Was für ein seltsames Licht, wovon es heißt,
dass ihm zu folgen Leben bedeutet und es zu verwerfen Tod.
Worin besteht dieses Licht? Wie erfahren wir es? Können wir es überhaupt erfahren?
Ist da eine solche Lichtquelle in uns
- eine Art innerer Polarstern, an dem wir uns orientieren könnten?


Das innere Licht - Der Weg des Mitläufers oder der eigene Weg

Der Anfang

Intention des Vortrags

Menschliches Leben, insofern es menschlich ist, bestimmt sich durch Entscheidungen. Es hängt von unseren Entscheidungen ab, ob wir den Weg des Mitläufers gehen oder unseren eigenen Weg finden. Wenn das, was wir sind, wesentlich von unseren Entscheidungen abhängt, so stellt sich die Frage nach Kriterien für eine richtige oder falsche Entscheidung.

Thomas von Aquin kennt zwei Methoden, durch die wir an unser Ziel gelangen können: die eine Methode betont den rechten Gebrauch der Vernunft, die andere eine Art Affinität zwischen dem Wesen und Ziel des Subjektes[1]. Beide Methoden stellen im Grunde zwei Seiten ein und desselben Weges dar. Wir wollen hier ein wenig die Methode einer Art Affinität zwischen dem Subjekt und dem ihm eigentümlichen Ziel entfalten.

Die Metapher vom Licht

Am Ausgang unserer Überlegungen steht eine Metapher - die Metapher vom inneren Licht. In A Third Collection schreibt Lonergan mit Bezugnahme auf E. Voegelin:

"... there is an inner light that runs before the formulation of doctrines and that survives even despite opposing doctrines. To follow that inner light is life, even though to worldly eyes it is to die. To reject that inner light is to die, even though the world envies one's attainments and achievements."[2]

Was für ein seltsames Licht, wovon es heißt, dass ihm zu folgen Leben bedeutet und es zu verwerfen Tod. Worin besteht dieses Licht? Wie erfahren wir es? Können wir es überhaupt erfahren? Ist da eine solche Lichtquelle in uns - eine Art innerer Polarstern - an der wir uns orientieren könnten?

Ein solches Licht, das sich durch einen gleichbleibenden Stand auszeichnet, suchen wir in uns vergebens. Die Metapher hebt nicht das Licht als etwas hervor, was hell glänzt und leuchtet, sondern in dem sich etwas zeigt und in dem etwas offenbar werden kann. In diesem Zusammenhang mag erwähnenswert sein, dass der griechische Ausdruck für Wahrheit "aletheia" genau den Vorgang der Enthüllung meint: Der Stamm des Wortes[3] drückt eine Verborgenheit oder Vergessenheit aus und das Präfix a ein Ent-Bergen und Ent-Hüllen. Was ist es, was uns in einem Licht enthüllt wird? Sehen wir uns drei Beispiele mit je einer verschiedenen Lichtquelle an.

Geht in einem dunklen Raum ein Licht an, so zeigen sich uns die Gegenstände dieses Raumes, die in der Dunkelheit verborgen waren. Mit den sichtbaren Gegenstände entsteht ein Motivations-Feld: ein Sessel lädt uns ein Platz zu nehmen usw. Eine Dynamik des Strebens setzt sich in Gang. Ähnliches gilt für ein Licht unseres Innenraumes. Geht uns eine Idee auf, ist diese Idee einem Licht vergleichbar, in dem sich uns eine Fülle neuer Gedanken zeigt. Das Verhältnis der Gedanken zu uns entspricht dem Verhältnis von Objekt zu Subjekt. Die Ideen als Objekte verursachen eine Dynamik des Strebens. Ähnliches gilt auch für ein Licht zwischen Menschen. Die Liebe etwa zwischen Mann und Frau ist einem Licht vergleichbar, in dem sich eine Fülle neuer Objekte zeigt; und diese Objekte setzen eine Strebe-Dynamik in beiden in Gang.

