit entschieden? Doch wohl nur, daß die sittliche Ordnung ein natürliches Fundament besitzt. Wie allerdings diese natürliche Fundierung und Regelung wirksam wird, ist damit nicht gesagt. Fuchs interpretiert jedoch: "So erscheint das Sein, das Wesen, die leibgeistige Natur des Menschen selbst als die Norm des sittlichen Verhaltens und des Rechtes." Diese Schlußfolgerung geht entschieden zu weit. Man könnte sie zwar, wiederum als "abgekürzte Rede", gelten lassen; sie verwandelt sich aber in den Händen eines Moraltheologen in eine viel weitergehende, analytische Aussage: Norm, Maßstab des sittlich Guten sei die Natur; die sittliche Ordnung wird auf die Naturordnung reduziert. (Fs)

30c Wenn dann Fuchs von der "zweiten Reihe" spricht (das Naturgesetz ist ins Herz des Menschen eingeschrieben und natürlicherweise erkennbar), dann kann dieser zweite Aspekt nur im Einklang mit dem ersten interpretiert werden, und das heißt: Die Entscheidung bezüglich der Interpretation ist bereits gefallen. Fuchs formuliert: "Die naturhafte Seinswirklichkeit stellt die objektiv-seinshafte Aussage über die sittliche und rechtliche Ordnung dar, die in der von der Seinswirklichkeit her bestimmten Vernunftserkenntnis subjektiv erfaßt wird; die Vernunft liest aus der Natur der Dinge und des Menschen das Naturrecht heraus. Die Aussage, daß die Vernunft das ins Menschenherz geschriebene Gesetz lesen kann, will offensichtlich nichts anderes bedeuten: das Naturgesetz ist insofern ins Herz geschrieben, als die Vernunft aus der Seinswirklichkeit des Menschen und der Dinge heraus das Gesetz der Natur zu erfassen vermag." (Fs) (notabene)

30d Alle diese Formulierungen könnte man in der abgekürzten Rede der Alltagskommunikation und auch der Verkündigung einigermaßen gelten lassen. Baut man jedoch darauf eine systematische Analyse auf, so hat man bereits eine folgenschwere Entscheidung getroffen: Man befindet sich in einem Schematismus, der unterstellt, daß das Naturgesetz "objektiv" die Ordnung der Natur ist, die dann, "subjektiv", von der Vernunft erkannt, also aus der Natur "abgelesen" wird. (Fs) (notabene)

[...] das Studium der großen theologischen Meister und der Kirchenväter ist dabei vernachlässigt worden. So haben in den Grundorientierungen vieler Moraltheologen offenbar bestimmte, nur einzelne Schulrichtungen repräsentierende Denkschemata bis heute deren Auffassung von der "traditionellen katholischen Moraltheologie" geprägt. (Fs)

32a Ein solches Schema ist jenes der Unterscheidung eines "objektiven" Naturgesetzes als "Naturordnung" von einer "subjektiven" Erkenntnis dieser Ordnung durch die Vernunft als eine zum Nachvollzug "aufgegebene" Wesensordnung der Dinge und die so verstandene Ableitung des "Sollens" aus dem "Sein". Was in diesem Schema jedoch völlig unberücksichtigt bleibt, ist die praktische Vernunft, insofern sie in ihrem Erkenntnisakt die "lex naturalis" selbst konstituiert, d. h. es bleibt unerkannt, daß die praktische Vernunft selbst eine natürliche Erkenntnisweise besitzt, die ebenfalls zur Natur des Menschen gehört und mitformuliert, was Naturgesetz ist. Es handelt sich dabei um den natürlichen Akt der praktischen Vernunft, der zwar zur "Natur des Menschen" gehört, dabei aber, als Natur, dem Akt der praktischen Vernunft nicht "gegenüber steht", sondern vielmehr dieser Akt, bzw. die durch ihn etablierte Ordnung ("ordinatio rationis") selbst ist. Das Naturgesetz ist also nicht einfach von der Vernunft aus der Natur abgelesen, sondern durch die Vernunft in einem natürlichen Akt praktischer Erkenntnis konstituiert. (Fs)

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