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Autor: Sorokin, Pitirim A.

Buch: Kulturkrise und Gesellschaftsphilosophie

Titel: Kulturkrise und Gesellschaftsphilosophie

Stichwort: Ideologische, verhaltensmäßige und materielle Kultur von Individuen und Gruppen

Kurzinhalt: Ideologie - das heißt die Gesamtheit der Sinngehalte, Werte und Normen;

Textausschnitt: 8/11 Es kann vorkommen, daß ein Einzelmensch oder eine Gruppe ein bestimmtes kulturelles Phänomen nur in seiner ideologischen Form besitzt. So kann zum Beispiel ein Mensch oder eine Gruppe die Ideologie - das heißt die Gesamtheit der Sinngehalte, Werte und Normen - des Kommunismus oder Buddhismus gut kennen, ohne daß er oder sie die betreffende Ideologie praktizieren oder durch einen Komplex materieller Gegenstände und Träger, wie einen buddhistischen Tempel mit seinen rituellen Gegenständen oder einen kommunistischen Klub mit den Bildern von Marx, Lenin und Stalin objektivieren. Christen, die sich ideologisch zur Bergpredigt bekennen, aber sie in keiner Weise weder in ihrem Verhalten noch in ihrer materiellen Kultur realisieren, sind hinsichtlich der durch die Bergpredigt verkündeten Kultur nur "ideologische" Christen. Das Christentum bleibt für sie eine bloße Ideologie und dringt nicht tiefer in ihre verhaltensmäßige und materielle Kultur ein. Dasselbe gilt von allen Kulturerscheinungen, die nur auf der ideologischen Ebene wirksam werden, ohne daß das Verhalten und die materielle Kultur von Einzelmenschen oder Gruppen von ihnen beeinflußt würde. (217; Fs)

10/11 Es kann also jede Kulturerscheinung entweder in einer rein ideologischen, in einer ideologischen und verhaltensmäßigen, einer ideologischen und materiellen oder in einer ideologischen, verhaltensmäßigen und materiellen Form auftreten. Die rein ideologische Form ist die am wenigsten fest verwurzelte und die oberflächlichste. Wenn sie im Verhalten und in den materiellen Gegenständen eines Individuums oder einer Gruppe Wurzel schlägt, wird sie tiefer und fester verankert, als wenn sie eine bloße Ideologie bleibt. In ihrer verhaltensmäßigen und materiellen Realisation beeinflußt sie nicht nur Ideen und andere Sinngehalte, sondern auch das öffentliche Verhalten und die Wechselbeziehungen menschlicher Wesen und physikalischer und biologischer Gegenstände und Vorgänge. (218; Fs)
11/11 Ich fasse zusammen: 1. Die Gesamtheit der Sinngehalte, Werte und Normen eines Einzelmenschen oder einer Gruppe macht die ideologische Kultur des- oder derselben aus; 2. die Gesamtheit ihrer sinnvollen Handlungen, durch die die reinen Sinngehalte, Weite und Normen realisiert werden, machen ihre verhaltensmäßige Kultur aus; 3. die Gesamtheit aller übrigen Träger, der materiellen, biologischen und physikalischen Objekte und Kräfte, durch die ihre ideologische Kultur veräußerlicht, verfestigt und in der Gesellschaft verankert ("socialized") wird, macht ihre materielle Kultur aus. Innerhalb der totalen empirischen Kultur einer Person oder Gruppe sind also drei Ebenen zu unterscheiden - die ideologische, die verhaltensmäßige und die materielle . (218; Fs)

9/11 Wenn Individuen und Gruppen in ihren sichtbaren Handlungen die Ideologien des Kommunismus, des Christentums oder des Buddhismus zu praktizieren beginnen, so verwandeln sich die Kulturen des Kommunismus, Christentums oder Buddhismus aus bloß ideologischen in zusätzlich verhaltensmäßige (behavioral) Kulturen. Wenn die betreffenden Kulturen außerdem noch durch eine Anzahl von materiellen Trägern (vehicles) realisiert werden, die sie "inkarnieren" und "objektivieren", so nehmen sie schließlich auch noch eine "materielle" Form an. (218; Fs)
10/11 Es kann also jede Kulturerscheinung entweder in einer rein ideologischen, in einer ideologischen und verhaltensmäßigen, einer ideologischen und materiellen oder in einer ideologischen, verhaltensmäßigen und materiellen Form auftreten.

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