Es zeigt sich voreinmal dreierlei: einmal die Tatsache einer bestimmten Beziehung zwischen den Objekten, die sich zeigen, und der Art der Lichtquelle. Das Licht im Raum zeigt uns einen Tisch, aber es enthüllt uns keine Gedanken. Zweitens, dass die sich uns zeigenden Objekte eine Strebe-Dynamik in uns auslösen: dieses Objekt zieht uns eher an als jenes. Doch mit dem Motivationsfeld der Objekte ergibt sich noch nicht ein klares Kriterium der Zuordnung zwischen Person und Objekt. Etwa im im Beispiel von Mann und Frau: sich liebenswert zu finden mag die Frage entstehen lassen, ob man den Bund der Ehe wagen solle, aber es vermag keine hinreichenden Kriterien für eine Entscheidung in dieser Frage zu liefern. Drittens, das innere Licht ist unsichtbar. Wir können eine leuchtende Glühbirne wahrnehmen, aber nicht das Licht einer Idee oder der Liebe. Die Metapher vom Licht bezieht sich auf die Erfahrung, dass uns etwas enthüllt wird.

Am Anfang hörten wir, dass nicht jener stirbt, der diesen oder jenen Gegenstand zurückweist, sondern das Licht. Das Licht aber zeigt sich uns nicht an sich, sondern nur an den Gegenständen, insofern sie sich uns zeigen. Wie können wir diesen Zirkel durchbrechen? Mit dieser Frage wollen wir unsere Metapher verlassen und uns der Beziehung von Subjekt und Objekt zuwenden.

Subjekt und Objekt

Von den vielen Möglichkeiten der Beziehung[4] zwischen Subjekt und Objekt wollen wir zwei Möglichkeiten der Spannung zwischen Subjekt und Objekt aufweisen.

Die Lust als Lust

Bei einem von Hunger getriebenen Menschen liegt die Ursache des Strebens nach einem Objekt, des Strebens nach Nahrung, auf der Seite des Subjektes. Es bedarf hier keines Objektes, etwa einer wohlaufbereiteten Köstlichkeit, um das Streben in Gang zu setzen. Das Streben zielt darauf ab, den Mangel, dass dem Körper Nahrungsstoffe fehlen, auszugleichen.

Ein Streben nach Lust als Lust aber[5], etwa das Streben nach einer bestimmten Süßigkeit, dient nicht dem Lebenserhalt. Der Mensch strebt die Süßigkeit nicht an, weil sie für den Körper notwendig wäre, sondern um eines gewissen Wohlgefühles willen, das beim Verspeisen der Süßigkeit hervorgerufen wird. Es geht hier um das Wohlgefühl als Wohlgefühl, um Lust als Lust. Das Objekt, die Süßigkeit, dient weder dazu, den Lebeserhalt zu sichern, noch das Subjekt über das Subjekt hinaus zu erweitern, indem es das Subjekt - wie etwa in der Liebe - in sein eigenes Kraftfeld zieht. Beim Streben nach Lust schließt sich das Subjekt in sich ein, und die Intensität der Lust, immer unter dem Aspekt von Lust als Lust, vermag an dieser Tatsache nichts zu ändern.[6]

Die Erfahrung der Offenbarung

Einer ganz anderen Subjekt-Objekt-Beziehung begegnen wir in den Offenbarungsgeschichten. Die Bezeichung "Offenbarung" mag andeuten, dass die Ursache einer Strebebewegung nicht aufseiten des Subjektes liegt. Sehen wir uns eine typische Offenbarungsgeschichte an - die Dornbuschepisode im Buch Exodus:

Moses weidet die Herde seines Schwiegervaters. Aus einer Alltagssituation bricht etwas Besonderes auf, etwas, was außerhalb der Kategorien dieser Welt zu sein scheint. Das Alte Testament drückt diese Besonderheit in einem Paradoxon aus: Ein brennender Busch, der aber doch nicht verbrennt[7]. Moses öffnet sich der in diesem Ereignis präsenten Realität - und erfährt den Anspruch Gottes: "Moses, Moses!", und er antwortet: "Hier bin ich."[8]

Moses erfährt diesen Anspruch nicht als Stimme, die aus ihm selbst hervorbricht. Die Quelle des Anspruchs liegt jenseits seiner selbst. Er erfährt sich von diesem jenseitigen Anspruch überwältigt. Der Spruch verlangt etwas von Moses, was ihn zu überfordern scheint. Er kann diesem Anspruch gegenüber nur gehorsam sein, wenn er willens ist, über sich selbst hinauszuschreiten in eine Welt, in der seine gewohnten Maßstäbe keine Geltung zu haben scheinen.

