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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 3; kosmologische Reiche; Herausforderung der kosmologischen Wahrheit -> Achsenzeit

Kurzinhalt: Ist der Zusammenstoß von Reichen der einzige Prüfstein der Wahrheit, so daß das Recht auf der Seite der siegreichen Macht liegen muß? Das bloße Aufwerfen dieser Fragen ist schon zum Teil ihre Beantwortung ...

Textausschnitt: 3. Die Herausforderung an die imperiale Wahrheit


90a Politische Gesellschaften als Repräsentanten der Wahrheit kommen also tatsächlich in der Geschichte vor. Doch sobald diese Tatsache erkannt ist, drängen sich neue Fragen auf. Sind alle politischen Gesellschaften monadische Wesenheiten, welche die Universalität der Wahrheit durch ihren universalen Reichsanspruch ausdrücken? Kann der Monadismus einer solchen Repräsentation nicht dadurch zerstört werden, daß man die Gültigkeit der Wahrheit in jedem Fall in Frage stellt? Ist der Zusammenstoß von Reichen der einzige Prüfstein der Wahrheit, so daß das Recht auf der Seite der siegreichen Macht liegen muß? Das bloße Aufwerfen dieser Fragen ist schon zum Teil ihre Beantwortung, da durch die Fragestellung der Zauber der monadischen Repräsentation gebrochen wird. Durch unser Fragen haben wir uns selbst zum Repräsentanten der Wahrheit erhoben, in deren Namen wir fragen, wenn auch Wesen und Ursprung dieser Wahrheit noch nicht deutlich erkennbar sind. An diesem Punkt beginnen jedoch die Schwierigkeiten. Das Herausfordern imperialer Wahrheit und die Etablierung der herausfordernden theoretischen Wahrheit sind eine komplexe Angelegenheit, die genauere Untersuchung erfordert. (Fs) (notabene)

91a Die Entdeckung der Wahrheit, die befähigt ist, die Wahrheit der kosmologischen Reiche herauszufordern, ist selbst ein historisches Ereignis größeren Ausmaßes. Es ist ein Prozeß, der sich über etwa fünf Jahrhunderte in der Menschheitsgeschichte erstreckt, grob gerechnet von 800 bis 300 v. Chr. Er vollzieht sich zur gleichen Zeit in den verschiedenen Kulturen, jedoch ohne daß eine gegenseitige Beeinflussung zu erkennen wäre. In China ist es das Zeitalter des Konfuzius und des Lao-tse sowie der anderen Philosophenschulen, in Indien das Zeitalter der Upanischaden und des Buddha, in Persien das der Zoroasterlehre, in Israel das der Propheten, in Hellas das der Philosophen und der Tragödie. Als besonders charakteristische Phase in diesem sich lange hinziehenden Prozeß mag die Periode um 500 v. Chr. angesehen werden, als Heraklit, Buddha und Konfuzius zu gleicher Zeit lebten. Dieses gleichzeitige Hervorbrechen der Wahrheit der mystischen Philosophen und Propheten hat, seitdem es durch die Erweiterung des historischen Horizonts im 18. und 19. Jahrhundert voll erkennbar wurde, das Interesse der Historiker und Philosophen auf sich gezogen. Manche neigen dazu, in ihm die entscheidende Epoche der Menschheitsgeschichte zu sehen. Karl Jaspers bezeichnete es in einer Studie über Ursprung und Ziel der Geschichte als die Achsenzeit der menschlichen Geschichte, als das eine große Zeitalter, das für die gesamte Menschheit relevant sei zum Unterschied vom Zeitalter Christi, das, wie er annimmt, nur für die Christen relevant sei.1 Und in dem klassischen Meisterwerk zeitgenössischer Gesellschaftsphilosophie, Les deux sources de la morale et de la religion, schuf Henri Bergson die Begriffe einer geschlossenen und einer offenen Gesellschaft, um die beiden sozialen Zustände in der Menschheitsentwicklung zu charakterisieren, die durch diese Epoche markiert wurden.2 Nicht mehr als diese knappe Andeutung ist zur allgemeinen Orientierung über das Problem möglich; wir müssen uns der besonderen Form zuwenden, die dieser Ausbruch im Westen angenommen hat. Denn nur im Abendland hat dieser Ausbruch infolge besonderer historischer Umstände, die in anderen Kulturen nicht vorhanden waren, seinen Höhepunkt in der Begründung der Philosophie im griechischen Sinne und insbesondere einer Theorie der Politik erreicht. (Fs)

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