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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Max Weber: Zweideutigkeit d. Werkes; Beachtung d. positivistischen Tabus; Weber (das gelobte Land) - Nietzsche

Kurzinhalt: Max Webers Werk kann als ein Versuch bezeichnet werden, die politische Wissenschaft aus der Verstrickung in die Irrelevanz der Methode zu befreien und ihr wieder zu theoretischer Ordnung zu verhelfen. Die neue Theorie, um die er sich bemühte, konnte ...

Textausschnitt: 41a Das Ergebnis von Webers Werk war zweideutig. Er hatte das Prinzip einer wertfreien Wissenschaft ad absurdum geführt. Ihr Programm, den Gegenstand der Wissenschaft durch "Wertbeziehung" zu begründen, konnte nur unter der Bedingung verwirklicht werden, daß ein Gelehrter gewillt war, sich für einen bestimmten "Wert" als Bezugspunkt zu entscheiden. Weigerte sich der Wissenschaftler aber, sich für einen "Wert" zu entscheiden, stellte er alle "Werte" gleich (wie Weber es tat), und machte er sie sogar zu sozialen Tatsachen unter anderen - dann konnten die zum Objekt gewordenen "Werte" nicht mehr das Objekt der Wissenschaft konstituieren. Diese Abschaffung der "Werte" als Konstituenten der 'Wissenschaft führte zu einer theoretisch unhaltbaren Situation, denn das Objekt der Wissenschaft hat ja schließlich doch eine "Konstitution", und zwar durch das Wesen, auf das wir uns in unserer Wahrheitssuche hinbewegen. Da aber das positivistische Üel die Anerkennung einer Wissenschaft vom Wesen, einer echten episteme, nicht zuließ, mußten die Ordnungsprinzipien als historische Fakten eingeführt werden. Als Weber das große Gebäude seiner "Soziologie" (d. h. der positivistischen Flucht vor der Ordnungswissenschaft) errichtete, behandelte er keineswegs alle "Werte" als gleich. Er legte nicht eine wertlose Sammlung von Nichtigkeiten an, sondern wählte sinnvoll die Phänomene, die in der Menschheitsgeschichte "wichtig" waren; er konnte sehr wohl zwischen Hochkulturen und Nebenentwicklungen, zwischen "Weltreligionen" und unbedeutenden religiösen Phänomenen, unterscheiden. Wenn ihm auch ein durchdachtes Prinzip der Theoretisierung fehlte, so ließ er sich doch nicht von "Werten" leiten, sondern von der auctoritas majorum und von seinem eigenen Gefühl für das Bedeutende. (Fs)

42a Max Webers Werk kann als ein Versuch bezeichnet werden, die politische Wissenschaft aus der Verstrickung in die Irrelevanz der Methode zu befreien und ihr wieder zu theoretischer Ordnung zu verhelfen. Die neue Theorie, um die er sich bemühte, konnte jedoch nicht klare Gestalt finden, weil er mit peinlicher Genauigkeit das positivistische Tabu gegenüber der Metaphysik beachtete. Durch Webers Bemühungen um theoretische Klarheit wurde jedoch etwas anderes klar. Durch sein ganzes Werk hindurch kämpfte er um die Gestaltung seiner Theorie durch die Konstruktion von "Typen". Die verschiedenen Phasen, durch die der Kampf hindurch ging, können hier nicht behandelt werden. In der letzten Phase verwandte er Typen "rationalen Handelns" als Standardtypen und konstruierte dann weitere Typen der Abweichungen vom Standard der Rationalität. Dieses Verfahren war dadurch motiviert, daß Weber die Geschichte als eine Entwicklung zur Rationalität und seine eigene Zeit als den Höhepunkt der "rationalen Selbstbestimmung" des Menschen verstand. In verschiedenen Graden der Vollständigkeit führte er diesen Gedanken aus für die Wirtschaftsgeschichte, die politische Geschichte und die Religionsgeschichte und sehr erschöpfend für die Musikgeschichte. Die Grundkonzeption leitete sich offensichtlich von Comtes Geschichtsphilosophie her; und Webers eigene Geschichtsdeutung könnte zu Recht als das letzte der großen positivistischen Systeme verstanden werden. Bei Webers Durchführung des Themas wird jedoch ein neues Motiv vernehmbar. Für Comte war der Gang der Menschheit von der Theologie über die Metaphysik zur Rationalität der positiven Wissenschaft eine eindeutig progressive Entwicklung; für Weber war er ein Prozeß der Entzauberung und Entgöttlichung der Welt. Durch den Unterton seines Bedauerns über das Schwinden des göttlichen Zaubers aus der Welt, durch sein resigniertes Anerkennen des Rationalismus als eines Schicksals, das zwar zu tragen aber nicht zu wünschen sei, durch die gelegentliche Klage darüber, daß seine Seele religiös unmusikalisch sei, verriet er seine Bruderschaft im Leiden Nietzsches - wenn auch, trotz seiner Konfession, seine Seele ausreichend religiös musikalisch war, um nicht Nietzsche in dessen tragische Revolte zu folgen. Er wußte, wonach es ihn verlangte, aber er konnte nicht dahin gelangen; er sah das gelobte Land, aber er durfte es nicht betreten. (Fs)

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