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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Max Weber: wertfreie Wissenschaft; "Verantwortungsethik", Dämonie, Gesinnungsethik, Religionssoziologie

Kurzinhalt: ... ob die dämonischen Werte nicht vielleicht gerade deshalb dämonisch seien, weil sie "gesinnungsethischen", nicht "verantwortungsethischen" Charakter haben?

Textausschnitt: Aus 36a: Als Musterbeispiel der "Gesinnungsethik" verstand er eine, nicht gerade glücklich definierte, christliche "überweltliche" Moral; die Frage, ob die dämonischen Werte nicht vielleicht gerade deshalb dämonisch seien, weil sie "gesinnungsethischen", nicht "verantwortungsethischen" Charakter haben, weil sie sich den Charakter göttlichen Auftrags für einen menschlichen Wunschtraum anmaßten - dieses Problem hat Weber nie berührt.
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33a Was die politische Wissenschaft betrifft, so gelangte die Bewegung der Methodologie in der Person und dem Werk Max Webers zu ihrem immanent-logischen Abschluß. Eine ausführliche Charakterisierung kann in diesem Zusammenhang nicht unternommen werden. Nur einige der Züge, die ihn als Denker zwischen Abschluß und Neubeginn kennzeichnen, sollen aufgezeigt werden. (Fs)


33b Wertfreie Wissenschaft bedeutete für Weber die Erforschung von Ursachen und Wirkungen, die Konstruktion von Idealtypen des Handelns und der Institutionen, und insbesondere die Konstruktion typischer Kausalbeziehungen. Eine solche Wissenschaft wäre nicht in der Lage, jemandem zu sagen, ob er ein Wirtschaftsliberaler oder ein Sozialist, ein konstitutioneller Demokrat oder ein marxistischer Revolutionär sein solle, aber sie könnte ihm sagen, welche Folgen es hätte, wenn er die von ihm bevorzugten Werte in die politische Praxis umsetzen wollte. Auf der einen Seite standen also die "Werte" politischer Ordnung, jenseits kritischer Wertung; auf der anderen Seite eine Wissenschaft von der Struktur der sozialen Wirklichkeit, die als technisches Wissen von einem Politiker verwertet werden konnte. Indem Weber die Frage einet "wertfreien" Wissenschaft bis zu diesem pragmatischen Punkt zuspitzte, hob er die Debatte wieder über die methodologischen Streitigkeiten hinaus auf die Ebene theoretischer Relevanz. Es verlangte ihn nach der Wissenschaft, weil er Klarheit über die Welt suchte, an der er leidenschaftlich teilnahm; es drängte ihn wieder zum Wesentlichen. Seine Wahrheitssuche kam jedoch über die Ebene des pragmatischen Handelns nicht hinaus. Denn in dem intellektuellen Klima der methodologischen Debatte mußten die "Werte" als fraglos hingenommen werden und die Suche konnte nicht bis zur Betrachtung der Ordnung vordringen. Die ratio der Wissenschaft erstreckte sich für Weber nicht auf die Prinzipien, sondern nur auf die Kausalität des Handelns. (Fs)

34a Die neue Empfindlichkeit für theoretische Relevanz konnte sich darum nur in der Schöpfung der Kategorien von "Verantwortung', und "Dämonie" in der Politik ausdrücken. Weber erkannte die "Werte" als das,, was sie waren, nämlich als ordnende Ideen für das politische Handeln, aber er verlieh ihnen den Status "dämonischer" Entscheidungen jenseits des rationalen Arguments. Die Wissenschaft konnte mit der Dämonie der Politik nur fertig werden, indem sie den Politikern die Augen für die Folgen ihrer Handlungen öffnete und indem sie an ihr Verantwortungsgefühl appellierte. Diese "Verantwortungsethik" Webers ist durchaus nicht gering zu achten. Sie zielte darauf ab, den revolutionären Eifer verbohrter politischer Intellektueller, vor allem nach 1918, zu dämpfen; sie versuchte ihnen klarzumachen, daß Ideale weder die Mittel noch die Folgen von Handlungen rechtfertigen, daß Handlung in Schuld verstrickt, und daß die Verantwortung für politische Folgen voll und ganz auf dem ruht, der sich zu ihrer Ursache macht. Darüber hinaus enthüllte sie, durch ihre Diagnose als "dämonisch", den irrationalen Charakter der fraglosen "Werte" und stellte fest, daß die Politik der Zeit in der Tat zu einem Feld dämonischer Unordnung geworden war. Die glatte Geschmeidigkeit, mit der dieser Aspekt des Weber'schen Werkes von denen, die er angeht, ignoriert wurde und noch wird, ist der beste Beweis für seine Wichtigkeit. (Fs)