Das Subjekt-Objekt-Verhältnis ist hier diamentral jenem entgegengesetzt, das wir bei der Lust kennengelernt haben. Bei der Lust als Lust zieht das Subjekt das Objekt auf seine Seite - beim Vorgang der Offenbarung wird das Subjekt in den Bereich des Objekts gezogen.

Der Vorgang des Ziehens auf diese oder jene Seite lässt uns an eine weitere Metapher denken, die Metapher von Zug und Gegenzug. Wir finden diese Metapher bei den Evangelisten Johannes und Matthäus im Zusammenhang mit ihrem Verständnis von Offenbarung, aber auch bei Plato und Aristoteles im Zusammenhang mit der Offenbarung des menschlichen Geistes, als der menschliche Geist seiner selbst inne wurde.

Die Metapher von Zug und Gegenzug

In A Third Collection schreibt Lonergan, wiederum unter Bezugnahme auf E. Voegelin[9]:

"Or as Voegelin illustrates the matter, a young man may be drawn to philosophy but by social pressure be diverted to a life of pleasure or to success in politics. But if he follows the second pull, the meaning of his life is not settled for him. The first pull remains and is still experienced as part of his living. Following the second pull does not transform his being into a question-free fact, but into a recognizably questionable course. He will sense that the life he leads is not his "own and true life"

Der junge Mann steht zwischen Zug und Gegen-Zug, zwischen dem einen Zug, der ihn, wenn er ihm nachkommt, das eigentliche Leben bringt, und dem Gegen-Zug, der ihn, wenn er dessen Einflüsterungen folgt, in ein Leben des Scheins führt. Dieses Leben jedoch vermag ihn trotz aller anfänglicher Annehmlichkeiten nicht darüber hinwegzutäuschen, dass er sein wahres Leben verliert.

Den Zug zum wahren Leben erfährt das Subjekt anfänglich als Zug weg von sich selbst. Und der Zug hin zu sich selbst erweist sich später als Zug, der das Subjekt in ein Leben des Scheins verstrickt hat. Wir kennen dieses Paradoxon als eine der aufwühlenden Stellen des Neuen Testaments, etwa bei Matthäus:

"Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen."[10]

Wir stehen hier vor einer Schwierigkeit, die sich in Fragen dieser Art ausdrückt: Wie kann der Zug weg vom Subjekt das Subjekt in dessen wahres Leben führen? Wie kann das Subjekt erkennen, dass der Zug gleichsam von außen her doch auch Zug zu sich selbst hin ist? Wie kann sich das Subjekt bewahren, wenn es von sich weg in das Kraftfeld des Objektes gezogen wird? Wie konnte Moses ahnen, dass er nicht einem Trugbild erlag? Wir kennen psychische Erkrankungen, da der Mensch "äußere" Stimmen hört, deren Befolgung ihn aber zerstören, anstatt ihm das wahre Leben zu bringen.

Mit anderen Worten, wie ist es möglich, dass ein Gehorsam gegenüber einem Anruf, dessen Quelle jenseits unserer selbst liegt, die Vervollkommnung unserer selbst anzielt? Eine Lösung dieses Dilemmas kann es nur geben, wenn es eine Realität gibt, durch die das ziehende Objekt jenseits des Subjektes zugleich höchste Vollkommenheit des Subjektes ist. Gibt es eine derartige Realität?

Die Realität der Gnade

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns einer Realität zuwenden, die Gnade heißt. Gnade meint Selbstmitteilung Gottes an uns. Gott will uns nicht einen Teil der Wirklichkeit schenken, sondern sich selbst. Gott kann sich uns aber nur mitteilen, da seine Realität das Vermögen unserer Natur übersteigt, wenn er in uns eine Disposition schafft, dass wir seine Selbst-Gabe annehmen können.

Gott, der sich uns selbst schenken will, ist ungeschaffene Realität. Die unsere Endlichkeit sprengende Disposition in uns, die Selbst-Gabe annehmen zu können, muss eine von Gott geschaffene Realität sein. Die Tradition spricht von ungeschaffener und geschaffener Gnade.

