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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Naturgesetz (vierfacher Hinweis) - Gewissen; lex aeterna, lex naturalis, praktische u theoretische Vernunft

Kurzinhalt: Erstens, es heißt Naturgesetz, weil es von Natur aus erkannt wird, ... Zweitens ist sein Aufleuchten in unserm Geiste nicht das wesenhafte Gotteslicht selber, ...

Textausschnitt: ... Es ist die lex naturalis, das sittliche Naturgesetz, jener Reflex des ewigen Gesetzes, der die oberste Regel der Vernunft ist, eng genug mit ihr verbunden, daß sich von ihm sagen läßt: es gehört zum Wesen des Naturgesetzes, Vernunftgesetz zu sein. (69; Fs)

9/E4 Um das Naturgesetz nach Wesen und Rolle nicht zu verkennen, ist ein vierfacher Hinweis erfordert. Erstens, es heißt Naturgesetz, weil es von Natur aus erkannt wird, aus eigener Kraft der Seele, wenn auch erst mit reifendem Bewußtsein und unter der Zufuhr der lebendigen Erfahrung. Zweitens ist sein Aufleuchten in unserm Geiste nicht das wesenhafte Gotteslicht selber, sondern ein gewisses Bild (quaedam imago) des ewigen Gesetzes und der göttlichen Wahrheit als Gesetzgeberin, getragen von unserer Vernunft. "Die menschliche Vernunft aber ist nicht für sich selbst schon die Regel der Dinge, sondern naturhaft sind ihr Ursätze eingeschrieben als gewisse allgemeine Regeln und Maße alles dessen, was der Mensch zu tun hat ." Die natürliche Vernunft ist das Ebenbild des ewigen Gesetzes, das wir so, wie es im Geiste Gottes selbst ist, nicht kennen . Drittens, dieses ewige Gesetz teilt sich in abbildlicher Vermittlung dem endlichen Wesen in Form einer natürlichen Erkenntnis der Normen, aber auch als Neigung und Willensrichtung mit; es ist nicht nur erhellendes, auch wärmendes und belebendes Licht. Viertens endlich, es ist das Gesetz für ein freies Wesen, das dank seiner Freiheit so zu ihm gestellt ist, daß seine Teilnahme am ewigen Gesetz nicht anders zustande kommt, als daß es sich das natürliche aktiv und sich selbst bestimmend erst zum eigenen macht, nach dem Wort des Paulus "sich selbst Gesetz wird" (Rom. 2, 14). Es ist der höchste Grad von Menschenwürde, aus freien Stücken, ohne Zwang und fremden Antrieb, den Weg des Guten zu gehen . Alsdann wird das Gesetz im Innern dem Gehorsamen auch zum Band der Teilhabe am Walten der Vorsehung. (69f; Fs) (notabene)

10/E4 Wie aber kommt das Naturgesetz zu unserer sichern Kenntnis, und welche Weisung ergeht aus ihm? Unsere Vernunft äußert sich mit dem Charakter der Aussage und des Urteils, zugleich auch mit dem Charakter des Geheißes oder der Warnung. Sie hat vom Seienden den Begriff des Ist und des So, und wiederum den Begriff Gut und Soll oder Soll-nicht. Als eine und dieselbe in zweierlei Weise berührt und bewegt, ist sie eine erkennende und eine auf Wollen und Handeln gerichtete - oder vielmehr ausgedehnte. Denn der Stamm der praktischen Vernunft kommt aus der Wurzel, durch die der Stamm der theoretischen mit dem Sein vergründet ist. Sage ich praktische Vernunft, so ist die theoretische von selbst mitausgesagt. Ergehen aus der praktischen gewisse Forderungen vom Charakter der Notwendigkeit, so wären sie gar nicht die Empfängnisse eines Vernunftwesens, sondern zwanghaft wirkende Instinkte, wenn sie nicht im Lichte irgendwelcher Erkenntnis sich als das, was sie sind und was sie erheischen, zu erkennen gäben. Es ist aber nicht nur ein Verhältnis des Zündens und Leuchtens von der einen zur andern, von der lichthabenden zur lichtlosen, sondern beide teilen sich in eine ursprüngliche Lichtquelle als gemeinsamen Besitz. Die theoretische Vernunft hat gewisse, von selbst einleuchtende Urgesetztheiten des Denkens (wie das Gesetz der Identität, des Widerspruchs und der Kausalität), prima principia, in denen der Verstand mit dem Sein selbst übereinstimmt, Bestimmtheiten vom göttlichen Weltgrund her (in welchem Denken und Sein schlechthin dasselbe ist), daher ist sie vom Charakter des Ewigkeitlichen, über Handel und Wandel des Menschen erhaben und unveränderlich. Nun ist im Theoretischen die Vernunft unausweichlich an ihren elementarsten Ursatz, den der Identität, gebunden: dieses ist dieses und nichts anderes. Im Praktischen aber lautet er für sie: dieses ist das Gesollte, oder dies soll das sein. So hat im Grunde auch die praktische Vernunft das Wahre zum Gegenstand, ihrerseits aber als Maßstab des Handelns und Weisung an den Willen, der nun der ursprünglichsten, ihm sowohl Urteil wie Antrieb mitteilenden Information nicht entrinnen kann: das Gute ist das, was getan und angestrebt, das Böse ist das, was unterlassen werden muß (i II 94, 2) . (70f; Fs)

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