35a Hätte Weber lediglich aufgedeckt, daß eine "wertfreie" politische Wissenschaft keine Ordnungswissenschaft ist und daß "Werte" dämonische Entscheidungen sind, so könnte die Größe seines Werkes (die mehr geahnt als begriffen wird) bezweifelt werden. Sein Aufstieg zum Wesen hätte dort Halt gemacht, wo der Seitenweg abzweigt, der heute "Existenzialismus" genannt wird - ein Ausweg für die Ratlosen, der in der jüngsten Vergangenheit durch das Werk Sartres internationale Mode wurde. Weber ging jedoch sehr viel weiter - wenn auch der Interpret seines Werkes sich in der schwierigen Lage befindet, daß er die positive Leistung aus den intellektuellen Konflikten und Widersprüchen, in die Weber sich verwickelt hat, herauslösen muß. (Fs)

35b Das Abtasten des soeben beschriebenen Problems einer wertfreien Wissenschaft nötigt zu mehr als einer Frage. Webers Auffassung der Wissenschaft implizierte z. B., daß eine soziale Beziehung zwischen Wissenschaftler und Politiker bestehe, wie sie in der Institution einer Universität lebendig wird, wenn der Wissenschaftler als Lehrer seine Studenten, die zukünftigen homines politici, über die Struktur der politischen Wirklichkeit unterweist. Nun mag die Frage gestellt werden: was ist der Zweck dieser Unterweisung? Webers Wissenschaft ließ ja angeblich die politischen Werte der Studenten unangetastet, da Werte jenseits der Wissenschaft lägen. Da sie sich nicht auf politische Prinzipien erstreckte, konnte die Wissenschaft nicht jene der Studenten formen. Konnte sie aber vielleicht indirekt die Studenten anregen, ihre Werte zu revidieren, wenn sie gewahr würden, welch ungeahnte und vielleicht unerwünschte Konsequenzen ihre politischen Ideen in der Praxis hätten? In diesem Fall aber dürften die Werte der Studenten nicht als so dämonisch fixiert angenommen werden, daß ein Aufruf zum Urteilen nicht mehr möglich wäre. Und was könnte ein Urteil, durch das ein Wert dem andern Wert vorgezogen würde, anderes sein als ein Werturteil? Waren also rationale Werturteile doch möglich? Das Lehren einer wertfreien politischen Wissenschaft an einer Universität wäre ein sinnloses Unterfangen, wenn es nicht drauf abzielte, die Werte der Studenten dadurch zu beeinflussen, daß ihnen ein objektives Wissen von der politischen Wirklichkeit vermittelt wird. In seiner Eigenschaft als der große Lehrer strafte Weber die Ideen Lügen, die er über die Werte als dämonische Entscheidungen entwickelt hatte. (Fs)

36a Inwieweit Webers Methode des Lehrens wirksam werden konnte, ist eine andere Frage. Denn erstens war sie ein Lehren auf indirekte Weise, da Weber eine eindeutige Darlegung positiver Ordnungsprinzipien vermied; und zweitens hätte selbst das Lehren durch direkte Erörterung der Prinzipien nicht wirksam werden können, wenn der Student in seiner Stellungnahme tatsächlich dämonisch fixiert war. Weber als Erzieher konnte nur an das Gefühl einer letzten Scheu (an die aristotelische aidos) im Studenten appellieren, um ihn zu rationalen Überlegungen zu bewegen. Wie aber, wenn der Student ein solches Gefühl gar nicht hatte? Wenn der Appell an seinen Verantwortungsgeist ihm nur Unbehagen verursachte, ohne einen Gesinnungswandel herbeizuführen? Oder wenn der Appell nicht einmal Unbehagen auslöste, sondern nur den Hörer bewegte, auf das zurückzufallen, was Weber "Gesinnungsethik" nannte, nämlich auf die These, sein Glaube enthielte in sich die eigene Rechtfertigung, so daß die Folgen nicht zählten, wenn die Absicht der Handlung richtig war? Diese Frage hat Weber ebenfalls nicht geklärt. Als Musterbeispiel der "Gesinnungsethik" verstand er eine, nicht gerade glücklich definierte, christliche "überweltliche" Moral; die Frage, ob die dämonischen Werte nicht vielleicht gerade deshalb dämonisch seien, weil sie "gesinnungsethischen", nicht "verantwortungsethischen" Charakter haben, weil sie sich den Charakter göttlichen Auftrags für einen menschlichen Wunschtraum anmaßten - dieses Problem hat Weber nie berührt. Eine Diskussion solcher Fragen wäre nur auf der Ebene der philosophischen Anthropologie möglich gewesen, vor der Weber zurückscheute. Wenn er aber auch vor einer Diskussion zurückschreckte, so hatte er sich doch durch die bloße Tatsache seines Unternehmens entschieden, in die rationale Auseinandersetzung mit den Werten einzutreten. (Fs) (notabene)