Bezüglich des präzisen Verhältnisses zwischen geschaffener und ungeschaffener Gnade gibt es in der katholischen Theologie verschiedene Erklärungsmodelle, aber keine endgültige Lösung, da wir mit der Frage nach dem "Wie" der Beziehung zwischen geschaffener und ungeschaffener Realität den Bereich der natürlichen Vernunft überschreiten. Diese gewisse Unklarheit kann aber nicht die Offenbarungs-Tatsache der Selbst-Kommunikation Gottes an uns verdunkeln und die dafür vorausgesetzte entsprechende Disposition. Von da her vermögen wir das Paradoxon von Zug und Gegen-Zug zu verstehen.

Weil Gott total jenseits unserer selbst ist, da seine Fülle unsere Endlichkeit radikal übersteigt, erfahren wir seinen Anspruch als gleichsam von "außen", als von "jenseits" kommend. Weil die von Gott geschaffene Disposition, um seine Selbst-Gabe annehmen zu können, in uns eingepflanzt ist zur Vollendung unserer Natur, erfahren wir diesen Anspruch als an uns gerichtet. Deshalb ist der Ruf von außen her zugleich der Ruf vom innersten Innen her.

Um es im Bild unserer Metapher zu sagen: Die in geheimnisvoller Weise stattfindende Kommunkation zwischen Gott und uns in der von ihm geschaffenen Realität in uns ist das Licht, in dem sich uns der Anruf und die Richtung der von uns zu gebende Antwort enthüllen. Insofern wir uns - aus verschiedenen Gründen - gegen diesen stets erfolgenden Anruf sperren[11], erfahren wir den Gegen-Zug zur Realität dieses Lichts. Da aber diesem Licht der Glanz der Absolutheit zukommt, vermögen wir sein Spur in uns nie ganz auszulöschen.

Elemente einer Grundhaltung

Im Glitzerlicht der Gesellschaft zeigen sich uns andere Objekte als in jenem Licht, dessen Quelle letztlich Gottes Selbst-Mitteilung ist. Dem Weg zu folgen, der sich uns im Glitzerlicht eröffnet, heißt ein Mitläufer zu werden, dem Weg zu folgen, der sich uns im anderen Licht offenbart, heißt sich seiner wahren Bestimmung anzunähern. Die Objekte des Glitzerlichtes bedrängen uns, da wir uns diesem Licht kaum ganz entziehen können, die im anderen Licht sich zeigenden Objekte enthüllen sich uns und motivieren uns nur, wenn wir eine diesem Licht entsprechende Haltung annehmen. Sehen wir uns einige Elemente einer solchen Haltung an.

Stille und Einsamkeit

Das Vernehmenkönnen des Anrufes von außen her - oder vom innersten Innen her, insofern es von der von Gott in uns geschaffenen Disposition durchdrungen ist - bedarf unserer Grundentscheidung zugunsten von Einsamkeit und Stille. Die Entscheidung der Stille ist wesentlich eine Entscheidung zum Hörenwollen. In der Arbeitswelt wird unser Bewusstsein von der auszuübenden Tätigkeit her bestimmt. In der Freizeit lassen wir uns bereitwillig von Ablenkungen bestimmen. In der Zeit der Entscheidung zur Stille löst sich die Polymorphie des Bewusstsein in ihre einzelnen Stimmen auf. Aus diesen Stimmen kann sich jene Stimme lösen, die den Glanz des anderes Lichtes widerspiegelt.

In der Zeit unserer Entscheidung zur Stille spüren wir deutlich den Zug der krummen Angewohnheiten, die wir im Lauf unserer Geschichte erworben haben. In der Zeit der Stille haben wir eine schwere Last zu tragen - die Last, die wir uns selbst sind. Und gerade weil wir uns selbst zur Last sind, öffnet sich die Sehnsucht nach einem anderen Leben und die Sehnsucht nach dem Licht der Erlösung. Wenn wir uns dieser Sehnsucht nicht entziehen, indem wir uns eingestehen, dass wir erlöst werden möchten, öffnet sich uns der Weg im jenem Licht, das uns zu unserer Vollendung führen will.

Angesichts der Beanspruchung des Menschen durch das moderne Berufsleben stellt sich die Frage, wie viele Minuten oder Stunden der Stille am Tag der Mensch bedarf, um Hörer eines mögliches Anrufs zu sein. Das für uns notwendige Maß an Stille bestimmt sich weniger von der Quantität der Zeit, sondern der Qualität. Diese Qualität bestimmt sich nach der Festigkeit, mit der wir eine Zeit als Zeit der Stille für uns bestimmen. Wenn ein vielbeschäftiger Geschäftsmann täglich etwa vierzig Minuten ernsthaft als Zeit der Stille für sich bestimmt, so genügt das, um den Habitus eines Hörers zu erlangen.

Hierarchie und Balance der Tätigkeiten

In der Beziehung von Subjekt und Objekt haben wir zwei Pole aufgewiesen: einerseits das auf eine bestimmte Stufe seiner selbst fixierte Subjekt, das das Objekt in seine Sphäre zieht, ohne sich durch das Objekt zu erweitern, und anderseits das in die Sphäre des Objekts hineingezogenen Subjekt[12], das, indem es sich ziehen lässt, seine Vollendung vom Objekt her gewinnt.

Wenn wir uns um einen Haltung der Offenheit und des Hörens bemühen, werden wir erfahren, dass unsere Tätigkeiten auf eine verborgene Hierarchie hin durchsichtig sind, je nachdem ob sie näher bei diesem Pol liegen oder jenem. Wir werden uns gedrängt fühlen, jene Tätigkeiten zu pflegen, durch die wir uns vervollkommnen, indem wir uns übersteigen. Und diese Tätigkeiten wollen im rechten Verhältnis zu den Tätigkeiten des Alltags und Berufslebens stehen. Dazu ein Beispiel:

Wenn wir uns Ordensregeln ansehen, entdecken wir, dass die den Ablauf des Tages tragenden Pfeiler das Gebet sind. Kehrt der Mönch zu Mittag müde von der Arbeit heim, steht nicht erst das Essen an, was verständlich wäre, sondern das Gebet. Eine ständig umgekehrte Reihenfolge, erst das Essen dann die Besinnung, würde die Balance der Tätigkeiten zerstören.

Im Gebet aktualisieren wir die Spannung zwischen uns und dem übernatürlichen Ziel. Steht diese Spannung fest, ordnen sich die anderen Tätigkeiten entsprechend ihrer Rangstufe in der Hierarchie in die rechte Balance ein. Die Pfeiler nehmen nur wenig Raum ein im Vergleich zur Gesamtmasse der Wände und des Dachs, doch von ihrer Festigkeit hängt die Festigkeit des ganzen Gebäudes ab.

Gebet und übernatürliche Disposition

Im Gebet als Aktualisierung unserer Spannung zum letzten Ziel ist die Möglichkeit gegeben, dass die von Gott geschaffene Disposition in unsere Erfahrung sickert, ohne dass wir eine klare Grenze zwischen natürlich und übernatürlich in unserem Bewusstsein ziehen könnten. Zu Beginn eines Gebetes mögen wir etwas Bestimmtes erbeten, über etwas Bestimmtes klagen oder für etwas Bestimmtes danken. Je mehr wir uns von der Dynamik des Gebetes führen lassen, desto mehr wird es uns über die konkreten Bitten, Klagen und Danksagungen hinausführen in die Erfahrung der von Gott erhobenen Transzendenz.

Um es in einer Metapher zu sagen: In einem kleinen Boot auf hoher See plagt uns erst die Sorge, ob das Boot den Wellen wohl standhalten mag. Wenn wir aber unsere Sorgen hin zu einem Vertrauen übersteigen, dass uns das Meer wohl tragen mag - dass es das Meer ist, was uns trägt -, werden wir offen werden für das Geheimnis der Unendlichkeit des Ozeans. Das Rauschen der Wellen ist dann das Rauschen des Geheimnisses, dass Gott in seiner Ferne zugleich in meinem innerstes Innen gegenwärtig sein will. Das ist der Grund für das Vertrauen, dass die Wellen des Ozeans uns immer tragen werden.

Mut, Geduld und Treue

Der Weg, der sich uns im Anruf zeigt, hat als Wahrheitskriterium keinen Wegweiser mit der Aufschrift: Das hier ist der wahre Weg. Die Richtigkeit des Weges zeigt sich uns nur im Vollzug des Gehens entlang dieses Weges. Weil Gott das Fassungsvermögen der menschlichen Vernunft radikal übersteigt, gibt es nach dem Maßstab der kontingenten Welt keine Garantie der Richtigkeit unseres Strebens nach dem letzten Ziel. Die Richtigkeit des Strebens ergibt sich aus dem Vollzug des Strebens selbst.

