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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Erkenntnistheorie, Epistemologie, Metaphysik; Wende zur Interiorität; Fragen, Grundfragen ; Aristoteles

Kurzinhalt: So findet die Wende zur Interiorität statt. Die Allgemeinwissenschaft ist erstens Erkenntnistheorie (was tust du, wenn du erkennst?), zweitens Epistemologie (warum ist dieses Tun Erkennen?), und drittens Metaphysik

Textausschnitt: 75/XII Aristoteles und seine Anhänger anerkannten spezielle Wissenschaften, die sich mit Seiendem bestimmter Arten befaßten, sowie eine Allgemeinwissenschaft, die sich mit dem Sein als Sein befaßt. Nun zielen die Natur- und Humanwissenschaften darauf, Rechenschaft über alle Sinnesdaten zu geben. Wenn es demzufolge eine Allgemeinwissenschaft geben soll, dann müssen ihre Daten die Daten des Bewußtseins sein. So findet die Wende zur Interiorität statt. Die Allgemeinwissenschaft ist erstens Erkenntnistheorie (was tust du, wenn du erkennst?), zweitens Epistemologie (warum ist dieses Tun Erkennen?), und drittens Metaphysik (was erkennst du, wenn du dies tust?). Eine solche Allgemeinwissenschaft ist der Allgemeinfall der Methoden der speziellen Wissenschaften und nicht - wie im Aristotelismus - der Allgemeinfall des Inhalts der speziellen Wissenschaften. (317; Fs) (notabene)

76/XII Diese Wende zur Interiorität wurde auf verschiedene Weise von Descartes über Kant bis zu den deutschen Idealisten des neunzehnten Jahrhunderts versucht. Doch darauf folgte eine noch nachdrücklichere Wende vom Wissen zum Glauben, zum Willen, zum Gewissen, zur Entscheidung und zur Aktion bei Kierkegaard, Schopenhauer, Newman, Nietzsche, Blondel, den Personalisten und Existenzialisten. Die Richtung dieser Wende ist richtig in dem Sinne, daß die vierte Ebene des intentionalen Bewußtseins - die Ebene der Überlegung, Bewertung, Entscheidung und Handlung - die vorhergehenden Ebenen des Erfahrens, Verstehens und Urteilens aufhebt. Sie geht über diese hinaus, stellt ein neues Handlungsprinzip auf und eine neue Art von Handlungen, lenkt diese auf ein neues Ziel, aber weit davon entfernt, sie verkümmern zu lassen, bewahrt sie sie und führt sie zu einer volleren Erfüllung. (317f; Fs) (notabene)

77/XII Die vierte Ebene hebt nicht nur die vorhergehenden drei auf, auch unterscheiden sich die vorhergehenden drei erheblich vom spekulativen Verstand, der die selbstevidenten und notwendigen Wahrheiten erfassen sollte. Ein derart spekulativer Verstand konnte vollständige Autonomie beanspruchen und tat dies auch: Böser Wille konnte schwerlich die Erfassung selbstevidenter und notwendiger Wahrheiten beeinträchtigen, und ebensowenig die notwendigen Schlußfolgerungen, die sich aus solcher Wahrheit ergeben. Tatsächlich jedoch ist das, was die menschliche Intelligenz in Daten erfaßt und in Begriffen zum Ausdruck bringt, nicht eine notwendig relevante Intelligibilität, sondern nur eine möglicherweise relevante Intelligibilität. Solche Intelligibilität ist wesentlich hypothetisch und daher stets eines weiteren Überprüfungs- und Verifizierungsprozesses bedürftig, ehe sie als de facto relevant für die vorliegenden Daten behauptet werden kann. So kam es dazu, daß die moderne Wissenschaft unter Leitung der Methode steht, und die Methode, die man wählt und der man folgt, ergibt sich nicht nur aus dem Erfahren, Verstehen und Urteilen, sondern auch aus einer Entscheidung. (318; Fs)

78/XII In gedrängter Form habe ich eine Reihe von grundlegenden Wandlungen aufgezeigt, die sich in den letzten viereinhalb Jahrhunderten ereigneten. Sie modifizieren das Bild, das der Mensch von sich und seiner Welt hat, ebenso wie seine Wissenschaft und seine Auffassung von Wissenschaft, seine Geschichte und seine Auffassung von Geschichte, seine Philosophie und seine Auffassung von Philosophie. Die Wandlungen betreffen drei grundlegende Differenzierungen des Bewußtseins, und alle drei1 liegen völlig außerhalb des Horizonts der griechischen Antike und des mittelalterlichen Europa. (318; Fs)

