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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Zusammenfassung: deskriptive (konstitutionelle) - existentielle Repräsentation

Kurzinhalt: .. daß eine politische Gesellschaft existent wird, wenn sie sich artikuliert und einen Repräsentanten hervorbringt

Textausschnitt: 9. Zusammenfassung

77b Die Analyse der Repräsentation auf dieser Ebene ist erschöpft. Die Zusammenfassung ihrer Ergebnisse kann kurz gehalten werden. (Fs)

77c Wir haben der Reihe nach die Repräsentation im deskriptiven und im existentiellen Sinne behandelt. Der Übergang vom ersten Typus zum zweiten war deshalb nötig, weil die bloße Beschreibung der äußeren Realisierung einer politischen Gesellschaft die fundamentale Frage ihrer Existenz nicht berührte. Die Frage nach den Bedingungen der Existenz führte sodann zu den Problemen der Artikulierung sowie zum Verständnis der engen Beziehung zwischen den Typen der Artikulierung und der Repräsentation. Das Resultat dieser Analyse läßt sich in der Definition ausdrücken, daß eine politische Gesellschaft existent wird, wenn sie sich artikuliert und einen Repräsentanten hervorbringt. Wird diese Definition akzeptiert, so ergibt sich, daß der deskriptive Typus repräsentativer Institutionen nur die äußere Realisierung eines speziellen Artikulations- und Repräsentationstypus umfaßt. In der kritischen Wissenschaft wird es daher ratsam sein, den Gebrauch des Ausdrucks "Repräsentation" auf seinen existentiellen Sinn zu beschränken. Nur wenn sein Gebrauch auf diese Weise eingeschränkt wird, wird die Artikulierung der Gesellschaft als das existentiell alles beherrschende Problem deutlich sichtbar, und nur dann werden die sehr speziellen historischen Bedingungen verständlich, unter denen sich die gemeinhin als solche bezeichneten repräsentativen Institutionen entwickeln können. Es wurde bereits angedeutet, daß sie nur in der griechisch-römischen und in der westlichen Kultur auftreten; und die Bedingung ihrer Entwicklung wurde vorläufig als der Prozeß formuliert, in dem sich das Individuum zur vertretbaren Einheit artikuliert. Im Lauf der Analyse tauchten ferner eine Reihe von Problemen auf, die zunächst nicht weiter verfolgt werden konnten - wie z. B. das Symbol "Volk", Fortescues intencio populi mit ihren immanentistischen Implikationen, und die Beziehung eines geschlossenen Reiches zur spiritualen Repräsentation des Menschen in der Kirche. Diese nur kurz gestreiften Probleme werden im weiteren Verlauf der Untersuchungen wieder aufgegriffen werden. (Fs) (notabene)

78a Die adäquate Begriffsdifferenzierung erwies sich jedoch als von nicht ausschließlich theoretischem Interesse. Die ungenügende Unterscheidung zwischen elementaren und existentiellen Problemen war als Tatsache in der politischen Realität zu beobachten. Als Realitätsfaktor wirft diese Konfusion ein Sonderproblem auf. Der Anspruch, daß unter dem Symbol "Repräsentation" nur ein Sonderfall von Artikulierung verstanden werden dürfte, ist ein Symptom von politischem und kulturellem Provinzialismus. Und provinzielle Engstirnigkeiten dieser Art können, wenn sie die Struktur der Realität verdunkeln, gefährlich werden. Hauriou gab nachdrücklich zu verstehen, daß Repräsentation im deskriptiven Sinn keine Sicherheit gegen existentielle Auflösung und Neuartikulierung einer Gesellschaft gewährleistet. Wenn ein Repräsentant seine existentielle Aufgabe nicht erfüllt, wird ihn keine konstitutionelle Legalität seiner Stellung retten können; wenn eine schöpferische Minorität, um mit Toynbee zu sprechen, zu einer herrschenden Minorität geworden ist, gerät sie in die Gefahr, durch eine neue schöpferische Minorität verdrängt zu werden. Die Vernachlässigung dieses Problems hat in der Praxis in unserer Zeit bedeutsam zu den inneren Umwälzungen in den westlichen politischen Gesellschaften beigetragen, wie auch zu deren gewaltigen Auswirkungen auf der internationalen Ebene. (Fs)

79a Die Außenpolitik der westlichen Demokratien ist an den internationalen Wirren mitschuldig durch ihr aufrichtiges, aber naives Bemühen, die Übel der Welt zu heilen durch die Ausdehnung repräsentativer Institutionen im deskriptiven Sinn auf Länder, denen die existentiellen Voraussetzungen für sein Funktionieren noch fehlen. Diese Politik läßt sich nicht aus den Schwächen einzelner Staatsmänner erklären - obwohl auch solche Schwächen deutlich erkennbar sind. Sie ist vielmehr symptomatisch für einen Widerstand, der Realität ins Gesicht zu sehen, der in den Gefühlen und Meinungen unserer zeitgenössischen westlichen Gesellschaften tief verwurzelt ist. Nur weil diese Schwächen Symptome eines Massenphänomens sind, kann man mit Recht von einer Krise der westlichen Zivilisation sprechen. Die Ursachen dieser Erscheinung werden im Verlauf der folgenden Untersuchung ausführlich behandelt werden; ihre kritische Erforschung setzt aber ein genaues Wissen um die Beziehungen zwischen Theorie und Wirklichkeit voraus. Wir müssen daher die Beschreibung der theoretischen Situation, die zu Beginn dieses Kapitels unvollständig geblieben war, wieder aufnehmen. (Fs)

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