Es wäre hier zur entfalten, dass an der Wurzel des Vollzuges Glaube, Hoffnung und Liebe verschiedene Momente ein und desselben Strebens sind und dass sich der Ausweis ihrer Richtigkeit nur aus dem Vollzug des Glaubens, Hoffens und Liebens selbst ergibt. Insofern sind sie übernatürliche Tugenden. So wie die Sphäre des Lebens übernatürlich in Relation zur Sphäre des bloß Anorganischen ist, so ist eine Tugend, die ihre Rechtfertigung rein aus der von Gott über unsere Natur hinaus frei geschaffenen Disposition bezieht, übernatürlich in Bezug auf die Vermögen, die wir von Natur aus haben.

Es bedarf also eines gehörigen Maßes an Mut, um den Weg des Anrufes zu folgen, selbst wenn dieser Weg nicht spektakulär ist, sondern nur in einer Kursänderung des Lebens besteht, etwa diese oder jene krumme Haltung ernsthaft aufgeben oder diese oder jene Tätigkeit, wodurch wir den Habitus der Offenheit aktualisieren, mehr pflegen zu wollen. Weiter bedarf es großer Geduld, bis sich das Streben, das seine Festigkeit aus dem Vollzug seiner selbst gewinnt, zu einer Haltung des Strebens verfestigt hat. Die Alten verwendeten für eine erworbene Haltung das Wort Habitus. Nur in einem Streben, das als Fundament einen festen Habitus des Strebens hat, vermögen wir den Anfechtungen und Haltungen des Gegen-Zugs zu widerstehen.

Zu Beginn stellten wir die Frage nach einem Kriterium für eine richtige oder falsche Entscheidung. Im Licht der übernatürlichen Disposition enthüllt sich uns, die entsprechende Haltung vorausgesetzt, sowohl der Anruf von jenseits her als auch die von uns zu gebende Antwort. Nach dem Maß der Bereitschaft des Hörens und der Offenheit werden wir den an uns gerichteten Ruf vernehmen, nach dem Maß der Festigkeit unseres "Hier-bin-Ich" die Richtigkeit des zu folgenden Weges erfahren. Der Vollzug des Weges ist kein linearer Prozess, an dessen Anfang das Votum für Stille steht und an dessen Ende die Sicherheit des Gehorsams, sondern eine spiralförmige Bewegung, die einmal nach oben führt, dann nach unten, die Begeisterung kennt, aber auch tiefe Verzweiflung, die wir aber doch insgesamt als den uns von Gott zugedachten Weg erkennen können.

Die Beschreibung einiger Elemente einer Haltung, in der wir eine Affinität zwischen uns und unserem letzten Ziel erfahren können, würde ein intelligibles Fundament erhalten, wenn wir aufweisen würden, wie Thomas von Aquin die Möglichkeit einer Ko-operation von Gottes Willen und menschlichem freien Willen verstanden hat. Dazu ein paar Worte mehr im nächsten Vortrag.


 

[1]S. th. II—II 45,2. 108; secuncdum perfectum usum rationis; secundum quandam connaturalitatem.

[2]B. Lonergan, A Third Collection, 190f.

[3]The English adjective latend derives from Greek "lanthanein".

[4]Cf. die scholastische Unterscheidung: finis quo, finis qui, finis cui, finis operis, finis operationis, finis operantis

[5]Es geht hier nicht um den psychologischen Aspekt von Lust, sondern um den ontologischen Status von Lust als Lust.

[6]Ganz deutlich ist diese Einengung etwa im Zustand des Rausches. Das Gefühl einer gewissen Unbegrenztheit im Rausch ist im Grunde eine Einengung des Subjektes. Beim Nachlassen des Rauschzustandes erfährt sich das Subjekt schmerzhaft zurückgeworfen in sich selbst.

[7]"Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht." Exodus 3:2.

[8]Exodus 3:4.

[9]B. Lonergan, A Third Collection, 190f.

[10]Mt 16:25.

[11]Cf. die Realität dessen, was Erbsünde heißt.

[12]Es ist eine Kernaussage des Neuen Testaments, dass uns Gott an seinem Leben teilnehmen lassen will.


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