37a Der Konflikt der ratio mit den fraglosen Werten politischer Intellektueller hatte seinen Ursprung im Unternehmen einer objektiven Wissenschaft von der Politik. Die ursprüngliche Konzeption einer wertfreien Wissenschaft löste sich auf. Für die Methodologen vor Max Weber konnte eine historische und soziale Wissenschaft wertfrei sein, weil ihr Objekt durch die "wertbeziehende Methode" konstituiert wurde; innerhalb des so konstituierten Bereiches sollte dann der Wissenschaftler ohne Werturteile arbeiten. Weber sah, daß es in der Politik seiner Zeit eine Vielzahl widerstreitender "Werte" gab; jeder von ihnen konnte verwendet werden, um ein "Objekt" zu konstituieren. Das Ergebnis war dann der schon erwähnte Relativismus. Die politische Wissenschaft wurde zu einer Apologie dubioser Vorstellungen politischer Intellektueller herabgewürdigt: Wie vermied nun Weber eine solche Degradierung (denn er vermied sie in der Tat)? Wenn keiner der sich widerstreitenden Werte für ihn den Bereich der Wissenschaft konstituierte, wenn er sich seine Integrität gegenüber den politischen Werten des Tages bewahrte, welches waren dann die Werte, die seine Wissenschaft begründeten? Eine erschöpfende Antwort auf diese Fragen würde über den Rahmen der vorliegenden Studie hinausgehen. Nur das Prinzip seines Verfahrens soll veranschaulicht werden. (Fs)

38a Die "Objektivität", soweit Webers Wissenschaft sie aufweist, konnte sich nur von den authentischen Ordnungsprinzipien, wie sie in der Menschheitsgeschichte entdeckt und erarbeitet waren, herleiten. Da in der geistigen Situation Webers die Existenz einer Ordnungswissenschaft nicht zugegeben werden konnte, mußte ihr Inhalt (oder soviel davon wie möglich) dadurch eingeführt werden, daß man die historischen Ausdrücke, die er gefunden hatte, als Tatsachen und Kausalfaktoren in der Geschichte anerkannte. Während Weber als Methodologe der wertfreien Wissenschaft bekannte, er verfüge über keine Beweise gegen einen politischen Intellektuellen, der sich "dämonisch" dem Marxismus als dem von ihm erwählten Wert verschrieben hatte, untersuchte er als empirischer Soziologe die protestantische Ethik und demonstrierte, daß religiöse Überzeugungen in der Entwicklung des Kapitalismus eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben, und nicht etwa umgekehrt die Wirtschaftsethik durch die Produktionsverhältnisse bestimmt war. Auf den vorangegangenen Seiten wurde wiederholt betont, daß die methodische Willkür nicht in völlige Irrelevanz wissenschaftlichen Arbeitens ausartete, weil der Drück theoretischer Traditionen ein ausschlaggebender Faktor in der Auswahl des Materials und der Probleme blieb. Dieser Druck, könnte man sagen, wurde von Weber zu einem Prinzip erhoben. Die drei Bände seiner Religionssoziologie z. B. warfen gewaltige Massen mehr oder weniger klar gesehener Wahrheiten über die menschliche und soziale Ordnung in die Debatte über die Struktur der Realität. Dadurch, daß er die unbestreitbare Tatsache herausstellte, daß Wahrheiten über die Ordnung - und nicht etwa nur Macht und Reichtum oder Furcht und Täuschung - Faktoren in der Ordnung der Realität sind, konnte ansatzweise so etwas wie eine Rationalität der Wissenschaft zurückgewonnen werden, wenn die Prinzipien auch nur durch die Hintertüre des "Glaubens", an dem sich das Handeln orientiert, Einlaß fanden und darum nur indirekt in Konflikt mit Webers "Werten" der Zeit geraten konnten. (Fs)

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