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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Die Perspektive der Moral

Titel: Die Perspektive der Moral

Stichwort: Zusammenfassung: Utilitarismus; Ethik Kants

Kurzinhalt: Utilitarismus: Theorien darüber, wie man in gegebenen Situationen ganz abgesehen davon ob nun der Wille des Handelnden gut oder schlecht ist zu "richtigen" Entscheidungen gelangt; Kantische Ethik: das Gegenteil

Textausschnitt: 323a Wir können utilitaristische Ethiken (welcher Art auch immer) als Theorien darüber begreifen, wie man in gegebenen Situationen ganz abgesehen davon ob nun der Wille des Handelnden gut oder schlecht ist zu "richtigen" Entscheidungen gelangt; Kantische Ethik hingegen ließe sich begreifen als das Umgekehrte, nämlich als eine Theorie darüber, unter welchen Bedingungen unser Wille gut oder schlecht ist, ganz abgesehen davon, was nun in einer gegebenen Situation die richtige Handlungsentscheidung ist. Kantische Ethik ist eine (transzendentale) Theorie der Bedingungen der Möglichkeit eines guten Willens; Utilitarismus ist eine Theorie des richtigen Handelns. Damit bewegen sich beide auf einer verschiedenen Ebene und es kann nicht erstaunen, dass sie sich trefflich ergänzen: Man kann als Utilitarist gleichzeitig Kantianer, und als Kantianer Utilitarist sein; Kant selbst verfährt ja, wie wir sahen, bei der Behandlung des Lügenverbotes zunächst regelutilitaristisch, um dann aber die unbedingte Befolgung der so gewonnenen Norm zur unhintergehbaren Bedingung der Moralität des Willens zu erheben (eine Ebene, mit der sich utilitaristische Begründungen gar nicht beschäftigen). (Fs)

323b Hier also sind Theorie über das Gutsein des Willens und Theorie über die Richtigkeit des Handelns auseinandergetreten. Die Moderne braucht für die Ethik immer mindest zwei in sich disparate Theorien, die dann, zum Verständnis des Ganzen, kombiniert werden müssen (wobei die gegenwärtige virtue ethics sich praktisch auf einen einzigen der beiden Teile, nämlich den ersten, konzentriert). Kennzeichen klassischer Tugendethik ist hingegen gerade, in einem einzigen Zugriff Gutsein des Wollens und Richtigkeit des Handelns zusammenzubringen. Dies freilich um den Preis, keine eindeutigen Lösungen für konkrete Entscheidungsprobleme anbieten zu können1. Sie bleibt eine Grundrisswissenschaft. Es gehört ja gerade zum Begriff der sittlichen Tugend, dass sie sich auf jenes bezieht, "was immer wieder anders ist". Wenn ein Kritiker der modernen Tugendethik beklagt: "Folglich können wir uns von ihr keinen großen Nutzen in angewandter Ethik und Kasuistik erhoffen"2, so gilt dies für Tugendethik in klassischer Tradition allerdings nur in eingeschränkter Weise. Wenn man unter Kasuistik das Erzielen von eindeutigen Handlungsanweisungen und Lösungen erwartet, dann ist allerdings jede Form von Tugendethik ein schlechter Helfer. Das heißt jedoch keineswegs, dass es nicht auch spezifisch tugendethische Kasuistik und Anwendungsdiskurse geben kann. Allerdings werden diese freilich einen anderen Stellenwert einnehmen, als in einer Normen-und Regelethik. (Fs)

[...]
324c Praktische Prinzipien sind vielmehr die Prinzipien der Vernunft eines Subjekts, das nach dem Gelingen seines Lebens strebt. Als solche sind sie nicht Prinzipien des Diskurses über Praxis, sondern Prinzipien der Praxis selbst, die den Menschen überhaupt als Handlungssubjekt konstituieren und sich gleichzeitig auch als die grundlegenden Prinzipien der Richtigkeit des Strebens erweisen, da sie das Handlungssubjekt, sein Wollen und die in dieses eingebetteten praktischen Urteile der moralischen Differenz von Gut und Böse unterstellen. Wer gegen diese Prinzipien verstößt ist nicht ein solcher, der unrichtig denkt und schließlich in seinen Entscheidungen einen Fehler begeht. Vielmehr ist er einer, der, weil sein Streben das Richtige verpasst, einen "unrichtigen" d.h. schlechten Willen besitzt. Hier besteht nun eben ein wesentlicher Unterschied zu allen Arten utilitaristischer Rationalität (von Kant her gesehen ist der eben ausgesprochene Satz ohnehin völlig daneben): Diese nämlich begreift praktische Prinzipien als orientierende Regeln für Entscheidungsprozesse. Diese Regeln jedoch, und das ist wesentlich, sind selbst wiederum Produkte einer bestimmten "decision-making-theory"; sie sind nichts anderes als Generalisierungen, die gerade jener Entscheidungsrationalität entstammen, die sie dann zu regulieren haben. Sie haben also keinen eigenen Usprung, sind der Entscheidungsrationalität selbst weder vor- noch übergeordnet, und vermögen diese letztlich auch nicht grundlegend, d.h. eben: prinzipiell, einzuschränken. Denn diese Prinzipien oder Regeln können, ja müssen, gemäß der Entscheidungslogik, die sie regulieren, immer wieder adaptiert und neu gefasst werden. Somit besitzen auch alle Prinzipien als Formulierung von "Pflichten" immer nur prima facie-Geltung, sind also gleichsam provisorischer Art1. (Fs)

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