79/XII Diesen Wandlungen setzten Geistliche im allgemeinen aus zwei Gründen Widerstand entgegen. Der erste Grund war vielfach der, daß Geistliche das Wesen dieser Wandlungen nicht wirklich erfaßten. Der zweite Grund lag darin, daß diese Wandlungen gewöhnlich von einem Mangel an intellektueller Bekehrung begleitet und daher dem Christentum feindlich gesinnt waren. (318; Fs)

80/XII Moderne Wissenschaft ist eines, die außerwissenschaftlichen Meinungen der Wissenschaftler sind aber etwas anderes. Unter den außerwissenschaftlichen Meinungen der Naturwissenschaftler war bis zur Übernahme der Quantentheorie ein mechanistischer Determinismus zu finden, der die Natur falsch darstellte und menschliche Freiheit und Verantwortlichkeit ausschloß.2 (318; Fs)

81/XII Auch die moderne Geschichtswissenschaft ist eines, und die philosophischen Annahmen der Historiker sind etwas anderes. H. G. Gadamer untersuchte die Annahmen von Schleiermacher, Ranke, Droysen und Dilthey.3 In etwas gedrängterer Form hat Kurt Frör festgestellt, daß die Arbeit der Historiker in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts durch eine Mischung von philosophischer Spekulation und empirischer Forschung gekennzeichnet war, daß aber der immer einflußreicher werdende Positivismus die Spekulation in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts beseitigte.4 Der sich daraus ergebende Historismus drang auch in die biblischen Untersuchungen ein, und hier fand er durch die Arbeiten von Barth und Bultmann einen starken Widerhall. Beide anerkannten die Bedeutung moralischer und religiöser Bekehrung. Bei Barth zeigte sich das in seiner Forderung, daß die Bibel zwar historisch, ebenso aber auch geistlich zu lesen sei; und geistliches Lesen sei nicht bloß eine Sache frommer Gefühle im Leser, es habe auch auf jene Realitäten zu achten, von denen die Bibel spricht.5 Für Bultmann ist die religiöse und moralische Bekehrung die existentielle Antwort auf den Ruf oder auf die Herausforderung des Kerygma. Doch solch eine Antwort sei ein subjektives Ereignis, und seine Objektivierung ende im Mythos.6 Wenn auch Bultmann kein gewöhnlicher Positivist ist, weil er um das 'Verstehen' weiß, zerfällt für ihn das Studium der Bibel aber doch in zwei Teile: den wissenschaftlichen Teil, der von religiösem Glauben unabhängig ist, und den religiösen Teil, der die mythischen Objektivierungen der Bibel tiefer durchdringt bis zu den subjektiven religiösen Ereignissen, von denen sie Zeugnis ablegt. (319; Fs)

82/XII Bei beiden, Barth und Bultmann, kommt, wenn auch auf unterschiedliche Weise, die Notwendigkeit intellektueller, wie auch moralischer und religiöser Bekehrung deutlich zum Vorschein. Nur eine intellektuelle Bekehrung kann dem Fideismus von Barth abhelfen. Nur eine intellektuelle Bekehrung kann die säkularistische Auffassung von wissenschaftlicher Exegese beseitigen, wie sie von Bultmann vertreten wurde. Dennoch ist intellektuelle Bekehrung allein nicht genug. Sie muß noch in eine philosophische und theologische Methode expliziert werden, und eine derart explizite Methode muß eine Kritik der Methode der Naturwissenschaft und der Methode der Gelehrsamkeit einschließen. (319f; Fs)









Wenn es demzufolge eine Allgemeinwissenschaft geben soll, dann müssen ihre Daten die Daten des Bewußtseins sein. So findet die Wende zur Interiorität statt. Die Allgemeinwissenschaft ist erstens Erkenntnistheorie (was tust du, wenn du erkennst?), zweitens Epistemologie (warum ist dieses Tun Erkennen?), und drittens Metaphysik (was erkennst du, wenn du dies tust?). Eine solche Allgemeinwissenschaft ist der Allgemeinfall der Methoden der speziellen Wissenschaften und nicht - wie im Aristotelismus - der Allgemeinfall des Inhalts der speziellen Wissenschaften.

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