Datenbank/Lektüre


Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 8; Von der Tragödie (Niedergang Athens; Euripides) zur Philosophie (Sokrates, Dialog); Held der Tragödie -> "Leidensknecht"; Zusammenfassung

Kurzinhalt: ... der translatio der Wahrheit vom athenischen Volk auf Sokrates. Die Tragödie starb, weil die Bürger Athens nicht mehr durch die leidenden Helden repräsentiert werden konnten... Philosophenschulen. Die Schulen überlebten die politische Katastrophe ...

Textausschnitt: 8. Von der Tragödie zur Philosophie

109b Die Repräsentation der Wahrheit ging von den Athenern Marathons auf die Philosophen über. Als Aristophanes klagte, daß die Tragödie an der Philosophie sterbe, hatte er zumindest eine Ahnung von den tatsächlichen Vorgängen, nämlich der translatio der Wahrheit vom athenischen Volk auf Sokrates. Die Tragödie starb, weil die Bürger Athens nicht mehr durch die leidenden Helden repräsentiert werden konnten. Und das drama, die Handlung im Sinne Aischylos', fand seinen Helden in dem neuen Repräsentanten der Wahrheit, in seinem leidenden Knecht Sokrates - wenn wir das Symbol des Deutero-Jesaja verwenden dürfen. Die Tragödie als Literaturgattung wurde von dem sokratischen Dialog abgelöst. Die neue theoretische Wahrheit war ferner auch in sozialer Hinsicht nicht unwirksam. Freilich konnte Athen nicht mehr ihr Repräsentant sein. Aber Platon und Aristoteles schufen selbst den neuen Gesellschaftstypus, der zum Träger ihrer Wahrheit werden konnte, nämlich die Philosophenschulen. Die Schulen überlebten die politische Katastrophe der Polis und wurden zu gestaltenden Kräften erster Ordnung, nicht nur in der hellenistischen und römischen Gesellschaft, sondern durch die Jahrhunderte in den islamischen und westlichen Kulturen. Die Illusion des Scheiterns wird lediglich durch den überwältigenden Eindruck des athenischen Schicksals hervorgerufen. (Fs) (notabene)

110a Das Ergebnis unserer Untersuchung kann jetzt zusammengefaßt werden. (1) Zum existentiellen Sinn der Repräsentation muß der Sinn hinzugefügt werden, in dem die Gesellschaft der Repräsentant einer transzendenten Wahrheit ist. Die beiden Bedeutungen beziehen sich auf Aspekte desselben Problems, insofern als erstens der existentielle Repräsentant einer Gesellschaft deren handelnder Führer in der Repräsentation der Wahrheit ist; und als zweitens eine auf Konsens der Bürgerschaft beruhende Regierung die Artikulierung der einzelnen Bürger in solchem Ausmaß zur Voraussetzung hat, daß diese zu aktiven Teilhabern an der Repräsentation der Wahrheit durch Peitho, die Überredung, gemacht werden können. (2) Die Natur dieses vielseitigen Problems trat historisch gesehen in den Bereich reflektiven Bewußtseins durch die Entdeckung der Psyche als des Sensoriums der Transzendenz. Ihr Entdecker, der mystische Philosoph, wurde infolgedessen zum Repräsentanten der neuen Wahrheit; und die Symbole, in denen er seine Erfahrung auslegte, bildeten den Kern einer Theorie der Sozialordnung. (3) Schließlich war es möglich, in das Geheimnis der kritischen Klärung einzudringen. Genetisch stellte sie sich als die Entdeckung der Psyche sowie deren anthropologischer und theologischer Wahrheit heraus, während sie kritisch in der Messung der in der Realität vorhandenen Symbole an den Maßstäben der neuen Wahrheit bestand. (Fs) (notabene)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt