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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation und Wahrheit 1; Symbolik der Gesellschaft und Wahrheit der Theorie; ein Theoretiker als außerhalb der sozilane Realität?

Kurzinhalt: Die Symbole, in denen eine Gesellschaft den Sinn ihrer Existenz aussagt, wollen wahr sein. Wenn nun der Theoretiker zu einer anderen Aussage gelangt, so gelangt er damit zu einer anderen Wahrheit betreffend den Sinn der menschlichen Existenz in der ...

Textausschnitt: II. Repräsentation und Wahrheit

1. Die Symbolik der Gesellschaft und die Wahrheit der Theorie

81a Bei ihrem ersten Ansatz hielt sich die Analyse an die aristotelische Methode einer Untersuchung von Sprachsymbolen, wie sie in der politischen Wirklichkeit vorkommen, in der Hoffnung, daß dieses Verfahren der Klärung zu kritisch haltbaren Begriffen führen würde. Die Gesellschaft war ein sinnerfülltes Kosmion, von innen her erhellt durch seine Selbstinterpretation. Da nun diese kleine sinnhaltige Welt eben der Gegenstand war, den die politische Wissenschaft zu erforschen hatte, schien die Methode, die von den in der Wirklichkeit vorhandenen Symbolen ausgeht, zumindest den Gegenstand sicherzustellen. (Fs)

81b Die Sicherstellung des Gegenstandes ist aber nicht mehr als der erste Schritt in der Untersuchung, und ehe wir uns weiter vorwagen, muß festegestellt werden, ob überhaupt ein Weg vorhanden ist und wohin dieser führt. Eine Anzahl von Annahmen wurden gemacht, die nicht ohne nähere Begründung hingenommen werden können. Es wurde vorausgesetzt, daß man von sozialer Realität sprechen könne und von einem Theoretiker, der sie erforsche, von kritischer Klärung und theoretischen Zusammenhängen, von Symbolen der Theorie, die aber nicht identisch mit den in der Wirklichkeit vorhandenen Symbolen zu sein schienen, und von Begriffen, die sich einerseits auf die Wirklichkeit bezogen, andererseits ihre Bedeutung von der Wirklichkeit, durch die mysteriöse Methode der kritischen Klärung, herleiteten. Eine ganze Reihe von Fragen drängt sich auf. Ist es möglich, daß ein Theoretiker eine Person außerhalb der sozialen Realität ist, oder ist er nicht vielmehr ein Teil von ihr? Und wenn er der Realität angehören sollte, in welchem Sinne kann diese dann sein Objekt sein? Und wie geht er eigentlich bei einer Klärung der in der Realität vorhandenen Symbole vor? Wenn er lediglich Unterscheidungen einführt, Äquivokationen beseitigt, aus zu allgemein gehaltenen Urteilen den richtigen Kern herausschält, Symbole und Sätze logisch widerspruchsfrei macht und dergleichen mehr, wäre dann nicht jeder, der an der Selbstinterpretation der Gesellschaft Anteil hat, zumindest ein Amateur-Theoretiker, und wäre Theorie im strengen Sinne mehr als eine besser durchdachte Selbstinterpretation? Oder besitzt der Theoretiker vielleicht eigene Interpretationskriterien, an denen er die Selbstinterpretation der Gesellschaft mißt? Und bedeutet Klärung, daß er à propos der in der Wirklichkeit vorhandenen Symbole eine Interpretation von überlegener Qualität entwickelt? Doch wenn dies der Fall wäre, entstünde dann nicht ein Konflikt zwischen zwei verschiedenen Interpretationen? (Fs)

82a Die Symbole, in denen eine Gesellschaft den Sinn ihrer Existenz aussagt, wollen wahr sein. Wenn nun der Theoretiker zu einer anderen Aussage gelangt, so gelangt er damit zu einer anderen Wahrheit betreffend den Sinn der menschlichen Existenz in der Gesellschaft. Und dann erhebt sich die Frage: Was ist diese Wahrheit, die der Theoretiker repräsentiert, diese Wahrheit, die ihm die Maßstäbe an die Hand gibt, nach denen er die von der Gesellschaft repräsentierte Wahrheit zu messen vermag? Aus welcher Quelle fließt diese Wahrheit, die offenbar in kritischem Gegensatz zur Gesellschaft entwickelt wird? Und wenn die vom Theoretiker repräsentierte Wahrheit nicht mit der von der Gesellschaft repräsentierten Wahrheit übereinstimmt, wie soll sich dann die eine aus der anderen entwickelt haben durch die so harmlos scheinende Methode der kritischen Klärung? (Fs) (notabene)

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